"Glück kann man lernen"

Ernst Fritz-Schubert im Gespräch mit Britta Bürger · 12.08.2010
Desinteresse, Depression, Versagensängste - das Schulfach "Glück" will dagegen stärken. Mentales Training soll gegen die Glückskiller helfen und zum Gelingen des Lebens beitragen, sagt Ernst Fritz-Schubert. Er hat das Fach an seiner Schule etabliert.
Britta Bürger: Wer nach den Sommerferien neben Deutsch, Mathe und Englisch auch das Schulfach Glück auf dem Stundenplan hat, kann sich glücklich schätzen, denn drei Jahre Erfahrungen in Heidelberg zeigen, dass man Glück wohl tatsächlich lernen kann. Als Schulleiter Ernst Fritz-Schubert 2007 als Erster damit begann, Glück als Unterrichtsfach zu etablieren, wurde er von vielen belächelt. Mittlerweile sind ihm auch andere Schulleiter gefolgt, in Hessen, in Nordrhein-Westfalen und Bremen, und wir haben jetzt das Glück, mit dem Initiator selbst verbunden zu sein. Schönen guten Morgen, Herr Fritz-Schubert!

Ernst Fritz-Schubert: Guten Morgen, Frau Bürger!

Bürger: Wie definieren Sie selbst eigentlich Glück?

Fritz-Schubert: Na ja, Glück hat viele Komponenten, also da haben wir zum einen das Glück, das vom Himmel fällt, das Zufallsglück, dann haben wir das Hochgefühl im Augenblick, das uns vielleicht veranlasst, das, was wir gerade betreiben, weiter zu betreiben oder zu wiederholen, und dann gibt es natürlich das Lebensglück, also das, was wir als gelingendes Leben bezeichnen. Und das gelingende Leben, um das geht es in dem Schulfach Glück, soll natürlich dadurch erreicht werden, dass die Dinge, die guten Gründe gefunden werden, und die guten Gründe, die können vielschichtig sein – das kann Beachten sein einer kleinen Pflanze, eines Lächelns, eines Mitbürgers, es kann aber auch darin liegen, dass man vielleicht gerade einen guten Grund hat, etwas zu bewirken, dass man eine Herausforderung bestanden hat. Das heißt also, das Glück ist vielschichtig und lässt sich wohl in keinem einzigen Satz zusammenfassen.

Bürger: Ist für die Schülerinnen und Schüler Glück denn eher etwas, das ihnen fehlt, oder gibt es auch die positive Wahrnehmung für vorhandenes Glück?

Fritz-Schubert: Naja, also wenn man die Statistiken anschaut, dann stellt man eben fest, dass das Gegenteil von Glück, jetzt im Lebensglück, nicht das Unglück ist, sondern das ist eher die Depression, das ist die Angst, das ist Burn-out, das sind Dinge, die immer mehr junge Menschen auch erfassen, und dies sind die Glückskiller, wenn man so will. Und von daher steht natürlich dann auch die Frage: Kann man etwas erreichen, das sich jetzt nicht mit den Symptomen beschäftigt – dass ich dann einfach sage, wenn du eine Depression hast, dann brauchst du ein Antidepressiva oder wenn du im Stress bist, dann musst du eben noch eine bessere Terminorganisation vornehmen –, sondern ganz generell den Menschen darauf vorzubereiten, dass er bestimmte Dinge für sich selbst als Herausforderung sieht, dass er mit Ereignissen umgeht, dass er Haltungen und Einstellungen gewinnt. Das ist, glaube ich, ganz entscheidend.

Bürger: Wie aber machen Sie das? Desinteresse und Langeweile, Angst, Versagensängste – all das gehört ja zum Schulalltag dazu. Wie kann das durch Glücksbildung aufgehoben werden?

Fritz-Schubert: Na ja, also wir haben zum Beispiel eine Form des mentalen Trainings, das normalerweise vielleicht auch Sportler haben, um sich eben auf den Punkt vorzubereiten. Da kann man eben auch Angst überwinden, durch Atemtechnik, Muskelentspannung, alles Dinge, die meines Erachtens in den Schulalltag hineingehören, damit Schüler, wenn sie den Herausforderungen gewachsen sein wollen, auch körperlich und mental vorbereitet sind. Das ist eine Form. Die nächste Form ist natürlich die, dass Schüler, die nicht wissen, wofür sie eigentlich lernen, ... Wenn sie Angst haben, wenn sie dem Erwartungsdruck nicht standhalten können, dann haben sie natürlich auch kein Interesse. Und deswegen meine ich, ist es wichtig in dem Zusammenhang, Schüler zu helfen, für sich eigene Ziele zu formulieren, nicht nur Ziele, die ihnen vorgegeben werden, sondern die aus ihren Träumen, aus ihren Wünschen, aus ihren Sehnsüchten entstanden sind.

Bürger: Aber müssten Sie da nicht eher alle Lehrer fortbilden? Denn im Grunde muss diese Art von Motivationstraining doch in jeder Stunde stattfinden, zu einem guten Unterricht gehört einfach dazu, das Selbstbewusstsein der Schüler zu stärken, ihnen dabei zu helfen, mit Niederlagen umzugehen.

Fritz-Schubert: Ja, genau, da haben Sie recht. Das haben wir uns auch überlegt und haben deswegen eine Lehrerfortbildung begonnen im letzten Jahr mit insgesamt etwa 25 Lehrern aus ganz Deutschland, und haben denen diese Übungen, diese grundsätzlichen Erkenntnisse, die wissenschaftlichen Grundlagen mit auf den Weg gegeben, und haben die jetzt entlassen. Deswegen ist es ja möglich, dass auch deutschlandweit dieses Fach unterrichtet wird.

Bürger: Ja, ja, aber Sie integrieren das nicht in jede Unterrichtsstunde, sondern Sie haben ein eigenes Fach etabliert, das heißt auch: zusätzliche Stunden für Schüler. Sind das eigentlich Pflichtstunden?

Fritz-Schubert: Nein, das sind Wahlstunden. Also Glück ist wählbar, Aristoteles gibt uns das vor, und es wäre von daher natürlich sehr verfänglich, wenn man das immer so als Pflicht vorgeben würde. Aber es ist tatsächlich so, dass sich die Schüler ob dieser Wahl meistens für dieses Fach entscheiden, also weil sie einfach neugierig sind, weil sie einfach das Gefühl haben, das ist etwas, was ihnen helfen könnte als Lebensvorbereitung, als Lernvoraussetzung. Und deswegen haben wir da einen sehr starken Zuspruch.

Bürger: "Glück kann man lernen", so hat der Heidelberger Schulleiter Ernst Fritz-Schubert auch sein gerade erschienenes Buch überschrieben, im Untertitel heißt es: "Was Kinder stark fürs Leben macht", und das ist das Thema unseres Gespräches hier im Deutschlandradio Kultur. Ich habe eingangs Albert Einstein zitiert, der gesagt hat: "Wer keinen Sinn im Leben sieht, ist nicht nur unglücklich, sondern kaum lebensfähig." Ist es im Grunde also das, was auch Sie in Ihrem Glücksunterricht vermitteln wollen, die Suche nach Sinn?

Fritz-Schubert: Ja, natürlich hat die Suche nach Sinn etwas mit dem Glück zu tun, und wie gesagt, ich bin der Meinung, dass, wenn die Menschen nach Glück suchen, sie eigentlich nur den guten Grund suchen. Und wenn der gute Grund gefunden ist, dann stellt sich das Glück von alleine ein. Und die guten Gründe bleiben Jugendlichen, auch Erwachsenen, immer mehr verborgen, bin ich der Meinung, durch viele Glücksversprechen, die gemacht werden, die materiellen Ursprung haben, und die dann natürlich dazu führen, dass der Blick verstellt ist. Also wenn Sie sich das vorstellen: Sie gehen durch eine Straße und links ist eine Spielplattform, McDonalds, irgendwelche Medien, die angeboten werden, und Sie schauen nur auf diese eine Seite und die andere Seite, das ist Gemeinschaft, das ist Familie, das sind Wurzeln, das sind Zukunftsträume, Ziele, all die Dinge, die vielleicht ideeller Natur sind, die aber dem Menschen aufgrund dessen, dass er den Blick so verstellt hat, verborgen bleiben. Und das Fach Glück bemüht sich jetzt darum, diesen Blick wieder zu öffnen, die Perspektive breitzumachen, um diese Dinge zu erfahren.

Bürger: Das versuchen andere Fächer natürlich auch, Ethik, Philosophie, Religion. Reicht das nicht?

Fritz-Schubert: Natürlich, aber wenn Sie anschauen, wie die Lehrpläne konstruiert sind und wie der Unterricht aussieht, dann sind es mehr belehrende Fächer. Das sind Kundefächer, das heißt also, es wird darauf hingewiesen auf ... Die praktische Philosophie, so wie sie verstanden wird, ist eine Belehrung über das gelingende Leben. Aber das, was ich glaube, was ganz entscheidend ist: Dass es Ereignisse braucht, schöne Ereignisse, die zu guten Erfahrungen werden, und diese guten Erfahrungen, die ich dann emotional wahrgenommen habe, dass ich die dann noch mal auch über den Verstand reflektieren kann und sagen kann: Was ist eigentlich in dieser Situation passiert, warum hatte ich so ein gutes Gefühl? Warum ist mir die Familie plötzlich so wichtig? Gibt es da noch eine Verbindung zu dem, was unter Umständen weiter führt? Das sind Dinge, die in dem Unterricht meistens nicht stattfinden, und wenn wir jetzt sagen, wie ist der Glücksunterricht aufgebaut? Da sind theaterpädagogische Elemente drin, da sind sportliche Elemente drin, da sind Elemente von Rollenspielen drin, das ist also eine Vielzahl von Ereignissen, die den Menschen dazu bringen, das entsprechend auch in sich aufzunehmen, nachhaltig aufzunehmen.

Bürger: Das heißt, Sie holen auch außerschulische Experten in den Unterricht hinein?

Fritz-Schubert: Ja, zu Anfang waren es sehr viele Experten, die von außerhalb kamen, ob das jetzt Pädagogik, Wissenschaftler waren, ob das jetzt Theaterpädagogen waren oder ob das ganz einfache Menschen waren, die sich mit Sport beschäftigt haben – das war im Anfang so. Wir haben jetzt aber durch die Lehrerausbildung einen Stamm von Lehrern gebildet, die in der Lage sind, all diese Elemente direkt, die nur für die Schule jetzt von Bedeutung sind, auch umzusetzen.

Bürger: Was sind das normalerweise für Fachlehrer, die sich jetzt dann für dieses Fach entschieden haben, Glück?

Fritz-Schubert: Das sind Lehrer aus allen möglichen Bereichen, da sind auch Religionslehrer dabei gewesen und da sind Sportlehrer dabei, da war ein Mediziner aus der Schule, weil wir ja auch Mediziner angestellt haben. Das heißt also: Es ist ein ganz breites Spektrum von Lehrern, die eben aufgrund ihrer Intention, ihres Verständnisses von Bildungsauftrag, sich in der Lage sehen, das auch zu unterrichten, und vor allem auch die persönlichen Voraussetzungen haben, eine eigene starke Persönlichkeit haben.

Bürger: Ihr Projekt ist mittlerweile auch evaluiert worden von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg sowie dem OECD-Beauftragten für Österreich, denn auch in Österreich haben Lehrer sich in Glücksbildung fortgebildet. Was hat man jetzt dort herausgefunden bei dieser Evaluierung? Verändert sich mit dem Selbstwertgefühl der Schüler tatsächlich auch der Schulerfolg?

Fritz-Schubert: Ja, also es sind bemerkenswerte Ergebnisse herausgekommen, nämlich, dass die Schüler für sich viel mehr Sinn erkannt haben, dass sie in der Lage waren, für sich eigene Ziele zu formulieren, dass sie die Gemeinschaft stärker einschätzen als vorher, das heißt also in dem Zusammenhang die Familie mehr wertschätzen, die Schule mehr wertschätzen, überhaupt gesellschaftlich einen anderen Bezug haben, dass sie mehr Zuversicht haben, sich also an Dinge herantrauen, mehr eigene Ressourcen entdeckt haben, also eine Vielzahl von Dingen, die ganz wichtig sind. Und das lässt sich bündeln, das ist ... in der sogenannten Kohärenz, das heißt also, dieses Gefühl, nicht auseinanderzubrechen, nicht zu zerbersten, und dazu gehört eben diese Sinnhaftigkeit, die Verstehbarkeit und die Handhabbarkeit. Das sind drei Elemente, die wir getestet haben und die wir so festgestellt haben. Im anderen Zusammenhang ist natürlich auch die Kontrolle wesentlich stärker geworden, also diese Schüler wussten am Ende mehr, was sie wollen und beziehungsweise auch, was sie nicht wollen. Das sind ganz interessante Ergebnisse, das heißt also, die waren zielgerichteter, die haben also, wenn man so will, eine Mündigkeit für sich erkannt.

Bürger: Glück kann man lernen, mittlerweile nicht mehr nur an Heidelberger Schulen, und wer weiß, in wie vielen Schulkonferenzen nach den Sommerferien jetzt über die Einführung des Faches Glück debattiert werden wird. Die notwendige Fortbildung, die bietet Ernst Fritz-Schubert in Heidelberg an, und sein neues Buch ist soeben bei Ulstein erschienen: "Glück kann man lernen: Was Kinder stark fürs Leben macht". Ich danke Ihnen fürs Gespräch, Herr Fritz-Schubert!

Fritz-Schubert: Ich danke Ihnen, Frau Bürger