Goldene Pracht und buddhistische Spiritualität

Von Ute May |
Bis zu 1500 Jahre alte religiöse Kunstschätze aus den Klöstern Tibets sind in der Essener Villa Hügel zu sehen: geheimnisvolle Bilder mit kunstvollen Ornamenten; Menschen, Götter und Tiere auf Seide, Baumwolle oder getrocknete Häute mit Farben oder Kaltgold gemalt, Musikinstrumente, illuminierte Handschriften auf Pattra-Blättern und immer wieder Gottheiten mit intensivem Blick - nackt dargestellt als Ausdruck innerer Reinheit und äußerster Askese.
Es riecht ungewohnt in der hohen holzgetäfelten Eingangshalle der Essener Villa Hügel. Doch der Duft von Räucherstäbchen ist eine gute Einstimmung auf die ungewöhnliche Schau, die sich im Obergeschoss entfaltet.

Drei Jahre lang hat die Berliner Kunsthistorikerin Professor Dr. Jeong-Hee Lee-Kalisch die Ausstellung vorbereitet. Gleich im zweiten Raum bleibt die Wissenschaftlerin, die in Korea geboren und in einer christlichen Familie aufgewachsen ist, fast andächtig vor einem ihrer Lieblingsobjekte stehen – einer tausendarmigen Gottheit:

"Nicht nur, weil diese Figur so golden strahlt und mit Türkis voll besetzt ist, sondern weil diese Gottheit als Schutzpatron der Tibeter gilt und auch die Dalai-Lamas als Inkarnation dieser Gottheit gilt, hat diese Figur auch mein Herz erobert."

Dieser Avalokiteshvara genannte Gott ist aus Kupfer gefertigt, feuervergoldet, mit Edelsteinen und farbig bemalt. Der Legende nach soll die aus Lhasa stammende Figur aus dem 17. oder 18. Jahrhundert mit ihren 1000 Händen und den darin gemalten Augen unermessliche Kraft haben und kranken Menschen helfen.

Bis heute regt kein anderes Land die Phantasie vieler Menschen in aller Welt so sehr an wie das geheimnisvolle Tibet, sagt Frau Professor Lee-Kalisch - nicht nur wegen der geographischen Lage.
"Tibet liegt ja, wie wir gerne sagen, auf dem Dach der Welt. Und das Dach der Welt ist unnahbar. Dadurch entstehen auch viele Mythen und regt Phantasie an. Wir haben in uns viele Vorstellungen über Tibet ... durch die politische oder religiöse Lage dieses Landes."

Die Ausstellung in der Villa Hügel, hoch über dem Baldeney-See ebenfalls sehr entlegen, gibt der Phantasie mit gut 150 Exponaten aus tibetischen Klöstern und Palästen noch mehr Impulse: geheimnisvolle Bilder mit kunstvollen Ornamenten; Menschen, Götter und Tiere auf Seide, Baumwolle oder getrocknete Häute mit Farben oder Kaltgold gemalt, Musikinstrumente, illuminierte Handschriften auf Pattra-Blättern und immer wieder Gottheiten mit intensivem Blick – nackt dargestellt als Ausdruck innerer Reinheit und äußerster Askese.

Die außergewöhnlichen Kunstwerke, zwischen 100 und 1500 Jahre alt, sind zum größten Teil in Tibet noch nie öffentlich gezeigt worden und haben auch das Land im Himalaya noch nie verlassen. Sie verknüpfen die weltliche und religiöse Herrschaft des Buddhismus:

"Die Paläste sind gleichzeitig ein Kloster, denn ab dem 16. Jahrhundert haben die religiösen Oberhäupter auch die Rolle als politische Oberhäupter übernommen. Daher spielen in so einer Residenz die Gottheiten eine der wichtigsten Rollen. Gerade die Residenz der Dalai-Lamas und auch der Sommerpalast haben wunderbare Sammlungen."

So ist der gewaltige Potala-Palast in Lhasa, der in einem imponierenden Großfoto gezeigt wird, einer der wichtigsten Leihgeber für diese einmalige Schau, zumal Museen europäischen Zuschnitts in Tibet fast unbekannt sind.

Die Skulpturen aus Stein oder Metall, Rollbilder auf Seide in fragilen Holztresoren, vielgestaltige Mandalas, Ritualgegenstände und Tempeldekor: eindrucksvolle stilistische und handwerkliche Kunstfertigkeit - die Namen der Künstler sucht man vergebens. Auch das eine buddhistische Tradition. Jeong-Hee Lee-Kalisch hat bei der Ausstellungs-vorbereitung gemerkt,

"… dass der Buddhismus immer noch sehr fremd gegenüber Europäern ist. Die Besucher sollen vielleicht mit offenen Herzen hierher kommen und lernen, was ist buddhistische Kunst. Wie gehen die buddhistischen Gläubigen mit ihren kultischen Objekten um? Was für eine Rolle spielen die dort, was für eine Ethik, was für ein Ziel haben sie dort?"
Spontan stellen sich Respekt und Ehrfurcht, ja ungläubiges Staunen über die Vielfalt, den Ernst, aber auch über den Ideenreichtum und die Heiterkeit bei den ausgestellten Objekten ein, die in einem streng bewachten Sondertransport aus Tibet nach Deutschland kamen. Ausgewählt hat Frau Professor Lee-Kalisch die seltenen Kunstwerke nach künstlerischer Qualität.
"Aber unser Konzept basiert auf der buddhistischen Lehre. ... Diese Kulturobjekte haben wir dann nach fünf großen Themen gegliedert, wie sie auch hier in fünf Farben eingeordnet sehen können. Und die haben wir erst festgelegt, nachdem wir durch unsere Feldforschung diese Möglichkeit zuerst einmal eingesehen haben."

Die fünf Farben - weiß, rot, blau, gelb und grün - haben in Tibet eine komplexe Symbolik. Sie entsprechen den tibetischen fünf Himmels-richtungen einschließlich des Zentrums, den fünf Elementen, zu denen der Raum gehört und nicht zuletzt den fünf großen Buddha-Familien. Allgegenwärtig flattern sie in Tibet als Fahnen im Wind und werben für Kraft, Glück und Segen für alle Menschen auf der Welt.
Die Stille, die man brauchte, um in Ruhe zu gucken, zu staunen und zu vergleichen, wird von grässlich lauten Klimageräten und den ewig knarrenden Holzdielen in der ehrwürdigen Villa Hügel allzu störend verhindert.

Ein schwergewichtiger Katalog mit fast 700 Seiten verzeichnet nicht nur alle ausgestellten Kunstwerke, sondern erweist sich als kenntnisreiches Kompendium zur tibetischen Geschichte, zum Buddhismus und zu der Kunst, die sich über Jahrtausende daraus entwickelt hat.


Service:
Die Ausstellung "TIBET - Klöster öffnen ihre Schatzkammern" ist bis zum 26. November 2006 in der Villa Hügel in Essen zu sehen.