Goldener Giraldillo für isländische Komödie

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Auf der Turmspitze der Kathedrale in Sevilla steht kein Wetterhahn, sondern ein kleiner Mann, der Giraldillo. Als goldene und silberne Kopie wird er heute Abend zum fünften Mal auf dem Festival des europäischen Films in Sevilla vergeben. Eine Woche lang waren knapp 140 Filme in den Kinos der andalusischen Hauptstadt zu sehen, 14 davon im Wettbewerb.
Die Präsidentin der Jury, die dänische Produzentin Wibeke Windelov und der neue Direktor des Festivals, Javier Martin, im Duett bei der Preisverleihung. An Worten wie Giraldillo de Oro endet der gemeinsame Nenner des europäischen Films. Für sein originelles Drehbuch, für die gelungene Regie und die hervorragenden Schauspieler zeichnet die Jury die isländische Komödie "Back Soon" als besten Film auf dem Festival in Sevilla aus.

Auch "Back Soon" lebt von der Vielstimmigkeit. Die Protagonistin, Dichterin und Lebenskünstlerin, trifft nicht nur auf die skurrilsten Inselbewohner, sondern auch auf Reisende, die ihr Schicksal nach Island verschlagen hat. Für die Regisseurin Solveig Anspach, eine Selbstverständlichkeit in einer immer vielschichtigeren Welt:

"Ich bin in Island geboren, mein Vater ist amerikanischer Jude, meine Mutter Isländerin, und ich habe eine Walldorf-Schule in Paris besucht. Diese Mischungen können eine Kultur sehr bereichern. In meinem Film zeige ich diese unterschiedlichen Wurzeln. In 'Back Soon' waren mir auch diese unterschiedlichen Akzente sehr wichtig, Englisch, von einem Franzosen gesprochen, ein Mädchen aus Irland und auch die isländische Sprache. All diese unterschiedlichen Sprachen und Akzente sind wie Musik."

Der goldene Giraldillo und 60.000 Euro für den spanischen Verleiher gehen auch an ein Genre, dass im Allgemeinen bei Festivals zu kurz kommt, meint der deutsche Regisseur Leander Hausmann. Seine Komödie "Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe" lief auch im Wettbewerb:

Leander Hausmann: "Also, ich weiss auf jeden Fall aus berufenem Mund, dass die Menschen sich nach Komödien auf Festivals gerade sehnen, einfach auch als Erholung von den ernsthaften Themen, ernsthaften Schauspielern, ernsthaften Themen. Festivals wollen ernsthafte Veranstaltungen sein, und da passen Komödien schlecht rein. Sie werden verachtet, ich sag mal, das ist so wie bei Pornofilmen: Man guckt sie gerne, das setze ich mal bei einigen voraus, bei sehr vielen, denn das ist ja die umsatzstärkste Branche kann man sagen, aber sie hat keine Akzeptanz, keine öffentliche. Und das ist ein bisschen bei der Komödie auch so."

In Sevilla kamen die Komödien gut an. Generell standen die privaten, die persönlichen Geschichten im Vordergrund und das ein ernster Film durchaus Lebensfreude vermitteln kann, zeigt der zweite deutsche Wettbewerbsbeitrag "Wolke 9" von Andreas Dreesen. Die Schauspielerin Ursula Werner wurde für ihre Rolle in diesem ebenso anrührenden, wie natürlichem Film über Liebe und Sex im hohen Alter hier in Sevilla als Schauspielerin für den europäischen Filmpreis nominiert.

Ursula Werner: "Wir haben einen so ehrlichen Film gemacht. Und wir meinen, er trifft auf viele Menschen zu, die in unserem Kulturraum leben. Und wir möchten natürlich mit diesem Film auch den Mut machen, über diese Dinge unvoreingenommen und eigentlich frei nachzudenken. Sevilla ist eine Stadt, die dafür bekannt ist: In Liebesdingen hat sich da schon viel abgespielt, und sie ist vielleicht auch empfänglich dafür."

Die direkte Reflektion sozialer und politischer Verhältnisse kam dieses Jahr aus Italien mit zwei brillanten, stilistisch sehr unterschiedlichen Filmen. Zum einen "Gomorra" von Mateo Garrone, ein gewalttätiger und dabei schlichter fast neorealistischer Film über die Camorra in Neapel. Er wurde mit dem grossen Spezialpreis der Jury ausgezeichnet.

Der zweite italienische Film "Il Divo" von Paolo Sorrentino wurde mit dem Euroimage Preis ausgezeichnet und ist teils Politsatire, teils Königsdrama über den langjährigen italienischen Regierungschef Giulio Andreotti. "Il Divo" beleuchtet die Zeit der 1970er und 80er Jahre, für viele, so der Produzent des Films Nicola Giulano, bereits graue Vorzeit:

"In Italien haben wir ein grosses Problem mit der kollektiven Erinnerung. Das junge Kinopublikum weiss heute nichts mehr von der P2 Loge, von den Roten Brigaden, von den grosse Korruptionsskandalen, der Aldo Moro-Entführung und dem ganzen Hintergrund, den der Film beschreibt."

Diese kollektive Erinnerung versuchen andere europäische Regisseure mit historischen Großproduktionen wiederzubeleben, beindruckend dicht wie Andrzey Wajdas Film über das Massaker in Katyn 1941, oder eine weniger gelungene französische Grossproduktion, ein historischer Action Film über Geheimagentinnen der französischen Resistance gegen die Nazis.

Aber den europäischen Großproduktionen, den historischen Rekonstruktionen, standen in Sevilla immer wieder auch die persönlichen Geschichten mit geringem Etat gegenüber. Neben der gelungenen Komödie aus Island, das Melodrama einer orthodoxen Rabbinerfamilie in Israel oder dunkle Geschichten aus Russland und Rumänien. Das Europa der Filmemacher geht über die Grenzen des politischen Europas hinaus und vermittelt auf ganz unterschiedliche Weise einen Blick auf den Wandel sozialer Realitäten.

Ein immer wiederkehrendes Thema in Sevilla war die Immigration. So erzählen andalusische Filmemacher von den Toten der Meerenge von Gibraltar - denen, die beim Versuch, Europa zu erreichen, ums Leben kommen. Aber auch andere europäische Filmemacher beschreiben eine neue, durch die Migration veränderte Gesellschaft. Wenn auch nicht immer stilistisch so radikal und konsequent wie der holländische Film "Katjas Sister" von Mijke de Jong.

"Katjas Schwester" erhielt den silbernen Giraldillo für die beste Regie und erzählt, ohne jede Effekte fast dokumentarisch inszeniert, ohne Filmmusik, den Alltag von vier russischen Frauen in Amsterdam. Grossmutter, Mutter und die Enkelinnen - alltäglich, subtil und doch fesselnd - eine sehr persönliche Geschichte und auch eine Widerspiegelung gesellschaftlicher Verhältnisse.

Mijke de Jong: "Es kam mir darauf an, das Thema subtil anzugehen. Es geht natürlich auch um Immigranten in Amsterdam und ihre Lebensumstände, aber wir wollten das nicht mit erhobenem Zeigefinger tun. Es ist kein Film über Flüchtlinge im Allgemeinen, sondern über diese Frauen, über ihre Einsamkeit, ihre Freuden und ihr Leben. Das sagt natürlich auch viel über das Leben in den Vorstädten Amsterdams aus, aber eben über eine persönliche Geschichte."