Keine Wunderfrucht - sondern lebensgefährlich!
Goji-Beeren seien Wunderfrüchte mit einzigartigen Super-Nährstoffen, versprechen Marktschreier - und selbst anerkannte Medien überschlagen sich vor Begeisterung. Nur einer will den Hype nicht mitmachen: Udo Pollmer. Er warnt: Das Obst gehört in die Apotheke.
"Die einzigartige Ansammlung von Super-Nährstoffen" prahlt eine frequentierte Website mit Gesundheitstipps, "macht die Goji-Beere zu einem der besten Lebensmittel der Welt. Sie schenkt uns optimale Leistungsfähigkeit und ein langes gesundes Leben." Gibt es einen verdächtigeren Hinweis auf ein fragwürdiges Lebensmittel als diese warmen Worte? Soviel Überschwang macht misstrauisch.
Misstrauisch macht auch der Tatbestand, dass es sich bei den roten Goji-Beeren um Verwandte von Tabak, Bilsenkraut und Tollkirsche handelt – also um Nachtschattengewächse.
Natürlich essen wir auch Paprika, Tomaten oder Kartoffeln. Doch bei Kartoffeln ist seit Generationen bekannt, dass man sie schälen muss, oder, dass man Tabakblätter nicht zu Smoothies verarbeiten darf. Solcherlei Kenntnisse fehlen bei vielen Lebensmitteln, die aus fremden Kulturen zu uns kommen.
Als Droge nicht gut genug
Die Verwandtschaft zu Tollkirsche und Co. weckte die Neugier der Freunde "bewusstseinserweiternder" Pflanzen. In der Tat findet man in der Goji-Beere bekannte Drogen. Doch die Gehalte an Scopolamin – die Droge im Bilsenkraut – und an Atropin – die Droge in der Tollkirsche – sind zu niedrig, um spürbare Effekte zu erzielen.
Seltsamerweise finden sich in chinesischen Quellen Formulierungen wie: die Beeren sorgen für "schöne Augen". Klingt wie ein Hinweis auf größere Pupillen – und damit auf Atropin!
Nun gibt es zu allem Überfluss zumindest eine Untersuchung, die in der Frucht reichlich Atropin nachwies. Doch hier scheint der Grund eine Verwechslung mit einer verwandten Art zu sein, die deutlich höhere Gehalte aufweisen kann.
Aber woher weiß der Kunde, dass er nicht ebenfalls Opfer von ähnlich aussehenden Früchten wird? Wenn die Beeren verarbeitet sind, zum Beispiel als Getränk, kann niemand sicher wissen, ob er auch von den "richtigen" Goji-Beeren speist. Auf dieser Welt gibt es viele rote Beeren, die ähnlich aussehen und von denen nicht wenige giftig sind.
Medikamente gehören in die Apotheke
Der Umstand, dass die Beere in China als Heilpflanze gilt, kommt heute fast einer Heiligsprechung gleich, obwohl vernünftige Menschen dadurch eher gewarnt sind. Denn das heißt ja nur, dass ein oder mehrere Inhaltsstoffe als Arzneistoffe eingestuft werden müssen. Doch Medikamente haben im Essen nichts verloren - weder im Fruchtsaft noch im Schnitzel. Sie gehören in die Apotheke – nicht ins Obstregal.
So gerieten Patienten, die blutverdünnende Pillen eingenommen hatten, nach dem Konsum eines Goji-Saftes in Lebensgefahr. Da Goji ebenfalls blutverdünnend wirkt, traten innere Blutungen auf. Die Beere schädigt - wie viele Medikamente - offenbar auch die Leber, es sind Fälle von Hepatitis dokumentiert, z. B. durch Konsum der Beeren als Tee.
Goji-Beeren stören in der Leber den Cytochrom-Stoffwechsel – damit sind die Wirkungen von Medikamenten nicht mehr kalkulierbar.
Auf jeden Fall sollten Allergiker Vorsicht walten lassen. Die Zunahme allergischer Reaktionen, zum Teil mit lebensbedrohlichem anaphylaktischen Schock, veranlasste spanische Ärzte dazu, ihre Patienten einem Provokationstest zu unterziehen. Zu ihrer Verwunderung reagierten von insgesamt 30 Personen gleich 24 auf Goji-Beeren – und das obwohl die meisten von ihnen nie Goji gespeist hatten. Der Grund sind zahlreiche Kreuzallergien mit Tomaten, Nüssen, Pfirsichen, Kiwis, Ambrosia und Latex.
Allergien gegen Lebensmittel dank Goji-Beere
Damit steht zu befürchten, sich per Goji erst Allergien gegen normale Lebensmittel einzufangen. Die beliebte Umschreibung eines "Superfoods" als "immunstärkend" darf man getrost als Hinweis auf Allergenität werten.
Da die Pflanze auch bei uns gedeiht, wächst das Interesse der Gartenbesitzer. Doch Vorsicht! Goji ist ein wucherndes Unkraut, eine gefürchtete invasive Art, deren man nicht mehr Herr wird.
Da ist es schon besser, wenn die Chinesen ihre Sträucher auf Überschwemmungsflächen anbauen. In den dortigen Plantagen verursachen Schädlinge und Krankheiten erhebliche Probleme. Aber bei einer so gesunden Beere können uns etwaige Rückstände aus chinesischen Pflanzenschutzmitteln vermutlich nichts mehr anhaben. Mahlzeit!
Literatur
Kerchner A et al: Protein and alkaloid patterns oft he floral nectar in some solanaceous species. Acta Biologica Hungarica 2015; 66: 304-315
Larramendi CH et al: Goji berries (Lycium barbarum): risk of allergic reactions in individuals with food allergy. Journal of Investigative Allergology and Clinical Immunology 2012; 22: 345-350
Chen J et al: Investigation on occurence of lycium pests and their natural enemies. Zhongguo Zhongyao Zazhi 2002; 27: 819-823
Anon: Goji-Beeren – Wunderfrüchte für alle. Zentrum der Gesundheit; Website, letzte Aktualisierung am 20.02.2016
Zhao ZH et al: Risk assessment and control strategies of pests in Lycium barbarum fields under different managements. Ying Yong Sheng Tai Xue Bao 2009; 20: 843-850
Harsh ML: Tropane alkaloids from Lycium barbarum Linn., in vivo and in vitro. Current Science 1989; 58: 817–818
Lam AY et al: Possible interaction between warfarin and Lycium barbarum L.. Annals of Pharmacotherapy 2001; 35: 1199–1201
Leung H et al: Warfarin overdose due to the possible effects of Lycium barbarum L. Food & Chemical Toxicology 2008; 46: 1860–1862
Adams M et al: HPLC-MS trace analysis of atropine in Lycium barbarum berries. Phytochemical Analysis 2006; 17: 279–283
Potterat O; Goji (Lycium barbarum and L. chinense): phytochemistry, pharmacology and safety in the perspective of traditional uses and recent popularity. Planta Medica 2010; 76: 7–19
Klenow S et al (Hrsg): Risikobewertung von Pflanzen und pflanzlichen Zubereitungen. Berlin BfR-Wissenschaft 2012; H.1
Franco M et al: Hepatitis autoinmune desencadenada tras el consumo de bayas de Goji. Medicina Clinica (Barc). 2012; 139: 319–322
Arroyo-Martinez Q et al: Lycium barbarum: A new hepatotoxic "natural” agent? Digestive and Liver Disease 2011; 43; 749
Monzón Ballarín S et al: Anaphylaxis associated with the ingestion of Goji berries (Lycium barbarum). Journal of Investigative Allergology and Clinical Immunology 2011; 21: 567-570
Zhang J et al: Bleeding due to a probable interactio between warfarin and Gouqizi (Lycium Barbarum L.). Toxicology Reports 2015; 2: 1209-1212
Rätsch C: Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen. AT Verlag, Aargau 2012
O‘Mahoney Carey S: Psychoactive Substances. Clonmel o.J.
Gámez C et al: Goji berry. A potential new player in latex-food syndrome . Annals of Allergy, Athma and Immunology 2013; 110: 206-207
Carnés J et al: Recently introduced foods as new allergenic sources: sensitation to Goji berries (Lycium barbarum). Food Chemistry 2013; 137: 130-135
Vidal K et al: Intake of a milk-based wolfberry formulation enhances the immune response of young-adult and aged mice. Rejuvenation Research 2010; 13: 47-53
Zauli D et al: Anaphylaxis induced by Goji berries. Annals of Allergy, Asthma and Immunology 2015; 114: 535-536