Göring-Eckardt: Eine Frau als Kanzlerin hat Vorbildwirkung

Moderation: Annette Riedel und Sabine Adler |
Die Bundestagsvizepräsidentin und ehemalige Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/ Die Grünen, Katrin Göring-Eckhardt, glaubt, dass eine Kanzlerin Vorbild und Ansporn für andere Frauen sein werde. Sie selbst werde sich trotz ihres neuen Amtes kräftig in die Oppositionsarbeit ihrer Partei einmischen.
Deutschlandradio Kultur: Frau Göring-Eckhardt, wir bekommen in der nächsten Woche die erste Kanzlerin der Bundesrepublik. Jetzt werden Sie wahrscheinlich sagen, dass Angela Merkel aus Ihrer Sicht leider einfach die falsche Parteizugehörigkeit hat. Aber auf der anderen Seite müsste es Sie doch als Frau richtig freuen.

Göring-Eckardt: Angela Merkel hat nicht die falsche Parteizugehörigkeit. Ich glaube, sie gehört da hin, wo sie ist, und deswegen sind wir politische Gegnerinnen. Aber ich glaube, dass es Deutschland nicht schlecht tut, eine Kanzlerin zu haben, auch nicht eine Ostdeutsche. Das üben wir jetzt gerade mal und - ich darf das als Ostdeutsche sagen - auch das wird nicht schaden. Ob die Politik, die sie machen wird, und die die große Koalition machen wird, gut ist, das werden wir dann später beurteilen. Aber natürlich muss man nicht drum rum reden, dass es, wenn eine Frau das höchste Regierungsamt hat, auch Vorbildwirkung hat. Es ist ganz egal, in welchen höheren Funktionen Frauen sind, das spornt andere an und insofern ist das gut.

Deutschlandradio Kultur: Wäre das nicht Grund, ihr ausnahmsweise mal die Stimme zu geben?

Göring-Eckardt: Nein, auch ausnahmsweise ist es kein Grund, ihr die Stimme zu geben, weil man ihr die Stimme ja für die Politik gibt, die sie vorhat. Dafür, würde ich sagen, ist das jedenfalls für mich nicht möglich.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind Bundestagsvizepräsidentin geworden. Ist das eigentlich so ein ganz nettes, freundliches Amt, weil man anders als eine Fraktionsvorsitzende - so ein bisschen über den Dingen steht und sich nicht mehr um Redezeiten und Stimmenmehrheiten organisieren und ähnliches kümmern muss, sondern so ein bisschen das große Ganze betrachten kann?

Göring-Eckardt: Man muss sich nicht mehr darum kümmern, Mehrheiten zu besorgen, wenn man in der Opposition ist, auch nicht um die Frage, wird jetzt dieser Regierungsvorlage wirklich von allen zugestimmt oder nicht. Abgesehen davon ist es schon ganz gut, mal in größeren Zusammenhängen zu denken. Auf der anderen Seite bin ich natürlich Vollblutpolitikerin und niemand, der über den Dingen steht. Man wird schon auch erwarten können, dass ich mich in die kräftige Oppositionsarbeit einmische.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben das Amt ja auch für sich begriffen oder es begründet, als Sie es oder überhaupt die Kandidatur angenommen haben, damit, dass Sie dieses Amt auch durchaus als ein Amt verstehen, bei dem man politischen Gestaltungsspielraum hat. Wo ist der?

Göring-Eckardt: Für mich sind das ein paar inhaltliche Punkte, wo ich gerne die Auseinandersetzung führen will, auch Vorschläge machen will. Das fängt an bei den Fragen, wo es um Wertediskussionen geht. Ich glaube, die fehlen im Moment in Deutschland. Damit meine ich nicht, dass wir jetzt alle mal in die Kirche gehen und uns sagen lassen, was es an neuen Werten gibt - das würde mich als Christin freuen - aber ich glaube, es geht um mehr. Es geht um die Frage, ob wir mehr haben als das, was sich ökonomisch rechnet. Auch der Koalitionsvertrag ist ja ein Werk, was sehr viel mit dem zu tun hat, was sich rechnet, aber weniger mit dem, was es ansonsten noch gibt. Und insofern denke ich, es geht auch um das, was über das ökonomisch sich Rechnende hinausgeht - angefangen von der Kinderarmut in Deutschland bis hin zu der Frage, was verbindet uns eigentlich. Also gibt es wirklich noch Solidarität oder gibt es nur irgendeine Form von Ausgleich, die lediglich dazu führt, dass wir nicht große Konflikte haben.

Deutschlandradio Kultur: Also eine Wertediskussion zum Beispiel möchte auch Angela Merkel anstoßen. Sie liegen da ja gar nicht so weit auseinander.

Göring-Eckardt: Also der Koalitionsvertrag redet darüber jedenfalls nicht und das ist bisher auch nicht das, womit Angela Merkel besonders aufgefallen wäre. Und ich glaube, auch wenn man sich anschaut, was geht in diesem Koalitionsvertrag eigentlich über den Tag hinaus, da fehlen einige ganz wichtige Dinge - angefangen mit einer Perspektive der Unabhängigkeit vom Erdöl. Das ist etwas, was sich morgen und übermorgen noch nicht rechnet, wo wir aber ganz genau wissen, dass wir das ganz dringend brauchen. Und das geht bis hin zu der Frage, wer gehört eigentlich dazu, wie ist der gesellschaftliche Zusammenhalt? Wir haben sehr viele junge Leute, die in großer Unsicherheit leben. Man redet da immer über die ‚Generation Praktikum’. Die kriegen jetzt kein Angebot im Moment, sondern denen wird gesagt, ihr kriegt auch noch weniger Kündigungsschutz. Aber die Älteren, die immer schon in ihrem Job sind, für die ändert sich nichts. Das ist, glaube ich, ein Ungleichgewicht, über das man diskutieren und reden muss, und da geht es nicht nur um einzelne Maßnahmen, sondern da geht es wirklich um die Frage, welchen Platz hat eigentlich wer in der Gesellschaft.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja mit Christa Sager zusammen in der vergangenen Legislaturperiode den Fraktionsvorsitz auf eine sehr effektive und geräuschlose Art und Weise ausgeführt, was vielleicht jetzt in Oppositionszeiten - wo man dann vielleicht um aufzufallen, vor allen Dingen im Konzert von drei Oppositionsparteien ja nicht die größte seiend - vielleicht gar nicht mehr so gefragt ist.

Göring-Eckardt: Das ist eine Schwierigkeit, die wir haben, das ist ganz klar. Die haben wir insgesamt als Grüne und ich glaube, wir können jetzt nicht dadurch auffallen, dass wir die Lautesten sind, das funktioniert nicht. Sondern wir werden konkurrieren können indem wir sagen, wir sind konstruktive Opposition im Sinne von echter Alternative, das ist eigentlich der Job der Opposition.

Deutschlandradio Kultur: Die Grünen haben das umweltpolitische Denken aller Parteien geprägt. Das nehmen sie auch für sich in Anspruch. Wenn man auf die Internetseite der Fraktion guckt, steht im Zusammenhang mit dem schwarz-roten Koalitionsvertrag ‚Grün hat gewirkt’. Besteht eigentlich die Gefahr, dass Grün so gut gewirkt hat, dass es der Grünen gar nicht mehr bedarf, weil sich die anderen Parteien - allen voran die SPD - ureigenster grüner Themen angenommen haben?

Göring-Eckardt: Das ist zunächst mal was Gutes. Das ist aber ja schon seit vielen Jahren so, dass das ökologische Denken auch bei den anderen an Raum gewinnt, deswegen braucht es die Grünen trotzdem noch. Wir sind schon lange keine Ein-Punkt-Partei mehr. Wir sind gewählt worden sowohl als ökologische Partei wie auch als soziale Partei mit einem starken Schwerpunkt auf dem Thema Generationengerechtigkeit. Das war das, was unsere Wählerinnen und Wähler bewegt hat und warum sie bei uns ihr Kreuz gemacht haben und da werden wir den Job haben, auch weiter Vorreiter zu sein. Die große Koalition hat jetzt vor, das einigermaßen zu bewahren, was gemacht worden ist…

Deutschlandradio Kultur: Das ist ja schon mal nicht ganz schlecht und vielleicht mehr als zu erwarten war, oder?

Göring-Eckardt: … wo es natürlich auch ein bestimmtes Aufatmen - auch bei uns – gibt. Es wäre ja furchtbar, wenn das alles umsonst gewesen wäre, was wir auf den Weg gebracht haben. Aber die neuen Fragen, die neuen Probleme - die wir seit zwei, drei Jahren bearbeiten – die spielen keine Rolle. Und ganz zentral dieses Thema ‚Unabhängigkeit vom Erdöl’, das auch global das zentrale ökologische und ökonomische Problem sein wird in Zukunft. Darauf gibt es keine Antwort und noch nicht mal den Versuch einer Fragestellung.

Deutschlandradio Kultur: Ist es denn so ganz fair, zu sagen, dass dazu keine Antworten gegeben, noch nicht mal Fragen gestellt werden, denn wenn man diesen Koalitionsvertrag mit dem vergleicht, den Rot-Grün 2002 unterzeichnet hat, dann finden sich da zum Teil wortidentische Anteile, zum Beispiel, was die Förderung erneuerbarer Energien angeht, zum Beispiel was die Reduzierung von co2 und ähnliches angeht.

Göring-Eckardt: Das ist richtig und das ist sozusagen das Bewahren des Status quo und das ist auch okay und da würde ich auch immer sagen, da bin ich froh drüber. Aber die Frage ist, wie geht es eigentlich weiter? Was gibt es für ein Konzept für die nächsten zehn Jahre, außer Wärmedämmung an Gebäuden? Wie wollen wir die Unabhängigkeit vom Erdöl, angefangen bei der Autoindustrie und den Treibstoffen, denn gewährleisten? Und das geht eben nicht mehr in kleinen Schritten, sondern dazu bräuchte man große Schritte und man bräuchte ein Gesamtkonzept und das ist das, was fehlt.

Deutschlandradio Kultur: Die Grünen haben immer gesagt, sie können Opposition, sie haben keine Angst vor Opposition. Jetzt sind sie in der Opposition. Das ist natürlich auch eine Rolle, die vielleicht nicht festgeschrieben werden soll bis in die Ewigkeit, sondern man möchte ja vielleicht irgendwann wieder regieren. Wenn man aber in der Opposition ist, besteht dann die Gefahr, dass man sozusagen zum Dauernörgler, zum Dauerkritiker wird, der die anderen vergrätzt, mit denen sie auch gar nicht mehr zusammenarbeiten wollen irgendwann?

Göring-Eckardt: Na ja, wie das mit den Dauerkritikern ist, die dann gegenseitig doch zusammen arbeiten können, das sehen wir gerade an der großen Koalition. So heftig hat es wohl niemand gegeneinander getrieben wie Ludwig Stiegler bei der SPD und da fallen einem einige auch ein auf der Unionsseite, also das ist glaube ich nicht der Punkt sondern die Frage ist, macht man Opposition als Nörgelei oder macht man Opposition als alternatives Angebot. Ich bin für das Zweite was nicht heißt, dass man immer total konstruktiv ist und irgendwie erst siebenundzwanzig Nebensätze braucht bis man erklärt hat was man will, sondern das muss klar sein, das muss auch hörbar sein, aber eben ein alternatives Angebot.


Deutschlandradio Kultur: Wenn man jetzt Claudia Roth zuhört an dem einen oder anderen Punkt, wenn sie - die Grüne Parteichefin - davon spricht, dass es eine Steuerlüge gibt, weil der schwarz-rote Koalitionsvertrag eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorsieht, dann ist das nicht unbedingt wahnsinnig konstruktiv, mit solchen Worten auch zu arbeiten, sondern klingt eigentlich eher nach Wahlkampf. Allein die Tatsache, dass die Parteien verschiedene Konzepte hatten und die SPD das nicht wollte und es jetzt mittragen muss, heißt doch nicht, dass gelogen wird.

Göring-Eckardt: Es geht ja darum, dass es eine klare Begründung sozial und ökonomisch gab, warum das nicht geht. Auf der anderen Seite, bei der Union, gab es ein Konzept, dass sie gesagt haben, ja, Mehrwertsteuererhöhung, aber dann auch alles das, was wir da erhöht haben, in die Senkung der Lohnzusatzkosten geben. Und was jetzt passiert, hat damit nichts mehr zu tun. Was jetzt passiert, sind eine ganze Reihe von Streichung von Subventionen, die ich mir schon lange gewünscht hätte, das muss man sagen, die lagen ja alle schon mal auf dem Tisch und sind im Bundesrat gescheitert. Und was die Alternativen dazu sind, das wird es von uns zu hören geben dann, wenn es wirklich auf dem Tisch liegt. Also die Reaktionen auf den Koalitionsvertrag sind zunächst mal eine Abgleichung von dem, was jetzt auf dem Tisch liegt, mit dem, was vorher gesagt worden ist und was waren die Begründungen vorher. Aber das heißt nicht, dass man nicht deutlich macht, wo könnten weitere Subventionen abgebaut werden, was bedeutet Haushaltskonsolidierung aus unserer Sicht und was bedeutet es übrigens auch, wirklichen Ausgleich von Interessen zu machen? Ich habe ein bisschen den Eindruck, der Koalitionsvertrag läuft darauf hinaus, dass die Jüngeren und die, die heute draußen sind, die geringsten Chancen haben und ich finde, das muss man dann auch thematisieren.

Deutschlandradio Kultur: Ist es insgesamt nicht ein bisschen heikel, jetzt Kritik an diesem Haushaltsentwurf, wie er denn auch immer verabschiedet werden wird, zu üben? Immerhin war es Rot-Grün, die die Kassen so leer gewirtschaftet haben.

Göring-Eckardt: Erstmal ist Kritik angebracht. Das hat damit zu tun, dass das, was Rot-Grün vorgeschlagen hat - und zwar nicht erst vorgestern, sondern schon seit einigen Jahren - nämlich die Streichung von Subventionen und damit schon viel früher mit Haushaltssanierungen anzufangen, von der Union verhindert wurde. Rot-Grün hat sich redlich bemüht, auf den Stand zu kommen, mit dem auch eine große Koalition jetzt einen besseren Start hätte. Gleichzeitig will ich mich jedenfalls, wollen wir uns, nicht aus der Verantwortung heraus stehlen. Aber das bedeutet trotzdem, hier auch alternative Vorschläge zu machen. Also das fängt an bei der Frage, welche Subventionen sind eigentlich immer noch in der Pipeline? Also man traut sich zwar Mehrwertsteuererhöhungen zuzumuten, die ja in der Tat auch gerade denen schaden, die ihr ganzes Geld ausgeben müssen, also die wenig zur Verfügung haben. Aber gleichzeitig traut man sich nicht über ermäßigte Mehrwertsteuersätze für Hunde- und Katzenfutter oder für Schnittblumen zu reden. Das erscheint mir unter dem Gesichtspunkt des Mutes und der Konsequenz jedenfalls noch nicht bis zu Ende gedacht.

Deutschlandradio Kultur: Gut, aber da würden natürlich das Katzenfutter oder die Schnittblumen nicht die Milliardenlöcher füllen können.

Göring-Eckardt: Nein, es ist aber ein Zeichen dafür, wie weit geht man eigentlich. Sagt man wirklich, wir haben uns alles angeschaut und wir haben viele Zumutungen auf der einen Seite aber wir haben uns wirklich alles angeschaut, sind da konsequent gewesen. Wir hören dann immer nur, dass Herr Steinbrück sagt, ‚ja, will denn hier jemand die Renten kürzen?’ Dann erschrecken erst mal alle, ‚nein, um Gottes Willen, das will natürlich niemand’. Wie gesagt, ich finde, wenn man sich die Situation der Jüngeren anschaut, die in großer Unsicherheit leben, also die mit 30 sieben Praktika hinter sich haben, einen Teilzeitjob, einen befristeten Job und immer noch nicht wissen, wie es weitergehen soll, von denen man erwartet, dass sie bitte Kinder kriegen, damit unser demographisches Problem gelöst wird und die sagen ‚würden wir ja gerne, wenn wir nur einigermaßen wüssten, ob wir wenigstens im nächsten Jahr am gleichen Ort arbeiten’, dann ist es für diese Generation kein Angebot. Da geht es auch nicht um Jobs für niedrig Qualifizierte oder irgendetwas - die sind super gut qualifiziert. Da gibt es weder ein Angebot noch eine Perspektive.

Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir noch mal beim Haushalt. Renate Künast hat ja selber gesagt, das wäre auch für Rot-Grün das ‚brutalst mögliche Drama’ geworden. Ist es eben tatsächlich jetzt die Zeit der großen Koalition um den Haushalt zu konsolidieren?

Göring-Eckardt: Da muss man nicht, soll man auch nicht drum rumreden. Das wäre für uns genau so eine schwierige Situation gewesen, deswegen ist es trotzdem legitim zu sagen, wir hätten gern früher damit angefangen. Wir hätten gern früher mit Subventionskürzungen angefangen, dann hätten wir bei der Eigenheimzulage nächstes Jahr nicht nur ein paar hundert Millionen, sondern eben schon die ersten Milliarden eingespart. Letztendlich wird man bei dem, was es da an Stellschrauben, an Möglichkeiten gibt, nicht sagen können, das hätte man ganz grundsätzlich anders machen können. Aber trotzdem gibt es immer Alternativen. Ich habe eine genannt, bei dem Thema Subventionskürzungen, wo es weitere Möglichkeiten gegeben hätte. Natürlich ist auch die Frage, wie ist das eigentlich mit der Reform der sozialen Sicherungssysteme, die aufgeschoben ist. Auch das ist immer haushaltsrelevant.

Deutschlandradio Kultur: Also noch mal die Frage: Ist es eben tatsächlich jetzt die Zeit der großen Koalition?

Göring-Eckardt: Die Zeit der großen Koalition, würde ich sagen, ist es nicht. Aber es ist schon die Zeit der gemeinsamen Verantwortung, die wäre sie ja auch vor ein paar Jahren schon gewesen. Wenn sich die Union im Bundesrat aufgeschwungen hätte und gesagt hätte, wir brauchen gemeinsame Verantwortung, dann hätte man die natürlich auch schon vorher haben können. Das ging offensichtlich nicht, weil man in dem alten Lagerdenken sehr verhaftet gewesen ist und gesagt hat, das sind die, die Anderen, und das sind wir und das werden wir nicht mitmachen, weil es die anderen sind. Insofern ist es natürlich gut, dass manche Dinge wie Subventionskürzungen jetzt endlich angegangen werden, die schon lange auf der Tagesordnung waren.

Deutschlandradio Kultur: Nun muss bei einer großen Koalition auch eine möglichst starke Opposition vorhanden sein. Rein zahlenmäßig ist es ein bisschen schwierig. Sie haben noch nicht mal alle drei Oppositionsparteien zusammen ein Drittel der Abgeordneten. Das heißt, dass Sie auch nicht die Möglichkeit haben – wenn Sie es denn erwogen hätten - sich zusammen zu tun und eine Verfassungsklage gegen diesen Haushalt einzubringen. Muss an dem Punkt diskutiert werden, bis dahingehend, dass man sich einigen müsste, auch kleineren Gruppierungen – beispielsweise ein Viertel des Parlaments, wie es ja bei der Einsetzung von Untersuchungsausschüssen ist – mehr Mitspracherecht und auch mehr Einspruchsrecht zu geben?

Göring-Eckardt: Ich finde, das muss man unter dem Gesichtspunkt einer großen Koalition noch mal neu überlegen, wie das eigentlich mit den Rechten der Kleinen ist. Das war ja immer so gedacht, dass die Verfassung vorsieht, dass wir eben auch bestimmte Rechte für die kleinen Fraktionen im Deutschen Bundestag haben. Das ist nicht umsonst gewesen und darüber wird man jetzt wahrscheinlich noch mal neu diskutieren müssen. Ich hoffe, dass die große Koalition auch dieses Mehr an Demokratie möchte und dass sie nicht sagt, ‚ist doch ganz prima für uns, dann stört uns auch keiner mehr’. Ich glaube, das wäre nicht der Sinn der Veranstaltung. Ich finde, darüber muss man, wie gesagt, noch mal neu nachdenken. Ob sich diese drei sehr, sehr unterschiedlichen Fraktionen dann überhaupt jemals auf irgendetwas einigen können sei dahingestellt. Das wage ich mir gar nicht zu beantworten, ob das klappen würde, noch nicht mal bei dieser Frage, wie das mit dem verfassungsgemäßen Haushalt ist. Auch da hätte man sich am Ende auf einen gemeinsamen Antrag einigen müssen und so weiter. Ob das geklappt hätte, wie gesagt, sei dahingestellt. Trotzdem ist es glaube ich wichtig, gerade in Deutschland, dass wir, wenn wir über unsere Demokratie reden, auch wirklich die Rechte von Minderheiten so wahren, dass sie sie auch in Anspruch nehmen können.

Deutschlandradio Kultur: Frau Katrin Göring-Eckhardt, Sie sind als grüne Bundestagsvizepräsidentin eine Frau aus dem Osten. Zwei Ostdeutsche haben jetzt die großen Volksparteien übernommen. Kann man sagen, dass das jetzt tatsächlich der Ausdruck ist vom zusammengewachsenen Deutschland?

Göring-Eckardt: Ob Deutschland dadurch mehr zusammenwächst, das werden wir erst noch sehen. Ich erlebe jedenfalls, wenn ich in Westdeutschland unterwegs bin, immer noch so ein bisschen Erschrecken darüber – unter dem Motto ‚wir werden jetzt von Ossis regiert, was bedeutet das eigentlich?’ ‚Wie seid ihr denn so?’ Dann muss ich immer die Fragen beantworten, über die Geschichte und ob wir jetzt anders sind oder nicht. Das ist aber vor allem eine neue Generation. Ich glaube, das ist das Wichtigste, dass wir alle einer Generation angehören, die 89 angefangen hat Politik zu machen, die gibt es auch in Westdeutschland, nicht nur in Ostdeutschland. Und ich glaube, diese Generation hat eine sehr ähnliche Herangehensweise an Politik - also häufig jenseits von Ideologien auf jeden Fall, häufig sehr pragmatisch und der Teil, wo es um das Mehr geht, also wo es um die Frage geht, welche Werte verbinden uns eigentlich in unserem Land, der ist offen. Über den muss, glaube ich, debattiert werden.


Katrin Göring-Eckardt wurde geboren am 3. Mai 1966 in Friedrichroda (Thüringen), sie ist evangelisch; verheiratet, hat zwei Söhne. Nach dem Abitur Theologiestudium an der Leipziger Karl-Marx-Universität. 1989 Gründungsmitglied von "Demokratie jetzt" und "Bündnis 90". Bis 1994 Mitarbeiterin in der Landtagsfraktion von "Bündnis 90/Die Grünen". 1995-98 Landessprecherin von "Bündnis 90/Die Grünen" Thüringen. 1996-98 Beisitzerin im Bundesvorstand. 1995-98 Mitarbeiterin des MdB Matthias Berninger. Seit 1998 Bundestagsabgeordnete. 1998 – 2002 Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion "Bündnis 90/Die Grünen". Oktober 2002 - September 2005
Fraktionsvorsitzende der Bundestagsfraktion von "Bündnis 90/Die Grünen". Seit November 2002 Landessprecherin von "Bündnis 90/Die Grünen" Thüringen. Seit Oktober 2005 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.