Glückliche Kindheit ohne Schule
Er ist Musiker, Gitarrenbaumeister, Journalist und Autor. André Stern wurde 1971 in Paris geboren und ist nie zur Schule gegangen, denn in Frankreich gibt es keine Schulpflicht. Seine Eltern hätten seine kreativen Talente gefördert, sagt der Enddreißiger, dessen Buch "… und ich war nie in der Schule - Geschichte eines glücklichen Kindes" vor kurzem erschienen ist.
Katrin Heise: Während andere Kinder in der Schule waren, beschäftigte er sich mit den Dingen, die ihn interessierten, er lief herum, wo es ihm gefiel. André Stern ist nicht zur Schule gegangen. In Frankreich, dem Land, das man mit der École maternelle, der Vorschule für Zwei- bis Sechsjährige, und einem strengen Schulsystem in Verbindung bringt, ist das möglich. In Frankreich gibt es nämlich keine Schulpflicht. André Stern ist 1971 geboren und lebt als Musiker, Komponist, Gitarrenbauer, Journalist und Autor in Paris. Herr Stern, ich grüße Sie recht herzlich!
André Stern: Ich grüße Sie, guten Tag!
Heise: Ihr Vater gab Kindern die Möglichkeit, das Malen und Zeichnen zu probieren, zu erlernen, Ihre Mutter war Lehrerin – warum schickten sie Sie nicht zur Schule?
Stern: Meine Eltern haben sich beide mit Kindern beschäftigt, und beide hatten die Überzeugung gewonnen, dass alles, was das Kind braucht, das Kind auch in sich selbst trägt. Das ist eigentlich, dass das Kind keine Impulse von außen, keine Beeinflussung, keine fremd auferlegten Riten bedarf. Und sie waren überzeugt, dass die Kinder allgemein das lernen, was sie lernen wollen, brauchen, müssen im Moment, wo sie es auch lernen wollen, brauchen oder müssen.
Heise: Und dann offensichtlich mit Begeisterung lernen und es deswegen auch behalten?
Stern: Ja, das tun alle Kinder. Wenn wir kleine Kinder beobachten, sehen wir das, sehen wir, dass Kinder einen riesigen Appetit haben, die Welt zu entdecken mit offenen Augen, mit offenem Geist, mit offenem Herzen und sehr unvoreingenommen der Welt begegnen und dementsprechend auch nichts vergessen, weil sie ja nur aufnehmen, was sie gerade beschäftigt oder interessiert oder fasziniert.
Heise: Während Ihre Altersgenossen jeden Morgen in die Schule gingen bis zum Nachmittag, wie sah eigentlich Ihr Alltag aus?
Stern: Von Tag zu Tag verschieden. Unser Alltag war sehr strukturiert, ist immer noch sehr strukturiert. Feste Strukturen waren vorhanden, wöchentliche Strukturen, es gab wöchentliche Kurse, die ich einmal in der Woche oder zweimal in der Woche besucht habe zum Beispiel. Und ich habe schon ziemlich früh meine Tage früh angefangen. Ich bin früh aufgestanden, selbstständig, und habe geübt schon ziemlich früh. Und die Tage waren insofern immer verschieden, weil auch ein richtiger Platz da war für Improvisation, nämlich kam irgendwer an, Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder, und haben gesagt: Ich gehe zu jener Ausstellung oder ich gehe ins Kino oder ich gehe ins Konzert oder ich mach etwas, soll ich die Kinder oder eines der Kinder mitnehmen? Und dann sind wir mitgegangen und haben so viele Begegnungen machen können.
Heise: Das heißt, die Kurse, von denen Sie gerade gesprochen haben, das kann man nicht so verstehen, dass Sie auf eine Art Privatschule gegangen sind oder Privatunterricht bekommen haben, sondern Sie haben Interesse entwickelt an den Dingen, die quasi in dem Leben Ihrer Eltern eine Rolle gespielt haben?
Stern: Oder auch nicht, einfach an die Sachen, an die Dinge, die uns interessiert haben. Ich habe mich für Metalltreiben interessiert, das hat meine Eltern bis dahin nicht interessiert. Und dann haben wir gemeinsam nach einem Kurs, nach einem Meister gesucht, der mir das zeigen wollte, und zwar nicht auf schulische Weise. Und dann gab's eben all diese verschiedenen Kurse, die ich im Buch ausgiebig beschreibe, eben allerlei Kunsthandwerke, allerlei Materienlesungen im Collège de France.
Heise: So eine Art Volkshochschule?
Stern: Ja.
Heise: Sie spielten wie viele Kinder mit Lego, mit Autos, mit Eisenbahnen, also mit dem ganz normalen Spielzeug. Aber ich habe immer den Eindruck gehabt, bei Ihnen war das nie das normale Spielen, sondern es ging immer gleich ins Forschen über. Ihre Eltern haben Sie die Dinge aller auseinandernehmen lassen, die waren dann vielleicht auch nicht mehr gängig, die haben mit viel Geduld Ihrer Entwicklung zugesehen, weil wahrscheinlich dann immer dahinterstand irgendwie, da entwickelt sich was ganz anderes. Also Ihr mathematisches Verständnis, denn sie beherrschen ja die Mathematik durchaus, auch wenn Sie nicht auf eine Schule gegangen sind, haben sich aus diesem Spiel heraus entwickelt. Habe ich das richtig verstanden?
Stern: Haben Sie richtig verstanden. Aber ich glaube, alle Kinder tun das so, alle Kinder erforschen. Spielen ist die Hauptbeschäftigung aller Kinder und sollte es auch bleiben. Spielen und Lernen sind für mich Synonyme. Und ich habe durchs Spielen alles gelernt, was ich gelernt habe, und ich lerne es weiterhin so.
Heise: Sie haben aber zum Beispiel auch Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt. Auch durchs Spiel?
Stern: Auch durch Spielen, durch Entdecken, alles ist mehr oder weniger Spiel. Ich habe mit drei Jahren ein Buch aufgeschlagen und auf einer gedruckten Seite Eier und Eierbecher entdeckt.
Heise: Eier und Eierbecher?
Stern: Ja, die Buchstaben C und O, die kommen in der französischen Sprache relativ oft vor. Und für mich waren das Eier und Eierbecher. Und dann habe ich gefragt, was das ist, und da hat man mir gesagt, dass das Buchstaben sind. Und dann wusste ich auch, dass die C und O heißen und wie sie klingen. C und O zusammen klingt CO. Und dann habe ich dieses Buch weiter beobachtet und gesehen, dass es Eier mit einem Strich daran oder dass es auch den Strich gab ohne Ei usw., und so ziemlich schnell mit drei Jahren ziemlich alle Buchstaben kennen gelernt und auch gewusst, wie ein Wort funktioniert und wie die geschriebene Sprache funktioniert. Und da konnte ich mit drei Jahren schon entziffern. Aber das können viele Kinder.
Heise: André Stern war nie in einer Schule, seine Geschichte eines glücklichen Kindes erzählt er in seinem Buch und hier im "Radiofeuilleton". Herr Stern, nie in einer Schule sein, kamen Sie sich da nicht manchmal exotisch vor?
Stern: Nein, der Alltag war sehr glücklich, sehr begeistert, sehr erfüllend, und man hat sich solche Fragen nicht gestellt. Und solche Fragen wurden auch nicht gestellt. Ich stelle mir solche Fragen heute immer noch nicht.
Heise: Hat Ihnen nicht der Kontakt zu anderen Kindern gefehlt?
Stern: Der Kontakt zu anderen Kindern. Ich frage mich auch immer, warum der Kontakt zu anderen Kindern oder zu Gleichaltrigen als so wichtig gehalten wird. Der Kontakt zu anderen Menschen war und ist in meinem Leben sehr wichtig, und er fand sehr früh, schon immer statt, nämlich durch Begegnungen. Und die Leute, denen ich begegnet bin, das waren Menschen verschiedener Herkunft, das waren ältere, jüngere Menschen, Leute, mit denen ich gespielt habe, Leute, mit denen ich etwas gelernt habe, Leute, denen ich etwas beibringen konnte, Leute, die mir was beibringen konnten, verschiedene Religionen, verschiedene Hautfarben. Das war richtig Kosmopolit und das war vor allem sozial real.
Heise: Sozial real, Sie haben gefragt, warum der Kontakt zu Gleichaltrigen vielleicht so wichtig ist, weil gleichaltrige Kinder miteinander soziale Bindungen ausprobieren, wo Erwachsene dann vielleicht doch immer erzieherisch rangehen.
Stern: Ja, aber das ist wiederum auch nicht natürlich. Sozial real ist ja der Kontakt mit anderen Menschen aus allen Kulturen, aus allen sozialen Schichten, aus allen Religionen, das ist sozial real. Und das konnte ich nicht nur ausprobieren, nicht nur üben, sondern einfach erleben, ganz natürlich und ganz normal.
Heise: Sie haben also nie einen Schulabschluss gemacht. Jetzt sind Sie alt genug, um Ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, was Sie auch tun in verschiedener Weise. Sie sind Autor, Sie sind Musiker, Sie sind Gitarrenbauer. Wie war dieser Übergang zum Berufsleben möglich?
Stern: Eigentlich fand kein Übergang statt. Viele Begriffe, das werden Sie im Buch zum Beispiel gesehen haben, viele Begriffe, die ziemlich allen selbstverständlich sind, sind uns relativ fremd. Zum Beispiel den Übergang in die Arbeitswelt gab es bei mir nicht, weil alles ineinandergeschmolzen ist. Mit 17 bin ich auf einer Bühne gestanden und habe Gitarre gespielt öffentlich. Ich kann heute sagen, dass das der Anfang meiner beruflichen Laufbahn war, aber damals war es mir nicht bewusst und damals war es auch nicht als solches wichtig. Ja, das hat sich von alleine entwickelt.
Heise: Wir haben schon über die Rolle Ihrer Eltern gesprochen, die Sie mit sehr viel Geduld und mit sehr viel Anregung begleitet haben. Wenn wir uns ein anderes Elternhaus vorstellen, ein Elternhaus, in dem Bücher, in dem Musik und in dem das alles keine große Rolle spielt, in dem ein Kind diese Anregungen nicht erfährt, glauben Sie, dass ein Lebensweg wie der Ihrige überhaupt möglich ist?
Stern: Wenn das die Familie wünscht, dann gewiss. Wie gesagt, mein Buch ist auch kein Rezeptbuch. Man kann daraus nicht allgemein gültige Lösungen finden. Ich glaube, dass es viele Eltern gibt, die von dieser Möglichkeit gar nicht wissen, und sie brauchen eigentlich diese Information. Wir sind nicht frei, in unserer Gesellschaft nicht frei, für unsere Kinder zu entscheiden, weil wir eben glauben, dass es ohne Schule nicht geht. Und das stimmt nicht. Umgekehrt gibt es ja viele Eltern, viele Lagen, viele Familien, in denen eine Kindheit ohne Schule nicht möglich ist. Natürlich, da könnte man eine ganze Auflistung davon machen.
Heise: Also das heißt, Sie verdammen die Schule auch nicht?
Stern: Tu ich gar nicht, tu ich nicht. Ich sage auch nicht, dass – ich habe nichts zu verkaufen, ich habe keine Methode zu verkaufen, von der ich sagen müsste, sie ist besser als die Schule. Das tue ich überhaupt nicht. Ich appelliere einfach für mehr Freiheit, dass die Eltern wissen, dass es diese Möglichkeit gibt und dass sie die Möglichkeit haben, auch frei zu entscheiden, wie Ihre Kinder groß werden sollen.
Heise: Und Sie haben Erfahrungen mitzuteilen. Das tun Sie in Ihrem Buch "… und ich war nie in der Schule". Das Buch von André Stern ist im Zabert Sandmann Verlag erschienen. Herr Stern, ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!
Stern: Ich danke Ihnen!
André Stern: Ich grüße Sie, guten Tag!
Heise: Ihr Vater gab Kindern die Möglichkeit, das Malen und Zeichnen zu probieren, zu erlernen, Ihre Mutter war Lehrerin – warum schickten sie Sie nicht zur Schule?
Stern: Meine Eltern haben sich beide mit Kindern beschäftigt, und beide hatten die Überzeugung gewonnen, dass alles, was das Kind braucht, das Kind auch in sich selbst trägt. Das ist eigentlich, dass das Kind keine Impulse von außen, keine Beeinflussung, keine fremd auferlegten Riten bedarf. Und sie waren überzeugt, dass die Kinder allgemein das lernen, was sie lernen wollen, brauchen, müssen im Moment, wo sie es auch lernen wollen, brauchen oder müssen.
Heise: Und dann offensichtlich mit Begeisterung lernen und es deswegen auch behalten?
Stern: Ja, das tun alle Kinder. Wenn wir kleine Kinder beobachten, sehen wir das, sehen wir, dass Kinder einen riesigen Appetit haben, die Welt zu entdecken mit offenen Augen, mit offenem Geist, mit offenem Herzen und sehr unvoreingenommen der Welt begegnen und dementsprechend auch nichts vergessen, weil sie ja nur aufnehmen, was sie gerade beschäftigt oder interessiert oder fasziniert.
Heise: Während Ihre Altersgenossen jeden Morgen in die Schule gingen bis zum Nachmittag, wie sah eigentlich Ihr Alltag aus?
Stern: Von Tag zu Tag verschieden. Unser Alltag war sehr strukturiert, ist immer noch sehr strukturiert. Feste Strukturen waren vorhanden, wöchentliche Strukturen, es gab wöchentliche Kurse, die ich einmal in der Woche oder zweimal in der Woche besucht habe zum Beispiel. Und ich habe schon ziemlich früh meine Tage früh angefangen. Ich bin früh aufgestanden, selbstständig, und habe geübt schon ziemlich früh. Und die Tage waren insofern immer verschieden, weil auch ein richtiger Platz da war für Improvisation, nämlich kam irgendwer an, Freunde, Bekannte oder Familienmitglieder, und haben gesagt: Ich gehe zu jener Ausstellung oder ich gehe ins Kino oder ich gehe ins Konzert oder ich mach etwas, soll ich die Kinder oder eines der Kinder mitnehmen? Und dann sind wir mitgegangen und haben so viele Begegnungen machen können.
Heise: Das heißt, die Kurse, von denen Sie gerade gesprochen haben, das kann man nicht so verstehen, dass Sie auf eine Art Privatschule gegangen sind oder Privatunterricht bekommen haben, sondern Sie haben Interesse entwickelt an den Dingen, die quasi in dem Leben Ihrer Eltern eine Rolle gespielt haben?
Stern: Oder auch nicht, einfach an die Sachen, an die Dinge, die uns interessiert haben. Ich habe mich für Metalltreiben interessiert, das hat meine Eltern bis dahin nicht interessiert. Und dann haben wir gemeinsam nach einem Kurs, nach einem Meister gesucht, der mir das zeigen wollte, und zwar nicht auf schulische Weise. Und dann gab's eben all diese verschiedenen Kurse, die ich im Buch ausgiebig beschreibe, eben allerlei Kunsthandwerke, allerlei Materienlesungen im Collège de France.
Heise: So eine Art Volkshochschule?
Stern: Ja.
Heise: Sie spielten wie viele Kinder mit Lego, mit Autos, mit Eisenbahnen, also mit dem ganz normalen Spielzeug. Aber ich habe immer den Eindruck gehabt, bei Ihnen war das nie das normale Spielen, sondern es ging immer gleich ins Forschen über. Ihre Eltern haben Sie die Dinge aller auseinandernehmen lassen, die waren dann vielleicht auch nicht mehr gängig, die haben mit viel Geduld Ihrer Entwicklung zugesehen, weil wahrscheinlich dann immer dahinterstand irgendwie, da entwickelt sich was ganz anderes. Also Ihr mathematisches Verständnis, denn sie beherrschen ja die Mathematik durchaus, auch wenn Sie nicht auf eine Schule gegangen sind, haben sich aus diesem Spiel heraus entwickelt. Habe ich das richtig verstanden?
Stern: Haben Sie richtig verstanden. Aber ich glaube, alle Kinder tun das so, alle Kinder erforschen. Spielen ist die Hauptbeschäftigung aller Kinder und sollte es auch bleiben. Spielen und Lernen sind für mich Synonyme. Und ich habe durchs Spielen alles gelernt, was ich gelernt habe, und ich lerne es weiterhin so.
Heise: Sie haben aber zum Beispiel auch Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt. Auch durchs Spiel?
Stern: Auch durch Spielen, durch Entdecken, alles ist mehr oder weniger Spiel. Ich habe mit drei Jahren ein Buch aufgeschlagen und auf einer gedruckten Seite Eier und Eierbecher entdeckt.
Heise: Eier und Eierbecher?
Stern: Ja, die Buchstaben C und O, die kommen in der französischen Sprache relativ oft vor. Und für mich waren das Eier und Eierbecher. Und dann habe ich gefragt, was das ist, und da hat man mir gesagt, dass das Buchstaben sind. Und dann wusste ich auch, dass die C und O heißen und wie sie klingen. C und O zusammen klingt CO. Und dann habe ich dieses Buch weiter beobachtet und gesehen, dass es Eier mit einem Strich daran oder dass es auch den Strich gab ohne Ei usw., und so ziemlich schnell mit drei Jahren ziemlich alle Buchstaben kennen gelernt und auch gewusst, wie ein Wort funktioniert und wie die geschriebene Sprache funktioniert. Und da konnte ich mit drei Jahren schon entziffern. Aber das können viele Kinder.
Heise: André Stern war nie in einer Schule, seine Geschichte eines glücklichen Kindes erzählt er in seinem Buch und hier im "Radiofeuilleton". Herr Stern, nie in einer Schule sein, kamen Sie sich da nicht manchmal exotisch vor?
Stern: Nein, der Alltag war sehr glücklich, sehr begeistert, sehr erfüllend, und man hat sich solche Fragen nicht gestellt. Und solche Fragen wurden auch nicht gestellt. Ich stelle mir solche Fragen heute immer noch nicht.
Heise: Hat Ihnen nicht der Kontakt zu anderen Kindern gefehlt?
Stern: Der Kontakt zu anderen Kindern. Ich frage mich auch immer, warum der Kontakt zu anderen Kindern oder zu Gleichaltrigen als so wichtig gehalten wird. Der Kontakt zu anderen Menschen war und ist in meinem Leben sehr wichtig, und er fand sehr früh, schon immer statt, nämlich durch Begegnungen. Und die Leute, denen ich begegnet bin, das waren Menschen verschiedener Herkunft, das waren ältere, jüngere Menschen, Leute, mit denen ich gespielt habe, Leute, mit denen ich etwas gelernt habe, Leute, denen ich etwas beibringen konnte, Leute, die mir was beibringen konnten, verschiedene Religionen, verschiedene Hautfarben. Das war richtig Kosmopolit und das war vor allem sozial real.
Heise: Sozial real, Sie haben gefragt, warum der Kontakt zu Gleichaltrigen vielleicht so wichtig ist, weil gleichaltrige Kinder miteinander soziale Bindungen ausprobieren, wo Erwachsene dann vielleicht doch immer erzieherisch rangehen.
Stern: Ja, aber das ist wiederum auch nicht natürlich. Sozial real ist ja der Kontakt mit anderen Menschen aus allen Kulturen, aus allen sozialen Schichten, aus allen Religionen, das ist sozial real. Und das konnte ich nicht nur ausprobieren, nicht nur üben, sondern einfach erleben, ganz natürlich und ganz normal.
Heise: Sie haben also nie einen Schulabschluss gemacht. Jetzt sind Sie alt genug, um Ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, was Sie auch tun in verschiedener Weise. Sie sind Autor, Sie sind Musiker, Sie sind Gitarrenbauer. Wie war dieser Übergang zum Berufsleben möglich?
Stern: Eigentlich fand kein Übergang statt. Viele Begriffe, das werden Sie im Buch zum Beispiel gesehen haben, viele Begriffe, die ziemlich allen selbstverständlich sind, sind uns relativ fremd. Zum Beispiel den Übergang in die Arbeitswelt gab es bei mir nicht, weil alles ineinandergeschmolzen ist. Mit 17 bin ich auf einer Bühne gestanden und habe Gitarre gespielt öffentlich. Ich kann heute sagen, dass das der Anfang meiner beruflichen Laufbahn war, aber damals war es mir nicht bewusst und damals war es auch nicht als solches wichtig. Ja, das hat sich von alleine entwickelt.
Heise: Wir haben schon über die Rolle Ihrer Eltern gesprochen, die Sie mit sehr viel Geduld und mit sehr viel Anregung begleitet haben. Wenn wir uns ein anderes Elternhaus vorstellen, ein Elternhaus, in dem Bücher, in dem Musik und in dem das alles keine große Rolle spielt, in dem ein Kind diese Anregungen nicht erfährt, glauben Sie, dass ein Lebensweg wie der Ihrige überhaupt möglich ist?
Stern: Wenn das die Familie wünscht, dann gewiss. Wie gesagt, mein Buch ist auch kein Rezeptbuch. Man kann daraus nicht allgemein gültige Lösungen finden. Ich glaube, dass es viele Eltern gibt, die von dieser Möglichkeit gar nicht wissen, und sie brauchen eigentlich diese Information. Wir sind nicht frei, in unserer Gesellschaft nicht frei, für unsere Kinder zu entscheiden, weil wir eben glauben, dass es ohne Schule nicht geht. Und das stimmt nicht. Umgekehrt gibt es ja viele Eltern, viele Lagen, viele Familien, in denen eine Kindheit ohne Schule nicht möglich ist. Natürlich, da könnte man eine ganze Auflistung davon machen.
Heise: Also das heißt, Sie verdammen die Schule auch nicht?
Stern: Tu ich gar nicht, tu ich nicht. Ich sage auch nicht, dass – ich habe nichts zu verkaufen, ich habe keine Methode zu verkaufen, von der ich sagen müsste, sie ist besser als die Schule. Das tue ich überhaupt nicht. Ich appelliere einfach für mehr Freiheit, dass die Eltern wissen, dass es diese Möglichkeit gibt und dass sie die Möglichkeit haben, auch frei zu entscheiden, wie Ihre Kinder groß werden sollen.
Heise: Und Sie haben Erfahrungen mitzuteilen. Das tun Sie in Ihrem Buch "… und ich war nie in der Schule". Das Buch von André Stern ist im Zabert Sandmann Verlag erschienen. Herr Stern, ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!
Stern: Ich danke Ihnen!