Glosse

Die Freundschaft der anderen

Eine Frau schaut durch ein Schlüsselloch.
Die Spionageaffäre um die Aktivitäten der US-Geheimdienste nimmt immer größere Ausmaße an. © picture alliance / dpa
Von Wolfram Eilenberger vom "Philosophie Magazin"  · 13.07.2014
Abhören, Spitzeln - wer so etwas tut, mag vieles sein, nur kein Freund. Von einem gefährlichen "Spiel mit Freundschaft" sprach deshalb Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich der jüngsten Spionage-Enthüllungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis.
Nicht nur, dass die amerikanischen Freunde in Gestalt der NSA seit Jahren unser aller Handygespräche lückenlos überwachen. Wie die vergangene Woche zeigte, rekrutiert die CIA sogar gezielt deutsche Verwaltungsbeamte als Spione und lässt sich von diesen relevante Geheimdokumente zuspielen.
Bedingungen wahrer Freundschaft
In den Chor derer, die das alles schon immer gewusst haben wollen, stimmten bald auch kritische Politikexperten ein, die darauf bestanden, dass es sich bei der Anwendung des Begriffs der "Freundschaft" auf Staaten schlicht um einen Kategorienfehler handle. Vor begrifflichen Verwirrungen mag Aufklärung schützen. Und zwar nicht geheimdienstliche, sondern philosophische. Die erste Stimme des Abendlandes, die sich mit den Bedingungen wahrer Freundschaft auseinandersetzte, war Aristoteles.
In seiner Nikomachischen Ethik schreibt er von der Freundschaft, "sie ist für das Leben das Notwendigste, ohne Freundschaft möchte niemand leben". Was ausdrücklich auch für Staaten gelte, sei es doch in Wahrheit die "Freundschaft, die Staaten erhält." Darüber hinaus unterscheidet Aristoteles zwischen reinen Nutzenfreunden, Lustfreunden und Tugendfreunden. Nur die Tugendfreundschaft, da geeint durch ein geteiltes Verständnis des guten Lebens, sei wirklich belastbar und krisenfest. Tatsächlich scheinen die jüngsten Irritationen zwischen den USA und der Bundesrepublik auf verschiedenen Konzeptionen des guten Lebens zu beruhen. Amerika ist ein Land ohne totalitäres Trauma. Die ausgeprägte Überwachungssensibilität der Deutschen erscheint dort leicht als bloße Hysterie. Die Deutschen andererseits bringen bis heute kaum ausreichend Verständnis dafür auf, wie tief die Anschläge des 11. September das Selbstverständnis der USA erschüttert haben - Anschläge, die maßgeblich von Hamburg aus erdacht und geplant worden sind.
Einer wahren Freundschaft würdig?
Die wahren Gründe der Krise mögen allerdings noch tiefer liegen. Denn wahre Freundschaft ist nach Aristoteles nur unter Gleichen möglich. In den Augen der Amerikaner aber ist die deutsche Haltung seit Jahren von einer Verweigerung eben dieser Gleichheitshoffnung geprägt. Nirgendwo als in Washington wünschte man dringlicher, der deutsche Freund möge sich endlich zu der politischen, ökonomischen und auch militärischen Weltmacht bekennen, die er unabweisbar besitzt. So gesehen öffnet die derzeitige Belastungsprobe die Möglichkeit, die kriselnde Freundschaft auf eine neue, solidere Ebene zu stellen. Denn je selbstbewusster und robuster man in Deutschland gegen die Eingriffe protestierte, desto eher erwiese man sich aus amerikanischer Sicht einer wahren Freundschaft würdig.
Mit wem aber wäre es nützlicher, lustvoll über die Grundlagen eines guten Lebens zu diskutieren, als mit einem guten Freund?
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