Göring-Eckardt kritisiert geplantes Elterngeld

Moderation: Birgit Kolkmann · 24.11.2005
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt hat sich gegen das geplante Elterngeld-Modell der neuen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) ausgesprochen. Im Deutschlandradio Kultur sagte die Grünen-Politikerin, die neue Regierung verfolge den falschen Ansatz.
Kolkmann: (…) Ich begrüße jetzt in der Ortszeit Katrin Göring-Eckardt von den Bündnis-Grünen und neue Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Frau Göring-Eckardt, eine Frau hat es an die Spitze der Regierung geschafft, das wird international sehr beachtet, auch als ein Stück vollendete Demokratie. Wie bewerten Sie das?

Göring-Eckardt: Dass es eine Frau und eine Ostdeutsche geschafft hat im vereinigten Deutschland, das ist, glaube ich, für viele Frauen, gerade für junge Frauen - wenn es um Vorbilder geht -, ein positives Signal. Das wird die Bilder verändern, vielleicht auch den Stil in der Politik. Und insofern, jenseits aller politischen Unterschiede, ist das, glaube ich, ein positives Zeichen für Deutschland.

Kolkmann: Die Familienpolitik soll ja einen besonderen Stellenwert in dieser neuen Bundesregierung bekommen. Heute veranstaltet der Deutsche Gewerkschaftsbund seine Bundesfrauenkonferenz, bei der es um Gleichstellung im Beruf und vor allen Dingen um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. Die Forderungen sind ja alle nicht neu. Haben Sie den Eindruck, dass sich jetzt substanziell etwas bewegt?

Göring-Eckardt: So weit sind wir noch nicht. Da muss sich schon noch einiges tun. Die neue Regierung hat, was die Kinderbetreuung angeht, ja viel aus der Hand gegeben, indem sie gesagt hat: Das sollen die Länder jetzt erst mal machen. Wir haben die Situation, dass wir eine große Unterversorgung haben, gerade bei sehr kleinen Kindern. Und da geht es ja insbesondere um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, also um den Wiedereinstieg von Frauen. Ob das gelingt? Ich wünsche es mir sehr, wünsche es auch der neuen Regierung, obgleich wir in der Opposition sind, weil es einfach für viele Frauen sehr wichtig ist. Aber die Frage der Herangehensweise ist schon eine ganz wichtige. Das ist insbesondere ja wichtig für arme Kinder - deswegen bin ich übrigens auch eine Gegnerin des Erziehungsgeldes von Frau von der Leyen.

Kolkmann: Nun soll es ja auch ein Familiengeld geben, möglicherweise ja auch bis hin zu zwei Jahren, das es ja beiden Elternteilen, auch den Männern, vielleicht ermöglichen würde, doch eher auszusteigen aus dem Beruf. Sind wir da wirklich noch in den Kinderschuhen, was das angeht?

Göring-Eckardt: Da sage ich Ihnen ehrlich: Dass die Männer sich nach wie vor nicht darum kümmern, wie das mit den kleinen Kindern ist und eigentlich ihr Leben so weiterleben wollen wie vorher, das ist ein Problem - das übrigens auch gerade bei Akademikerinnen, die sich überlegen, ob sie überhaupt ein Kind bekommen wollen. Wir sind da inzwischen irgendwie bei drei Prozent, das ist natürlich keine vernünftige Zahl. Ob man das mit dem Erziehungsgeld löst, da bin ich, ehrlich gesagt, sehr skeptisch. Ich glaube, wenn man es aussuchen könnte und die Frage stellt, was ist wichtiger, da sind die Institutionen, die Kinderbetreuung wichtiger als das Erziehungsgeld für diejenigen, die ja sowieso ein größeres Portemonnaie haben.

Kolkmann: Kein Land gibt so viel Geld für Transferleistungen in Bezug auf Familie und Kinder aus wie die Bundesrepublik. 150 Milliarden Euro sind das im Jahr, von Bund, Ländern und Kommunen zusammengenommen. Frankreich macht nicht so viel und steht trotzdem besser da, was die Geburtenzahlen angeht und auch was die Berufstätigkeit von Frauen angeht. Wie kommt das?

Göring-Eckardt: Das liegt an der besseren Betreuungssituation, erstens. Und zweitens auch an dem anderen Gesellschaftsbild: In Frankreich ist es schon sehr lange selbstverständlich, dass Mütter auch berufstätig sind und dass Väter auch berufstätig sind und dass das zusammengehört und auch zusammenpasst. Und dass Kinder nicht darunter leiden, sondern dass eine professionelle, gute, qualitativ gute Kinderbetreuung für Kinder gut ist, gerade dann, wenn sie nicht mit sehr vielen Geschwistern aufwachsen. Und dass es gleichzeitig gut ist, wenn sich Frauen im Beruf verwirklichen können. Und so ein Gesellschafts- und Familienbild haben wir in Deutschland vielleicht inzwischen, aber natürlich noch nicht in allen Regionen.

Kolkmann: Wie kann man denn dieses Umdenken befördern, dass die Gesellschaft ihre menschlichen Ressourcen besser mobilisiert?

Göring-Eckardt: Ich glaube, das geht nur, indem man darüber redet, darüber redet, darüber redet - so wie wir jetzt heute Morgen. Indem man Vorbilder hat - es gibt genügend erfolgreiche Frauen, die Kinder haben und wo das sehr gut zusammen funktioniert, und wo die Kinder das auch als Chance begreifen, sich selbst zu entwickeln, und trotzdem eine große Nähe in der Familie da ist.

Kolkmann: Das hat aber auch seinen Preis. Sie selber bezeichnen sich ja auch gerne als Vollblutpolitikerin und das kostet jede Menge Zeit, beinhaltet auch Abwesenheit von der Familie. Wie haben Sie das gelöst? Können das vor allen Dingen nur privilegierte Frauen?

Göring-Eckardt: Gleichzeitig Vollblutmutter, sozusagen. Ja, in Deutschland ist das leider so. Ich kann das machen, weil ich genügend Geld zur Verfügung habe, um mir das, was in Deutschland institutionell noch nicht funktioniert, tatsächlich dazuzubesorgen. Also, von der Kinderbetreuung, eben auch mal am Abend, bis hin zu jemandem, der im Haushalt hilft. Das gehört dann natürlich dazu, gehört zusammen.

Und das ist, glaube ich, das entscheidende Manko, was wir haben: Dass unsere Institutionen nicht gut sind, dass unsere Schulen nicht so gut sind, dass sie tatsächlich dafür sorgen, dass Kinder sich entfalten können, sondern dass dafür Eltern oft dann am Nachmittag noch sehr viele Freizeitaktivitäten organisieren müssen, Nachhilfeunterricht und so weiter. Und da ist die Crux.

Und trotzdem bin ich überzeugt: Es geht und man soll es ausprobieren. Und viele Probleme, die sich vorher so ganz allgemein auftürmen, lösen sich dann in der Praxis meistens viel schneller, als man denkt, weil es Freunde gibt und Großeltern und, ja, viele andere, die die gleichen Fragen haben.

Kolkmann: Nun ist es ja noch gar nicht so lange her, da wurde Familien- und Frauenpolitik noch unter "Gedönse" abgeheftet. Das hat sich inzwischen ja schon ein bisschen geändert. Nun soll ja auch die Familienpolitik - ich sagte es eingangs - ein bisschen mehr Gewicht bekommen. Ist das aber noch nicht ausreichend? Bräuchten wir eigentlich ja so etwas, dass alles, was mit Familien und Kindern zu tun hat, die Leitlinie unserer Politik angeht, ob das Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik oder Bildungspolitik ist?

Göring-Eckardt: Also zunächst muss man mal sagen: Dass die Familienpolitik einen höheren Stellenwert bekommen hat, das hat mit Renate Schmidt angefangen, die da auch über Parteigrenzen hinweg ein hohes Ansehen für die Familienpolitik erreicht hat. Und das Zweite, in der Tat, die Frage, ob wir kinder- und familienfreundlich sind in Deutschland, das ist ein harter Standortfaktor. Wenn Sie sich Unternehmen angucken, die überlegen, ob sie sich hier ansiedeln, ob sie hierher kommen ...
Kolkmann: Frau Göring-Eckardt, ich muss Sie an dieser Stelle leider unterbrechen. Ich habe vergessen, auf die Uhr zu schauen und nun kommen die Nachrichten.