Göttliche Gebote auf dem Prüfstand
Fernando Savater ist Spaniens bekanntester Philosoph. Die These in seinem neuen Buch lautet: In den aufgeklärten westlichen Demokratien sind die Ideale der christlichen Ethik zugrunde gelegt, und damit auch die Gebote aus dem Alten Testament der Bibel. Der bekennende Atheist prüft jedes einzelne der Gebote und fragt nach den historischen Umständen, unter denen sie entstanden sind, und nach ihrer Gültigkeit für die heutige Zeit.
Ist Fernando Savater ein religiöser Mensch?
Nein. Er hat zwar eine katholische Erziehung genossen, aber er gehört zur Generation der 68er, hat politisch immer links gestanden und ist ein bekennender Atheist. Er sagt auch ganz offen: " Wenn sich Menschen ernsthaft über Gott und ihren Glauben unterhalten – ich habe noch nie kapiert, worum es da eigentlich geht."
Warum beschäftigt er sich dann mit den Zehn Geboten?
Weil er ein politischer Mensch ist. Und ein Philosoph, der sich seit langem mit Fragen einer demokratischen Ethik beschäftigt. Savater ist nämlich überzeugt: Eine Demokratie kommt nicht ohne moralische Grundnormen aus, und diese moralischen Normen des Umgangs zwischen den Bürgen, die müssen öffentlich diskutiert und ausgehandelt werden.
In Spanien tut das besonders Not, sagt Savater, denn auch nach dem Ende der Franco-Diktatur ist das Land nicht zur Ruhe gekommen. Da gibt es die Separatisten in Katalonien, und im Baskenland wütete bis vor kurzem die ETA. Von echten demokratischen Umgangsformen, mit denen alle Spanier "können", kann bis heute keine Rede sein.
Und da sollen ausgerechnet die alten Gebote aus der Bibel helfen?
Vielleicht. Auf alle Fälle muss man sie erstmals ins öffentliche Bewusstsein rücken, meint Savater. Denn diese Gebote bilden – ob nun zugegeben oder nicht – das Fundament der Verfassung in den Demokratien der westliche Welt. Denn diese ursprünglich jüdischen Gebote sind ja durch das Christentum nach Europa gekommen, und, nehmen Sie die Bürgerrechte der amerikanische Verfassung von 1787 oder die Ideale der Französischen Revolution "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit": das alles hätte Jesus auch formulieren können, er hat es vielleicht sogar als erster formuliert. - In den aufgeklärten westlichen Demokratien sind die Ideale der christlichen Ethik zugrunde gelegt, und damit auch die Gebote aus dem Alten Testament der Bibel.
Savater selbst ist sehr bemüht, diese Gebote in die öffentliche Diskussion zu bringen. Das Buch hier ist nämlich das Script einer Sendung des spanischen Fernsehens. Da hat es neulich zehn Folgen gegeben über die zehn Gebote der Bibel.
Die Moses angeblich von Gott empfangen hat, so steht es zumindest im Alten Testament …
Da ist Savater natürlich anderer Meinung: diese Gebote sind nicht "vom Himmel gefallen". Das sind Regeln, die die Juden unter Moses höchstselbst aufgestellt haben, um ein friedliches und geregeltes Zusammenleben des Volkes zu sichern. Die Gebote sind also das Produkt einer Übereinkunft von Menschen. Sie wurden nur als "göttliche Gebote" ausgegeben, um ihnen die nötige Autorität zu verschaffen.
Und sind inzwischen zweieinhalbtausend Jahre alt …
Natürlich muss man prüfen, wie wurden diese Gebote vor zweieinhalbtausend Jahren verstanden? Wie könnte man diese Gebote heute verstehen? Gibt es welche, die sich inzwischen überlebt haben? Müssten neue hinzukommen? All diese Fragen werden in diesem Buch verhandelt.
Apropos "überlebt". – Was sagt Savater zu dem biblischen Gebot "Du sollst nicht ehebrechen?
Zuerst einmal erklärt er uns, unter welchen historischen Bedingungen dieses Gebot zustande kam: Es kam zustande, als eine Übereinkunft der jüdischen Besitzbürger, denen es darum ging, Fragen der Familien-Versorgung und der Erbschaft zu regeln. Damit ein Mann eindeutig weiß, wen er zu versorgen hat, muss er wissen, welches genau seine Kinder sind und wer die Mutter seiner Kinder. Nur wenn das klar ist, kann man einen Mann auch zur Versorgung verpflichten. So haben die Juden vor mehr als 2000 Jahren gedacht.
Und heute? Wenn man die Dinge rein wirtschaftlich betrachtet, meint Savater, so ist das Gebot "Du sollst nicht ehebrechen!" natürlich antiquiert. Denn heute kann eine allein stehende Mutter sich und ihren Nachwuchs selbst versorgen, auch der Kindesvater wird trotz Trennung zur Versorgung verpflichtet oder der Staat springt als Versorger ein.
Das Gebot "Du sollst nicht ehebrechen!" ist aber – unausgesprochen - vollkommen präsent im öffentlichen Bewusstsein. Schauen Sie sich die Boulevardpresse an: Jeder Promi, der mit einer anderen als der eigenen Frau im Bett erwischt wird, darf sich was anhören …
Moralvorstellungen sind eben zählebig, meint Savater. Sie halten sich länger als die ökonomischen Interessen, die ihnen ursprünglich zugrunde lagen. Savater hält die Polygamie für natürlicher als die Monogamie und schreibt: "Vielleicht wird es für Menschen, die zusammenleben, schon bald kein Grund mehr sein, einander die Partnerschaft aufzukündigen, auch wenn sie gelegentlich mit anderen Menschen ins Bett gehen". – Aber Savater ist ein echter Demokrat, er hält seine Meinung nicht für das Maß aller Dinge. Er zitiert auch einen jüdischen Rabbi, der weiterhin darauf besteht "Du sollst nicht ehebrechen!". Genauso wie den Chef eines Swinger-Clubs, der sagt, seine Frau könne es ruhig auch mit anderen Männern treiben, aber nur, wenn er dabei ist. – " Da soll jeder nach seiner Fasson glücklich werden", schreibt Savater. Vom Standpunkt einer demokratischen Vernunft jedenfalls ist alles moralisch in Ordnung, was zwei erwachsene Menschen miteinander tun – vorausgesetzt, sie wollen es beide.
Wie liest sich das Buch insgesamt?
Für Leute, die es gern logisch stringent und systematisch haben, ist das Buch ziemlich anstrengend. Da gibt es viele Gedankensprünge, da gibt es "einerseits" und "andererseits", vieles wird nur angedacht und nicht ausgeführt. Und die Übersetzung, scheint mir, ist auch nicht die beste. Fernando Savater gilt in Spanien als ein glänzender Stilist. Davon ist in der deutschen Ausgabe wenig zu spüren.
Aber das Buch hat eine große Stärke. Es zwingt den Leser, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten – das ärgert einen manchmal, weil man ja doch einen Standpunkt hat, den man nicht gerne in Frage stellen lässt. Aber Savater schafft das. Er ist "pädagogisch wertvoll", versteht sich auf den "sanften Zwang", nötigt einen geradezu, auch mal "in den Schuhen der anderen zu gehen". Das Buch ist eine starke Lektion in Sachen demokratisches Denken.
Fernando Savater: Die Zehn Gebote im 21. Jahrhundert. Tradition und Aktualität von Moses’ Erbe
Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg
Wagenbach Verlag. Berlin 2006
160 Seiten, 16,50 Euro
Nein. Er hat zwar eine katholische Erziehung genossen, aber er gehört zur Generation der 68er, hat politisch immer links gestanden und ist ein bekennender Atheist. Er sagt auch ganz offen: " Wenn sich Menschen ernsthaft über Gott und ihren Glauben unterhalten – ich habe noch nie kapiert, worum es da eigentlich geht."
Warum beschäftigt er sich dann mit den Zehn Geboten?
Weil er ein politischer Mensch ist. Und ein Philosoph, der sich seit langem mit Fragen einer demokratischen Ethik beschäftigt. Savater ist nämlich überzeugt: Eine Demokratie kommt nicht ohne moralische Grundnormen aus, und diese moralischen Normen des Umgangs zwischen den Bürgen, die müssen öffentlich diskutiert und ausgehandelt werden.
In Spanien tut das besonders Not, sagt Savater, denn auch nach dem Ende der Franco-Diktatur ist das Land nicht zur Ruhe gekommen. Da gibt es die Separatisten in Katalonien, und im Baskenland wütete bis vor kurzem die ETA. Von echten demokratischen Umgangsformen, mit denen alle Spanier "können", kann bis heute keine Rede sein.
Und da sollen ausgerechnet die alten Gebote aus der Bibel helfen?
Vielleicht. Auf alle Fälle muss man sie erstmals ins öffentliche Bewusstsein rücken, meint Savater. Denn diese Gebote bilden – ob nun zugegeben oder nicht – das Fundament der Verfassung in den Demokratien der westliche Welt. Denn diese ursprünglich jüdischen Gebote sind ja durch das Christentum nach Europa gekommen, und, nehmen Sie die Bürgerrechte der amerikanische Verfassung von 1787 oder die Ideale der Französischen Revolution "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit": das alles hätte Jesus auch formulieren können, er hat es vielleicht sogar als erster formuliert. - In den aufgeklärten westlichen Demokratien sind die Ideale der christlichen Ethik zugrunde gelegt, und damit auch die Gebote aus dem Alten Testament der Bibel.
Savater selbst ist sehr bemüht, diese Gebote in die öffentliche Diskussion zu bringen. Das Buch hier ist nämlich das Script einer Sendung des spanischen Fernsehens. Da hat es neulich zehn Folgen gegeben über die zehn Gebote der Bibel.
Die Moses angeblich von Gott empfangen hat, so steht es zumindest im Alten Testament …
Da ist Savater natürlich anderer Meinung: diese Gebote sind nicht "vom Himmel gefallen". Das sind Regeln, die die Juden unter Moses höchstselbst aufgestellt haben, um ein friedliches und geregeltes Zusammenleben des Volkes zu sichern. Die Gebote sind also das Produkt einer Übereinkunft von Menschen. Sie wurden nur als "göttliche Gebote" ausgegeben, um ihnen die nötige Autorität zu verschaffen.
Und sind inzwischen zweieinhalbtausend Jahre alt …
Natürlich muss man prüfen, wie wurden diese Gebote vor zweieinhalbtausend Jahren verstanden? Wie könnte man diese Gebote heute verstehen? Gibt es welche, die sich inzwischen überlebt haben? Müssten neue hinzukommen? All diese Fragen werden in diesem Buch verhandelt.
Apropos "überlebt". – Was sagt Savater zu dem biblischen Gebot "Du sollst nicht ehebrechen?
Zuerst einmal erklärt er uns, unter welchen historischen Bedingungen dieses Gebot zustande kam: Es kam zustande, als eine Übereinkunft der jüdischen Besitzbürger, denen es darum ging, Fragen der Familien-Versorgung und der Erbschaft zu regeln. Damit ein Mann eindeutig weiß, wen er zu versorgen hat, muss er wissen, welches genau seine Kinder sind und wer die Mutter seiner Kinder. Nur wenn das klar ist, kann man einen Mann auch zur Versorgung verpflichten. So haben die Juden vor mehr als 2000 Jahren gedacht.
Und heute? Wenn man die Dinge rein wirtschaftlich betrachtet, meint Savater, so ist das Gebot "Du sollst nicht ehebrechen!" natürlich antiquiert. Denn heute kann eine allein stehende Mutter sich und ihren Nachwuchs selbst versorgen, auch der Kindesvater wird trotz Trennung zur Versorgung verpflichtet oder der Staat springt als Versorger ein.
Das Gebot "Du sollst nicht ehebrechen!" ist aber – unausgesprochen - vollkommen präsent im öffentlichen Bewusstsein. Schauen Sie sich die Boulevardpresse an: Jeder Promi, der mit einer anderen als der eigenen Frau im Bett erwischt wird, darf sich was anhören …
Moralvorstellungen sind eben zählebig, meint Savater. Sie halten sich länger als die ökonomischen Interessen, die ihnen ursprünglich zugrunde lagen. Savater hält die Polygamie für natürlicher als die Monogamie und schreibt: "Vielleicht wird es für Menschen, die zusammenleben, schon bald kein Grund mehr sein, einander die Partnerschaft aufzukündigen, auch wenn sie gelegentlich mit anderen Menschen ins Bett gehen". – Aber Savater ist ein echter Demokrat, er hält seine Meinung nicht für das Maß aller Dinge. Er zitiert auch einen jüdischen Rabbi, der weiterhin darauf besteht "Du sollst nicht ehebrechen!". Genauso wie den Chef eines Swinger-Clubs, der sagt, seine Frau könne es ruhig auch mit anderen Männern treiben, aber nur, wenn er dabei ist. – " Da soll jeder nach seiner Fasson glücklich werden", schreibt Savater. Vom Standpunkt einer demokratischen Vernunft jedenfalls ist alles moralisch in Ordnung, was zwei erwachsene Menschen miteinander tun – vorausgesetzt, sie wollen es beide.
Wie liest sich das Buch insgesamt?
Für Leute, die es gern logisch stringent und systematisch haben, ist das Buch ziemlich anstrengend. Da gibt es viele Gedankensprünge, da gibt es "einerseits" und "andererseits", vieles wird nur angedacht und nicht ausgeführt. Und die Übersetzung, scheint mir, ist auch nicht die beste. Fernando Savater gilt in Spanien als ein glänzender Stilist. Davon ist in der deutschen Ausgabe wenig zu spüren.
Aber das Buch hat eine große Stärke. Es zwingt den Leser, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten – das ärgert einen manchmal, weil man ja doch einen Standpunkt hat, den man nicht gerne in Frage stellen lässt. Aber Savater schafft das. Er ist "pädagogisch wertvoll", versteht sich auf den "sanften Zwang", nötigt einen geradezu, auch mal "in den Schuhen der anderen zu gehen". Das Buch ist eine starke Lektion in Sachen demokratisches Denken.
Fernando Savater: Die Zehn Gebote im 21. Jahrhundert. Tradition und Aktualität von Moses’ Erbe
Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg
Wagenbach Verlag. Berlin 2006
160 Seiten, 16,50 Euro