Goethes "Clavigo" in Salzburg

Clownstheater statt Tränendrüse

Franziska Machens als "Buenco" bei einer Probe zu "Clavigo" in Salzburg in der Inszenierung von Stephan Kimmig.
Franziska Machens als "Buenco" bei einer Probe zu "Clavigo" in Salzburg in der Inszenierung von Stephan Kimmig. © picture alliance / dpa / Barbara Gindl
Von Michael Laages · 27.07.2015
Vier von fünf Rollen besetzt Stephan Kimmig in seiner "Clavigo"-Inszenierung gegengeschlechtlich. Das bleibt nach Meinung unseres Kritikers Michael Laages aber auch die einzig brauchbare Idee an einem ansonsten maßlos überladenen Theaterabend.
So weit, so – immerhin - schlüssig: Macho von dieser miesen Sorte ist der Mann hier nicht, schon weil er eine Frau ist. Goethes frühem Stück "Clavigo" hat Stephan Kimmigs Team für die Inszenierung im Rahmen der Salzburger Festspiele alle schlichtere Dramaturgie ausgetrieben; und das gründlich.
Vier von fünf Rollen sind gegengeschlechtlich besetzt: Clavigo ist eine Frau, die von ihm verlassene Geliebte Marie also logischerweise ein Mann, deren Bruder wiederum eine Frau und beider Freund auch.
Die letzte Konsequenz dieser (wie gesagt) tendenziell überzeugenden Idee allerdings fehlt - Clavigos Berater Carlos, "Mastermind" und Antreiber hinter dem Macht- und Karrierestreben des künstlerischen Aufsteigers, darf als Mann wirklich Mann bleiben. Nur zu Beginn nicht – da trägt auch er schwarzes Tutu und mimt den weiblichen Clown.
Völlig überladen
Wenn doch dieser Abend nicht so maßlos überladen wäre! Neben dem Geschlechtertausch nämlich (letztlich auch bloß einer defensiven Idee, weil sie ja nur Mann-Frau-Klischees vermeiden helfen soll!) muss dieser Salzburger Goethe mit dem Ensemble des Deutschen Theaters aus Berlin auch noch werkhistorisch verankert werden.
Denn etwa zeitgleich mit dem dramatischen Ersterfolg schrieb Goethe ja auch noch das "Concerto dramatico", eine Sprach-Phantasterei fast in Ernst Jandls Geist, und vor allem "Hanswursts Hochzeit", eine grob-pornographische Jahrmarktstrubelei – und weil das nun mal so war, treibt Kimmig das Ensemble auch noch auf den Rummelplatz und lässt es dort zu Beginn erstmal eine Weile rumblödeln wie nichts Gutes in schrillstmöglicher Kostümierung von Johanna Pfau.
Herr/Frau Clavigo ist da eine Art Cindy-von-Marzahn-Trumm in Glitzerbunt … aber die wie immer sehr starke Susanne Wolff kann halt alles tragen.
Marcel Kohler (l) als "Marie Beaumarchais" und Susanne Wolff als "Clavigo" bei einer Probe zu Stephan Kimmigs "Clavigo"-Inszenierung in Salzburg.
Marcel Kohler (l) als "Marie Beaumarchais" und Susanne Wolff als "Clavigo" bei einer Probe zu Stephan Kimmigs "Clavigo"-Inszenierung in Salzburg.© picture alliance / dpa / Barbara Gindl
Dazu mischt sich viel Video ein, um die tatsächliche Liebesgeschichte zwischen Fräulein Clavigo und Herrn Marie wenigstens anzudeuten irgendwo in der Großstadt von heute; raumgreifende Reflexionen machen sich dann auch sehr breit – über den immerzu himmelwärts strebenden, sich selbst zum Gott und Herrn über alles verklärenden Künstler oder über die Sehnsucht nach der Kunst als Retterin der Welt.
Heißluftballon auf der Bühne
Für all das hat Eva-Maria Bauer einen allemal schön sinnstiftenden Heißluftballon auf die Bühne gezaubert – erst spielt das Ensemble vor der wehenden Hülle, dann liegt der Ballon erst halb, dann ganz platt am Boden, schließlich erhebt er sich wieder; passend zu Goethes sehr schlichter, geradezu armseliger Dramaturgie.
Marie (Marcel Kohler) war zu Beginn schon verraten, dann zwingen die RächerInnen (Kathleen Morgeneyer & Franziska Machens) Clavigo zur Unterwerfung – und Carlos (Moritz Grove) überredet ihn zur abermaligen Flucht aus der Verantwortung. Mehr passiert ja nicht. Marie siecht derweil dahin, schreibt schließlich das Wort "tot" mit Lippenstift auf einen Garderobenspiegel.
Aber unter all der Überladung aus Kimmigs unversieglichem Ideenschatz (der auch "spoken word performance" umfasst, also englisch vor sich hin plappernde Brachial-Lyrik am Mikrofon) ist selbst dieses bisschen Stück kaum noch auszumachen.
Der Ballon ist abgestürzt
Zu sehr beschäftigen zudem die Tücken der Grammatik – denn zwar sind die Geschlechter vertauscht, aber "er" und "sie" im Text durchaus nicht. Die Wirrnis wächst – und zu allem Unglück muss der zunehmend ausfasernde Abend auch noch ohne jedes Tempo auskommen. "Normal" ist "Clavigo" für 100 Minuten gut; dank viel Zugabe-Text (bei reichlich Streichung) sind hier zwei Stunden abzusitzen, die sich allerdings anfühlen wie dreieinhalb.
Da kann dieser Goethe so bunt und zirkusfrech daherkommen wollen, wie er will – letztlich bleibt er zäh und fad und langweilig wie lange keiner mehr.
So hat sich die gute Idee vom Beginn zum Armutszeugnis gewandelt. Der Ballon ist wieder abgestürzt. Das Salzburger Publikum spendet reichlich Widerspruch.
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