Glücklichsein in der Erinnerung

Das ambivalente Gefühl

05:43 Minuten
Eine junge Frau guckt in einen Rückspiegel.
Der Blick zurück auf das eigene vergangene Leben kann durchaus etwas verzerrt sein – vor allem wenn es um die Wahrnehmung des persönlichen Glücks geht. © imago images / Panthermedia
Von Christine Westerhaus · 08.12.2022
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Wenn man älter wird, werden die Partys langweiliger, aber das dort servierte Essen immer besser. Sprüche, die man auf Partys jenseits der 30 hört. Aber war früher wirklich alles besser und war man vor allem glücklicher? Eine Studie gibt Antworten.
Wie zufrieden sind die Menschen? Gibt es länderspezifische Unterschiede? Und wie verändert sich das persönliche Glück über die Zeit? Um das herauszufinden, werden die Menschen in Ländern wie den USA, Großbritannien aber auch Deutschland seit vielen Jahren regelmäßig befragt. Alberto Prati vom University College London und sein Team haben diese Daten nun für eine ganz andere Fragestellung genutzt. Sie wollten wissen, wie gut sich die Menschen an vergangenes Glück erinnern können.
„Wir wollten in dieser Studie nicht nur wissen, wie die Menschen ihre aktuelle Situation einschätzen, sondern auch, wie sie ihre Zufriedenheit rückblickend bewerten.“
Dabei zeigte sich: Die meisten der insgesamt etwa 53.000 Befragten hatten retrospektiv eine verzerrte Wahrnehmung von ihrer einstigen Zufriedenheit. Sie schätzen sich rückblickend als unzufriedener ein, als sie es tatsächlich gewesen sind. Konkret bedeutet das: Hatten die Menschen fünf Jahre zuvor auf einer Zufriedenheitsskala von eins bis 10 beispielsweise acht Punkte angegeben, bewerteten sie ihre damalige Situation rückblickend nur noch mit sechs oder sieben Punkten.

Unser wichtigstes Ergebnis ist: Es gibt eine Korrelation zwischen der aktuellen Zufriedenheit und der Art, wie wir uns daran erinnern. Grundsätzlich haben die meisten Menschen das Gefühl, dass es ihnen aktuell besser geht als früher. Und das würde man erst mal nicht erwarten, denn es ist ja nicht so, dass Menschen immer glücklicher werden, je älter sie sind.

Alberto Prati

Doch offenbar verfärbt sich dieser Eindruck in der Rückschau eher ins Schwarze, als ins rosarote.
„Das zweite Ergebnis ist: Die meisten Menschen spielen ihre frühere Zufriedenheit herunter und überschätzen, wie sehr sich diese verbessert hat. Außerdem sehen wir die Tendenz, dass vor allem zufriedene Menschen ihr früheres Glück unterschätzen und ihre aktuelle Zufriedenheit überbewerten. Unglückliche Menschen hingegen tendieren zur Übertreibung. Sie überbewerten, wie sehr sich ihr Leben verschlechtert hat.“

Warum vergangenes Glück heruntergespielt wird

Auf den ersten Blick mag dies kontraintuitiv erscheinen. Denn oftmals haben wir das Gefühl, dass zumindest bestimmte Dinge in unserem Leben früher besser waren. Psychologisch mache es jedoch Sinn, vergangenes Glück herunterzuspielen, sagt Alberto Prati. Denn sonst hätten wir später eher das Gefühl, dass es nicht mehr besser werden kann.

Es scheint eine Art Schutzmechanismus zu sein, der sich funktionell erklären lässt. Wir haben das zwar nicht genauer untersucht. Aber es scheint die mentale Gesundheit in der Zukunft zu verbessern. Wenn man das Gefühl hat, dass man auf einer Erfolgsschiene ist, dann wirkt sich das wahrscheinlich auch auf die kommenden Jahre aus. Denn wenn man optimistisch auf die Zukunft blickt, ist es wie eine sich selbsterfüllende Prophezeiung. Denn dann tut man Dinge, die einen tatsächlich glücklicher werden lassen.

Alberto Prati

Ähnliches beobachtet auch der Neurowissenschaftler Tobias Esch in seinen Studien. Der „Glücksforscher“ arbeitet als Professor an der Universität Witten/Herdecke und untersucht, wie sich die Zufriedenheit der Menschen im Alter verändert.
„Wir sehen eben auch passend dazu in unseren eigenen Daten. Dass, wenn man Querschnittsuntersuchungen macht. Also wenn man nicht Menschen rückblicken lässt, sondern sie befragt und das aufteilt je nach Lebensalter, entsteht eine u-förmige Entwicklung der Lebenszufriedenheit, wenn man so will über die Lebenszeit. Wenn man Menschen zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebens immer wiederkehrend befragt, finden wir eben, dass tatsächlich robust und substanziell die Lebenszufriedenheit bei der Mehrheit ansteigt also zunimmt.“

Geschickter Schachzug der Psyche

Diese positive Einstellung zum eigenen Leben stelle sich bei vielen Menschen automatisch im Alter ein, sagt Tobias Esch. Und es sei ein geschickter Schachzug der Psyche, weil es die Nachteile des Alters erträglicher mache.
„Wenn das Älterwerden damit einherginge, dass wir immer weniger Glück haben würden und uns das auch immer weniger signalisiert wird. Und dazu noch die Tatsache, dass Älterwerden bedeutet: Weniger können weniger gucken, weniger laufen. All das, dann wäre ja im Grunde genommen das Leben ein einziger Prozess, ein Abschwung vielleicht. Wenn ich den Zenit erreicht habe, irgendwo mit 30, 40, wäre es ein Weg hin zum Siechtum.“
Aber: Wenn wir stattdessen vergangenes Glück in unserer Erinnerung abwerten, dann haben wir weniger Grund, der Vergangenheit nachzutrauern. Und das lässt uns zufriedener älter werden.

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