Goldener Käfig und Wasserloch

Von Stefan Keim · 06.11.2011
Die Putzkolonne saust noch durchs Haus. Erst eine halbe Stunde vor der Premiere ist das renovierte Düsseldorfer Schauspielhaus begehbar. Drei Wochen nach dem vorgesehenen Termin kann endlich der "Hamlet" starten.
Der riesige Zuschauerraum ist kleiner geworden, soll auch akustisch verbessert worden sein. Ob das geklappt hat, ist heißer Diskussionsgegenstand. Richtig beurteilen wird man es erst können, wenn man mal vorne und hinten gesessen hat. Doch nun zur Kunst:

Sie sehen schick aus. Die Schauspieler tragen schwarz im leeren, goldenen Raum. Requisiten gibt es kaum. Staffan Valdemar Holm, der neue Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses, setzt in seiner Einstandsinszenierung ganz auf das Ensemble. Dabei verzichtet der Schwede, der zuvor das Dramaten-Theater in Stockholm geleitet hat und mit dessen Berufung nach Düsseldorf kaum jemand gerechnet hatte, auf eine originelle Deutung von Shakespeares "Hamlet".

Über weite Strecken beschränkt er sich auf ein handwerklich geschicktes Arrangement. Dadurch wird die Aufführung manchmal ziemlich zäh, doch immer wieder blitzen überraschende Details auf. Da krabbelt zum Beispiel Polonius, den Sven Walser als speichelleckenden Höfling comedyartig verwitzelt, in Ermangelung eines besseren Verstecks unter den goldenen Teppich. Da liegt er dann, ein unförmiger Klumpen, und wartet darauf, dass Hamlet ihn abmurkst. Holms Inszenierung ist nicht berechenbar. Mal folgt ein skurriler Einfall, mal ein Song der dänischen Rockband Sort Sol, zu dem Ophelia und Hamlet scheu tanzen.

Doch was der Intendant nun genau erzählen will, bleibt über weite Strecken unklar. Darunter leidet vor allem Aleksandar Radenkovic, der den Hamlet mal ausbrechend pathetisch, dann ironisch in sich gekehrt spielt. Doch das bleiben Bruchstücke, die sich nicht zu einem Charakter zusammen setzen. Was Rainer Bock hinreißend gelingt. Sein Claudius ist ein genervter Diktator, ein schmieriger Machtmensch und gewissenloser Biederbürger, den man sich auch als gehässigen Bürotyrann vorstellen könnte.

Imogen Kogge spielt Königin Gertrud im Zwiespalt zwischen Mutterliebe und Duckmäuserei. Einmal verneigt sie sich vor ihrem Mann, eine Geste der Unterwerfung und auch der Bequemlichkeit. Denn damit schiebt sie alle Verantwortung auf ihn.

Lediglich in der Schauspielerszene hat Staffan Valdemar Holm starke Eingriffe vorgenommen. Da deklamieren die von Hamlet bestellten Mimen – Marianne Hoika und Winfried Küppers spielen auch alle anderen Nebenrollen – Monologe von Goethe und Ingmar Bergman. Sie brauchen keine Hilfsmittel, alles entsteht durch die Macht der Sprache.

Neben dem Bekenntnis zur puren Schauspielkunst transportiert diese erweiterte Szene auch eine tiefe Skepsis dem Diskurstheater gegenüber. Hamlet will, dass die Schauspieler seinen Onkel, den Brudermörder Claudius, entlarven. Aber die Schauspieler verdeutlichen: Alles ist Spiel und das Theater ein Kunstraum außerhalb aktueller Debatten. Das scheint das Credo des Intendanten zu sein. Ganz bewusst richtet er – auch mit der Adaption des Houellebecq-Romans "Karte und Gebiet" durch Falk Richter im kleinen Haus – den Blick auf die Kunstproduzenten selbst.

Das gilt auch für Gerhart Hauptmanns Stück mit dem programmatischen Titel "Einsame Menschen". Aus dem Goldkäfig namens Dänemark ist ein Wasserloch geworden, in das die Schauspieler nur über Stege von den Bühnenseiten gelangen können. Der Philosoph Johannes Vockerat befindet sich im Denk- und Lebensstau.

Seine Frau hat gerade ein Kind bekommen, doch er verweigert alle Vaterpflichten. Vockerat will sich um sich selbst kümmern, das Dauerpubertieren als Lebenshaltung nicht aufgeben. Zumindest spielt ihn Ingo Tomi so, als stammelnden, egomanen Wuschelkopf. Und als eine mittellose Studentin auftaucht, die im Gegensatz zur Gattin kapiert, womit er sich beschäftigt, ist die Ehefrau abgemeldet.

Die neue, aus Weimar und Berlin bekannte Düsseldorfer Hausregisseurin Nora Schlocker inszeniert das Stück ohne moralische Botschaft. Sie will zeigen, dass Hauptmanns Konflikte – die nicht von ungefähr an Ibsen und Strindberg erinnern – auch unsere sind. Was so schnell gelingt, dass es schon wieder ein Problem ist. Denn was passiert, ist jederzeit vorhersehbar.

Am Ende des 19. Jahrhunderts war es noch eine Grenzüberschreitung, bürgerliche Lebensmodelle und den christlichen Moralkodex in Frage zu stellen. Heute wirkt Hauptmanns Text verquasselt, er braucht Straffungen und Zuspitzungen. Obwohl die Schauspieler – vor allem Tina Engel Mutter Vockerat und Xenia Noetzelmann als Ehefrau Käthe – große Kraft entwickeln, zieht sich der dreistündige Abend. Zumal ein live spielendes Jazztrio im Bühnenhintergrund völlig überflüssig wirkt.

Viel Potential, aber noch keine Höhepunkte – das ist die Bilanz der Düsseldorfer Eröffnung. Es gab auch einen scheußlichen Flop im kleinen Haus, Pierre Corneilles "Illusion", von Marie-Louise Bischofberger als Neudefinition der Langeweile als dümmliches Aufsagetheater zugerichtet.

Und einige spannende Produktionen im Jungen Schauspielhaus, vor allem die Romanadaption des heftigen Romans "Nichts" der Dänin Janne Teller. Emotionales Erzähltheater über Jugendliche, die es nicht ertragen können, dass ein Mitschüler den Sinn ihres Lebens in Frage stellt. Das Gewicht liegt auf den Schauspielern, nicht auf Regiekonzepten. Mit seinen ersten Premieren positioniert sich Düsseldorf außerhalb des Mainstreams. Was spannend werden könnte.

Link:
Düsseldorfer Schauspielhaus
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