Ein unbeirrter Intellektueller
Der Philosoph Sadiq al-Azm kämpfte in seiner Heimat Syrien für Aufklärung und die Trennung von Glaube und Wissen. Inzwischen lebt er als Flüchtling in Deutschland. Nun wurde er mit der Goethe-Medaille geehrt.
"Homs, Ort der Sehnsucht" heißt das Stück auf der Ud, der arabischen Laute, das sich Sadiq al-Azm gewünscht hat. Der weltbekannte Philosoph ist ein Flüchtling, so wie Millionen andere Syrer. Er genießt Asyl in Deutschland und ist doch das erste Mal in Weimar – um die Goethe-Medaille entgegenzunehmen.
Er sei Deutschland zutiefst dankbar für die Ehrung in einer Zeit, in der Syrien blute und er auf der Flucht sei, sagt er. Unendlich groß sei seine Bewunderung für das deutsche Engagement, so vielen Syrern einen sicheren Hafen zu bieten.
Ihm, dem die deutsche Philosophie, Kant und Marx zuvorderst, intellektuelle Heimat ist, ist nun Deutschland auch zur realen Zuflucht geworden – vor den arabischen Despoten und muslimischen Fanatikern, vor denen, die in seinen Augen jeden Fortschritt verhindern. Wohl selten war so viel Welt, so viel Aktualität bei der Verleihung der Goethe-Medaille zugegen, selten der West-Östliche Divan Goethes so präsent wie heute, auch wenn dem Preisträger Sadiq al-Azm Goethes "Faust" noch näher liegt.
Sadiq al-Azms Bücher sind in den meisten arabischen Ländern verboten
Als er in Beirut und Damaskus deutsche Geschichte lehrte, so erzählte er in seiner Dankesrede für die Goethe-Medaille, habe er festgestellt, dass "Faust" die beste Einführung in die Bedeutung der Moderne sei, in ihren tragischen Implikationen und zuweilen kosmischen Ausprägungen. Vergleichbar mit der "Ilias" als Einführung in die griechische Zivilisation und Kultur.
Sadiq al-Azm hat in Damaskus und Beirut, in Princeton wie in Berlin gelehrt und Bücher auf Arabisch und Englisch publiziert. In den meisten arabischen Ländern sind sie verboten. Dafür, dass der renommierte Philosoph die europäische Moderne, die Aufklärung, die Trennung von Glaube und Wissen dennoch in seine Heimat getragen hat, wurde er in Weimar geehrt. Al-Azms Laudator, der Islamwissenschaftler Stefan Wild, pries dessen unbeirrten intellektuellen Weg. Al-Azm würde trotz aller Rückschläge an die Aufklärung als einzige Chance, sich aus Unmündigkeit und Unfreiheit zu befreien, glauben.
"Sadiq weiß natürlich, was schon Voltaires Candide wußte: Die Welt ist weder ein Garten Eden noch die beste aller Welten, sondern voller Grausamkeit. Candide schickte sich im letzten Satz von Voltaires Buch trotz Feuer und Blut an, seinen 'Garten zu bestellen'. Sadiq al-Azm bestellt keinen Garten. Aber er ist schon dabei, für uns ein neues Buch zu schreiben."
Goethe-Medaillen auch für Neil MacGregor und Eva Sopher
Sadiq al-Azm lebt in Berlin. Der andere Goethe-Medaillen-Preisträger diesen Jahres wird bald in Berlin leben: Neil MacGregor, Direktor des British Museum und zukünftiger Gründungsintendant für das Humboldt-Forum in Berlin. Er wird geehrt für seine einzigartige Fähigkeit, fremde Kulturen zu vermitteln, verständlich zu machen – etwa in der bahnbrechenden Deutschland-Ausstellung im vergangenen Jahr, die den Briten ein anderes, ein neues Bild von Deutschland jenseits der Klischees vermittelte. In seiner Dankesrede für die Goethe-Medaille pries er augenzwinkernd die Vielfalt der deutschen Sprache:
"Als ich die überraschende Nachricht empfing, dass man mir die Goethe-Medaille zuerkannt hatte, so war ich nicht nur – auf Englisch – extremely happy, konnte aber auch ohnehin als germanophil frohlocken, jubeln, jauchzen und jubilieren!"
Und so wie MacGregor in seinem vielgerühmten Werk "Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten" eine ganze Kultur in einem Faustkeil, einer Statue, einer Münze entdeckte, so findet er auch in Weimar die Welt in einer Nussschale – bei Goethe.
"Er wusste aus allen Traditionen – englisch, persisch, griechisch – Einsicht und Weisheit zu schöpfen. In seinem Haus am Weimarer Frauenplan wurden Pflanzen und Mineralien, Kunstwerke und Gipsabgüsse aus allen Ländern gesammelt. Die Welt unter einem Dach, auf dass sie studiert werde und erfasst. A British Museum for one person!"
Dritte Preisträgerin der diesjährigen Goethe-Medaille ist die Präsidentin des Theatros Sao Pedro in Brasilien, Eva Sopher. Sie war als Teenager in den 30er-Jahren mit ihren Eltern vor der rassischen Verfolgung in Deutschland nach Brasilien geflohen. Nun leitet sie seit inzwischen 40 Jahren ihr Theater, in dem auch immer wieder deutsche Künstler und deutsche Kultur auftreten. In einer Videobotschaft wandte sie sich an das Weimarer Publikum.
"Wenn ich hin und wieder das Gefühl habe, zwischen zwei Stühlen zu sitzen, fühle ich mich heute als kulturelle Brückenbauerin und als Weltbürgerin."