Götz Aly über die Lage in Ost-Ghouta

Warum der Westen nicht militärisch intervenieren sollte

Ein Mann wird auf einer Trage aus Trümmern in der Stadt Hamouria, Ost-Ghouta, gerettet.
Die Angriffe in Ost-Ghouta treffen vor allem Zivilisten. © AFP / Abdulmonam Eassa
Moderation: Anke Schaefer |
400.000 Menschen werden momentan im syrischen Ost-Ghouta belagert. Trotz der dramatischen Situation lehnt Historiker Götz Aly eine Militärintervention ab. Die Idee, westliche Demokratie in Länder wie Syrien zu bringen, solle aufgegeben werden.
Obwohl der UN-Sicherheitsrat eine 30-tägige Waffenruhe gefordert hat, wird in Ost-Ghouta und in anderen Gebieten Syriens gekämpft. Angesichts der dramatischen Situation vor Ort will der UNO-Sicherheitsrat heute erneut über die Lage in Syrien beraten. Die Frage, ob es eine westliche Intervention geben sollte, beantwortet Götz Aly entschieden:
"Auf gar keinen Fall. Dafür gibt es auch keinen Grund."
Über den arabischen Frühling habe er sich keine Sekunde lang gefreut, erklärt Götz Aly. Er betrachtet diese Entwicklung sogar äußerst skeptisch:
"Ich habe immer wieder darüber geschrieben, dass hier nicht der Weg in eine Demokratie und in eine bessere Welt eröffnet wird. Implizit, ohne darüber zu reden, sind wir heilfroh, dass es inzwischen in Ägypten wieder eine Militärdiktatur gibt. Wir haben normale Verhältnisse, diplomatische Verhältnisse. Die westliche Intervention, gestützt durch eine andere Formulierung des UN-Sicherheitsrates in Libyen, hat zu sehr viel schlechteren Lebensverhältnissen dort geführt, als sie vorher bestanden haben, zu einem Zerfall des Staates. Dasselbe war vorher im Irak der Fall. Das sind westliche Ursachen. Daran hat Russland, daran hat ein Assad niemals mitgewirkt."

Kritischer Blick auf den arabischen Frühling

Die westlichen Demokratien seien in einem langen und konfliktreichen Entwicklungsprozess entstanden. Dass der Westen auch in den arabischen Ländern eine demokratische Entwicklung fördern könnte, hält Götz Aly für unwahrscheinlich:
"Wir sind nicht dazu berufen, unsere Lebensverhältnisse, die auf der Grundlage binneneuropäischer Verhältnisse von Reichtum aber auch hundertjährigen Kriegen, Konfessionskriegen, Nationalitätskriegen, die furchtbar waren, irgendwann in sehr, sehr langwierigen Prozessen entstanden sind. Gucken Sie, wie lange es gedauert hat bis in Deutschland eine halbwegs stabile Demokratie entstanden ist."
Angesichts der dramatischen Situation in Syrien fordern einige Stimmen, aus humanitären Gründen zu intervenieren, um dem Leiden der Zivilbevölkerung nicht tatenlos zuzuschauen. Götz Aly lehnt eine Intervention jedoch ab:
"Was sollen wir machen? Wir können die Sache aber von einer anderen Seite her betrachten: In Ost-Ghouta sitzen islamistische Terroristen. Sie nehmen die Zivilisten als menschliche Schutzschilder."
Der Historiker kritisiert außerdem die seiner Ansicht nach vorschnelle Unterscheidung der einzelnen Kriegsparteien in Gut und Böse:
"Wir haben jahrelang die Freie Syrische Armee für den Inbegriff des Guten hier verkauft - ich habe das nicht getan -, aber insgesamt haben es unsere Medien, unsere Politiker getan. Was macht die Freie Syrische Armee im Moment? Sie ist die Hilfstruppe der türkischen Intervention. Sind das die Guten?"
(mw/kb)

Götz Aly ist Zeithistoriker, Politikwissenschaftler und Publizist. Bekannt wurde er vor allem durch seine Forschung und Bücher über die Zeit des Nationalsozialismus und über Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts. In seinem Buch "Unser Kampf. 1968 – ein irritierter Blick zurück" (S. Fischer Verlag, 2008) setzte sich der 1947 geborene Aly aber auch sehr kritisch mit der eigenen Generation auseinander: Während seines Studiums in West-Berlin war Aly selbst in der Studentenbewegung aktiv.

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