Götterspeise und Fußballgötter

Gedanken über das Himmlische im Irdischen

Zwei Schüsseln mit roter und eine Schüssel mit grüner "Götterspeise"
Die "Götterspeise" etwa bezeichnet im Deutschen ein ziemlich profanes Dessert, den Wackelpudding. © dpa-Zentralbild/Martin Schutt
Von Matthias Dell · 03.11.2018
Dafür, dass wir in einer säkularen Gesellschaft leben, benutzen wir den Gottesnamen geradezu inflationär. Ein Kniff, mit dem wir Dinge wie die profane Götterspeise aufwerten wollen, mutmaßt Matthias Dell - genauso wie auch Zweitliga-Kicker.
Gott ist ziemlich präsent, wenn man bedenkt, dass er eigentlich tot ist. Die säkulare Gesellschaft ist im Umgang mit dem Gottesnamen ziemlich frei, und das muss man nicht blasphemisch finden: Wer nicht an Gott glaubt, für den gilt auch das zweite Gebot nicht mehr. Das lautet bekanntlich: "Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen."
Nun wäre es vermutlich am gründlichsten, ein Hardcore-theologisches Oberseminar zu der Frage zu veranstalten, ob all die Aneignungen des Gottesnamens in unserer Sprache schon Missbrauch genannt werden müssen. "Göttlich" meint heute etwa einen Ausdruck prallster Zufriedenheit als Beschreibung für eine Erfahrung, die so nicht zu erwarten war. Insofern überlebt auch hier ein Rest vom Glauben, dass die Wege des Herrn unergründlich sind.
Oder als paradiesisch: Die "Götterspeise" etwa bezeichnet im Deutschen ein ziemlich profanes Dessert, den Wackelpudding, weshalb der Gottesbezug hier unbedingt als trickreiche Aufwertung verstanden werden muss: Ohne diese Bezeichnung würde die unterirdische Realität der Süßspeise viel stärker ins Auge fallen. Für theologische Diskussionen dürfte die Götterspeise aber vermutlich uninteressant sein, weil sie unmöglich aus einem monotheistischen Kochbuch hervorgegangen sein kann.

Die ganz profanen Fußballgötter

Dagegen ist der moderne Fußball zum eigentlichen Schauplatz des Göttlichen geworden. Hierhin hat sich der Glauben verlagert, wenn Fans sich mittlerweile in Stadien trauen und beerdigen lassen, wenn in der Halbzeit der Stadionsprecher die Namen von Verstorbenen verkündet wie die Pfarrerin in der Kirche.
Komischerweise hat in der hochkommerziellen Sphäre des modernen Fußballs eine Idee von Demut und Bewunderung überlebt. Denn der Begriff des "Fußballgottes" ist gerade nicht für die Besten der Besten reserviert wie Messi oder Neymar. Und er hat immer zugleich zwei Bedeutungen.
Zum einen ist der "Fußballgott" Ausdruck einer höheren Macht. So verschafft er dem Spiel mit ungewissen Ausgang einen Sinn, den der Zufall verweigert. Denn zumeist wird das Fehlen des Fußballgottes beklagt, wenn empfundene Gerechtigkeit versagt bleibt – eine Mannschaft, die das Spiel beherrscht hat, gekämpft hat, am Ende doch nicht als Sieger vom Platz geht.
Zum anderen ist der "Fußballgott" aber auch eine praktische Ehrerweisung für den Hausgebrauch. Als Herbert Zimmermann in seiner legendären Radioreportage vom WM-Finale 1954 den deutschen Torhüter mit den Worten feierte:
"Turek, du bist ein Teufelskerl. Turek, du bist ein Fußballgott."
...zog das noch Rüffel und Diskussionen nach sich. Dabei ist die Nähe von Himmel und Hölle in Zimmermanns Begeisterung ja durchaus interessant. Heute muss man als Spieler dagegen nicht mehr im WM-Finale stehen, um zum "Fußballgott" promoviert zu werden. Die Anhänger des Berliner Vereins Union etwa würdigen, wenn die Aufstellung ihrer Mannschaft verlesen wird, jeden Aktiven nicht wie üblich durch das gemeinsame Ausrufen seines Nachnamens. Sondern durch die nachgeschobene Erhöhung ins Himmlische:
"Die Nr. 28 heißt Christopher Trimmel – Fußballgott."

Innige Flexibilität dem Gottesbegriff gegenüber

Was putzig ist, weil die kickenden Angestellten eines Zweitligaklubs von den höchsten Sphären der Fußballkunst per se weit entfernt sind. Zudem wird jede Saison munter gewechselt, weshalb immer neue Fußballgötter ausgerufen werden müssen, während die alten ihren Status auch dann nicht verlieren, wenn sie als Spieler eines gegnerischen Teams im Union-Stadion auflaufen.
In dieser innigen Flexibilität steckt vielleicht die genaueste Beschreibung davon, wie man sich "Gott" heute praktisch vorstellen kann: als Ausdruck einer Bereitschaft zur Demut, die durchaus auf Ewigkeit abonniert ist. Und zugleich das Einzigartigkeitsversprechen munter inflationiert.
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