Götter in Saris

Die Hijras und ihr Fest

Mitglieder der Trensgender Community in Indien
Mitglieder der Trensgender Community in Indien © picture alliance / dpa / Harish Tyagi
Von Gerd Brendel · 12.09.2015
Einmal im Jahr steht die heterosexuelle Gesellschaft Kopf in Tamil Nadu: Dort feiern Transvestiten aus ganz Indien - die Hijras - ihren Gott Krishna und seine Hochzeit mit dem Helden Aravan. Das Fest erinnert an Dorfkirmes und Christopher Street Day.
Jedes Jahr Ende April wird die Kleinstadt Villupuram in Tamil Nadu zur Hauptstadt der Hijras. Hijras, die Ausgestoßenen, so werden in Indien Transvestiten und Transsexuelle genannt. Drei Tage und Nächte bevölkern sie die Restaurants und machen die Straßen zu ihrem Laufsteg. Kein Mensch stört sich an den Sari-tragenden Männern, denn das Koovagam-Fest zu Ehren ihrer Götter Krishna und Aravan wird von allen gefeiert. Die Geschichte, die die Hijras in den nächsten 48 Stunden nacherleben, steht im Mahabarata, dem großen Götterepos Indiens. Es ist der Mythos vom Opfer um einer gerechten Sache willen, an deren Ende aus den Ausgestoßenen Aravanis - Götterbräute werden.
"in the mahabarata a prince should be sacrificed in the battle field."
Sheila, die eigentlich Paul Benjamin heißt, pilgert seit zehn Jahren zum Fest zu Ehren Aravans.
"So they could win the battle Arjuna princes get married to the prince."
Die große Schlacht zwischen den Kauravas und den Pandavas steht bevor. Ein Prinz soll den Göttern geopfert werden, damit die Pandavas den Krieg für sich entscheiden. Die Wahl fällt auf Aravan, der Sohn des Helden Arjuna und der Schlangenprinzessin Ulupi. Bevor er einwilligt stellt er eine Bedingung: Er will ein einziges Mal mit einer Frau Sex haben. Arjuna läßt im ganzen Land nach einer Braut für seinen Sohn suchen – vergeblich.
Kein Wunder, wurde doch im alten Indien von Witwen erwartet, das Schicksal ihres Mannes zu teilen. Aber Krishna, der Gott, der vielen Gestalten, hatte den rettenden Einfall. Er erscheint für eine Nacht als Frau. Diesen Einfall feiern die Hijras hier.
Über die Wahl zur "Miss Koovagam" berichten die Medien landesweit. Stolz tritt die Gewinnerin des Schönheitswettbewerbs vor die Kameras und Mikrofone: Praveena Madurai, eine Informatikerin aus Tamil Nadu, die sich zweisprachig gegen die Diskriminierung der „Hijras" wendet: Wir haben eine Ausbildung und wir können uns benehmen,
"We are educated, and we know how to behave."
Praveena steht für eine neue selbstbewußte Generation von Hijras wie Sheila. Heute arbeitet die Transsexuelle als Streetworker und Therapeutin in einer Selbsthilfeorganisation in Chennai.
"I went to college ... I was a street based sexworker."

"Ich bin bis zum Bachelor aufs College gegangen. Das war hart genug. Ältere Studenten zwangen mich oft zum Sex. Zuhause gab es auch dauernd Ärger. Mein ältester Bruder prügelte mich grün und blau. Da bin ich weg nach Bombay. Als Hijra hatte ich keine Chance auf einen Job: also schloß ich mich einer Hijra-Familie an. Tagsüber mit meinen Schwestern betteln, nachts Sex gegen Geld. Das war mein Leben."
Im Familienland Indien können auch Hijras ohne die Gruppe nicht überleben. Die meisten Hijras leben in eigenen Ersatzfamilien unter der strengen Fürsorge einer erfahrenen Transsexuellen. "Guru" wird das Familienoberhaupt respektvoll genannt.
"What I earned I have t... gives you saris that´s it."

Alles was man verdient muss man seiner Guru-Mutter abgeben, dafür sorgt sie für Essen, Unterkunft, Kleidung
Die Hijras haben sich über Jahrhunderte nicht nur ihre eigenen Familien erfunden. Sie haben auch einen Platz im indischen Götterhimmel erobert als Aravanis , als Bräute des Gottes Aravan.
In ihrem Hotel in Villupuram ziehen Sheila und ihre Schwestern ein letztes Mal die roten Lippen nach. Es wird Zeit den Göttern zu huldigen und ihr Schicksal zu teilen. In Kleinbussen und Taxen legen die Pilgerinnen die letzte Etappe ihrer Reise zurück: in das Dorf Koovagam zum Tempel des vergöttlichten Prinzen Aravan.
Eine Nacht vor seinem Opfertod hatte sich noch keine Frau gefunden, die bereit war mit ihm die Hochzeitsnacht zu verbringen.
"So lord Krishna ... , get mangalsutra"
Gott Krishna erbarmt sich seiner und nimmt die Gestalt einer Frau an um Aravan für eine Nacht zu heiraten. Deswegen verstehen wir uns als Kinder von Gott Krishna: Wie er verwandeln wir uns von Männer in Frauen und wie er verheiraten wir uns heute mit Aravan.
Zehn Rupien , ein kleines Trinkgeld kostet die Schnellheirat mit dem Gott im Heiligtum. Tausende drängen sich durch die enge Tür ins Allerheiligste. Schmieriger Nebel aus Schweiß, Räucherkerzen, Feuer und Gottesnähe raubt einem den Atem. In einer Ecke knotet ein junger Priester MangalSutras die rituelle Schnurr verheirateter Frauen hinter Langhaarperücken und Hemdkragen. Nicht nur Aravanis verheiraten sich mit Aravan, auch ganz normale Dorfjungen stehen für das Ritual an, aus Dankbarkeit für erhörte Gebete.
Ich bin nicht transgender,. aber das ist mein Dorfgott-das ist meine Dorfkirmes und alle sind froh.
Der Straßenhändler Himanshu macht an diesem Abend glänzende Geschäfte: Und nicht nur er: die Dorfgasse hinter dem Tempel säumen Stände mit allem möglichen von Plastikspielzeug made in china bis zu Devotionalien. Alte, Familien, Kleinkinder alles ist auf den Beinen. Die Aravanis mitten drin.

Nach ihrer Schnellheirat im Tempel trippelt Sheila über die Reisfelder hinter dem Dorf und verteilt Kondome.
"They have the wedding night also have sex to whomever they like."
Die Aravanis vollziehen ihre Hochzeitsnacht hinter Büschen und Gräben , stellvertrittend für den himmlischen Gatten mit den männlichen Festbesuchern.
Hier kommt jeder als ein Gott und ein Trinkgeld erhöht die Chancen des jeweiligen Bräutigams. Ein paar Metern von der Dorfkirmes beginnt die große Open-Air-Orgie
Am nächsten Morgen zieht der Götterheld als zehn Meter hohe Holzpuppe durch das Dorf in die Schlacht. Und wenn am Ende Aravaans seinen roten Fratzenkopf verliert, trauern die frisch gebackenen Witwen lautstark.
Ein paar Stunden später ist das Fest vorbei. Zurück im Hotelzimmer träumt Sheila beim Kofferpacken von einer Hochzeit im richtigen Leben:
"I would love to.. it is still a crime."
Ich fände es so großartig wenn die Regierung uns gestatten würde, ganz legal zu heiraten, in der Kiche, im Tempel, aber das ist nach wie vor verboten.
Heiraten dürfen Sheila und die andern in Indien nur einen : Aravan. für den eine Hijra für eine Nacht zum Gottesgeschenk wurde.
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