Globuli und Chlorbleiche

Das gefährliche Geschäft mit der Alternativmedizin

29:42 Minuten
Zahlreiche Glasroehrchen mit Globuli stehen auf einem Tisch (Symbolbild).
Globuli und Co.: Oft übernehmen Krankenkassen die Kosten für Alternativmedizin. © dpa/ Franziska Gabbert
Beate Frenkel im Gespräch mit Christian Rabhansl |
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Alternativmedizin hat den Ruf, besonders sanft zu sein. Dabei können manche Methoden lebensgefährlich sein, berichtet die Investigativ-Reporterin Beate Frenkel. Konsequenzen hätten die angeblichen Wunderheiler aber kaum zu befürchten.
Naturheilmittel und "sanfte Medizin" genießen ein hohes Vertrauen bei ihren Patienten. Die Investigativ-Journalistin Beate Frenkel hat in der Szene der "Alternativmedizin" recherchiert und unseriöse Praktiken aufgedeckt: Promovierte Mediziner, die mit überteuerten Kräuterpillen schwerste Krankheiten zu heilen vorgeben. Ärzte mit Kassenzulassung, die von Impfungen abraten und sogar gefälschte Bescheinigungen ausstellen. Heilpraktiker, die regelmäßige Einläufe mit Chlorbleiche empfehlen. Selbsternannte Schamanen, die telefonisch gesundbeten.

"Das kann lebensgefährliche Folgen haben"

Ein angebliches Wundermittel sei Chlorbleiche, das seit Jahren angepriesen werde, sagt Frenkel: "Das hilft angeblich nicht nur gegen Covid-19, sondern ist eine Art Allzweckwaffe auch zum Beispiel gegen Krebs, gegen Alzheimer oder gegen Autismus." Das Bundesinstitut für Arzneimittel dagegen warne: "Das kann Verätzungen mit sich bringen. Das kann lebensgefährliche Folgen haben, wenn man das einführt. Das verätzt die Schleimhäute, wenn man viel davon zu sich nimmt oder wenn man es als Einlauf bekommt." Trotzdem werde das beispielsweise bei frühkindlichem Autismus angewandt. "Man möchte sich eigentlich nicht vorstellen, was bei einem Kind da alles passieren kann, wenn ihm das regelmäßig verabreicht wird."
Das Geschäft mit der Verzweiflung und falschen Versprechungen laufe gut, sagt Frenkel: Eltern autistischer Kinder berichteten ihr, im Monat durchschnittlich 1000 Dollar für Zusatzpräparate auszugeben. Für 20.000 Dollar gebe es auch ein Sauerstoffüberdruckzelt zu kaufen, in das autistische Kinder dann täglich eine Stunde gesperrt würden. "Das ist Kindeswohlgefährdung." Die Eltern seien trotzdem überzeugt, ihren Kindern zu helfen. Aus wissenschaftlicher Sicht sei Autismus jedoch nicht heilbar.

Wenig Kontrolle durch die Berufsverbände

Besonders perfide sei, dass hier auf die Profitgier von Pharmaindustrie und Pharmakonzernen geschimpft werde, um dann selber "einen Haufen Geld mit den falschen Versprechen" zu verdienen. "Es gibt immer mehr Menschen, die sich von solchen Versprechen tatsächlich leiten lassen und bereit sind, das auszuprobieren, und die sich immer weiter abwenden von Wissenschaft und Medizin und ihr Schicksal in die Hände von selbsternannten Heilern legen", sagt Frenkel.
Juristisch oder berufsrechtlich hätten diese Heilpraktiker und Ärzte wenig zu befürchten. Kaum einer fliege aus den Berufsverbänden. Ein Arzt habe ihr erklärt, ausdrücklich von "Spontanheilungen" zu sprechen, weil er dann keine Probleme mit der Bundesärztekammer bekomme. Frenkel: "Ich hatte den Eindruck, dass die Landesärztekammer, das Gesundheitsamt, die Kassenärztliche Vereinigung, alle Stellen, an die man sich wendet, dass die sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben." Offensichtlich müsse sehr viel passieren, damit sich etwas daran ändere.

Reform des Heilpraktikergesetzes gefordert

Insbesondere Heilpraktiker würden bislang "eigentlich gar nicht" kontrolliert. Eine Reform des Heilpraktikergesetzes werde schon lange gefordert. "Aber da traut sich niemand so richtig ran." Darüber habe sie auch mit der Bundesärztekammer gesprochen. "Die sagten: ‚Wir können doch den Deutschen ihre Kräuterfee nicht nehmen. Das gibt einen riesigen Shitstorm.‘ – Ich denke, das ist auch einer der wesentlichen Gründe, warum sich die Politik da relativ schwertut. Ganz klar ist, da gibt’s eine Menge Gegenwind."
Reformen und vor allem Konsequenzen bei gefährlichen Anwendungen wie mit Chlorbleiche seien aber nötig: "Solange Ärzte oder auch Heilpraktiker solche Methoden verbreiten und damit öffentlich immer wieder hausieren gehen können, ohne dass es Konsequenzen mit sich bringt, so lange bleibt bei potenziellen Patienten oder Anhängern natürlich hängen: ‚Na, das kann doch alles nicht so falsch sein. Sonst wäre das doch verboten.‘ – Und das ist das eigentliche Problem.
(rbh)

Beate Frenkel ist Journalistin und Buchautorin. Nach mehreren Recherchen zu Pharma-Skandalen und einem Buch über die Vermarktung von Psychopharmaka an Kinder ("Die Kinderkrankmacher", Herder 2015) untersucht sie in ihrem Buch "Pillen, Heiler, Globuli: Das Geschäft mit der Alternativmedizin" (Hirzel 2020) die Szene der Impfgegner und selbsternannten Wunderheiler.


Das Interview in ganzer Länge:
Deutschlandfunk Kultur: Solange kein Impfstoff und kein echtes Heilmittel gegen Corona gefunden ist, lautet die Regel: Händewaschen, Abstand halten, Maske tragen. Manche der Heilpraktiker und angeblichen Wunderheiler, die Sie getroffen haben, empfehlen stattdessen: Zwiebeln, Kuhdung und Chlorbleiche. Wie sollen Zwiebeln gegen Corona helfen?

Beate Frenkel: Also, folgt man den Verspechen derjenigen, die das im Internet oder auf ihren Webseiten anpreisen, dann sind Zwiebeln, wenn man sie im Raum auslegt, dafür gut, das Virus zu vertreiben. Auch Kuhdung und Kuh-Urin, auch Globuli sollen davor schützen, wenn man sie einnimmt. Da gibt es dann verschiedene Varianten, wie man das zu sich nehmen kann und soll, damit das schützt. Dass es das tut, darf man wohl bezweifeln.
Aber das sind alles vergleichsweise harmlose Geschichten. Eine ganz andere Geschichte ist Bleichmittel, eine ätzende Chlorbleiche, auch das wird angepriesen. Es handelt sich dabei um ein Reinigungsmittel, Chlordioxid, das man besser benutzt, um ein Schwimmbad zu reinigen, aber ganz bestimmt nicht, um Krankheiten zu heilen. Es soll aber angeblich auch gegen Covid-19 helfen und immun machen. Man trinkt das. Man kann es auch anal eingeführt bekommen, bei Kindern beispielsweise wird das als Einlauf empfohlen.
Und dieses Mittel, diese Chlorbleiche, hilft angeblich nicht nur gegen Covid-19, sondern ist eine Art Allzweckwaffe, die seit Jahren von bestimmten Wunderheilern, Heilpraktikern in diesem Umfeld empfohlen wird – auch zum Beispiel gegen Krebs, gegen Alzheimer oder gegen Autismus.
Das beschreibt auch schon das Problem. Denn es gibt immer mehr Menschen, die sich von solchen Versprechen tatsächlich leiten lassen und bereit sind, das auszuprobieren, und die sich immer weiter abwenden von Wissenschaft und Medizin und ihr Schicksal in die Hände von selbsternannten Heilern legen. Die wiederum verdienen eine Menge Geld damit.

Einläufe mit ätzender Chlorbleiche

Deutschlandfunk Kultur: Diese Chlorbleiche, das ist eine mindestens reizende, wenn nicht sogar ätzende Flüssigkeit, je nachdem, wie stark ich sie verdünne. Und damit machen diese Menschen dann ihren Kindern Einläufe. – Was für Folgen kann das haben?
Frenkel: Das ist eine ätzende Substanz, vor der das Bundesinstitut für Arzneimittel seit vielen Jahren warnt und sagt: Das kann Verätzungen mit sich bringen. Das kann lebensgefährliche Folgen haben, wenn man das einführt. Das verätzt die Schleimhäute, wenn man viel davon zu sich nimmt oder wenn man es als Einlauf bekommt. Man möchte sich eigentlich nicht vorstellen, was bei einem Kind da alles passieren kann, wenn ihm das regelmäßig verabreicht wird. – Aber genau das geschieht.
Es gibt eine Szene, die seit Jahren dafür wirbt, und die damit Geld macht. Das Erschreckende ist, dass es auch viele, oft verzweifelte Menschen gibt, die entweder selbst schwerkrank sind oder auch Eltern, deren Kinder an Autismus leiden, die sich darauf einlassen und dann den Ratschlägen folgen.
Deutschlandfunk Kultur: Solche Ratschläge finden wir einerseits im Internet, in irgendwelchen Facebook-Gruppen. Da wundert einen das überhaupt nicht. Aber was mich sehr irritiert hat: Sie beschreiben Kongresse mitten in Deutschland, mitten in Berlin, im Maritim-Hotel, da stehen Menschen auf dem Podium und erzählen von Chlorbleiche?
Frenkel: Das gibt es in der Tat. Was ich selber auch verblüffend fand, ist, dass das nicht einmal passiert ist oder zweimal passiert ist. Sondern dass Jahr für Jahr die esoterischen Alternativmessen stattfinden, quer durch Deutschland und eben auch in Berlin.
Einen dieser Kongresse habe ich besucht und habe dann selber erleben dürfen, wie auf dem Podium einer dieser Vertreter, in dem Fall ein Heilpraktiker, erzählte, er habe sich selbst mit dieser Chlorbleiche von einer schweren Krankheit befreit. Und man kann auch auf seiner Webseite nachlesen, welche Krankheiten sich damit angeblich behandeln lassen – Krebs, Alzheimer usw. Er hat dieses Mittel angepriesen und hat aber dazu gesagt: "Man darf in Deutschland nicht dafür werben. Das ist verboten. Aber ich darf ja erzählen, welche wunderbaren Ergebnisse sich damit erzielen lassen und welche Krankheiten sich damit heilen lassen." – Und das Publikum weiß natürlich genau, was er meint.
Das heißt, augenzwinkernd wird da zur Kenntnis genommen, eigentlich darf ich dafür nicht werben, aber ich mache es indirekt natürlich doch. Dieses Mittel kann man auf dem Kongress zwar nicht kaufen…

"Wir gegen die Pharmaindustrie"

Deutschlandfunk Kultur: Das wäre nicht erlaubt?
Frenkel: Das wäre nicht erlaubt. Aber es gibt Bücher, in denen wird dann beschrieben, wie wundervoll dieses Mittel angeblich wirkt und wem es schon geholfen hat und wie man es am besten anwendet. Auch die werden verkauft und allerlei andere Dinge drumrum auch.
Dieses Mittel gibt es seit vielen Jahren, es heißt MMS, "Miracle Mineral Solution" – auf Deutsch: Wunder-Minerallösung. Und wenn man im Internet dieses Mittel sucht, dann findet man sofort ganz viele Anbieter, die das verkaufen. Da steht dann immer dabei: "Das ist nur als Desinfektionsmittel zugelassen", eigentlich.
Deutschlandfunk Kultur: Zwinker, zwinker.
Frenkel: Genau, zwinker, zwinker. Aber jeder weiß natürlich, ah, hier bekomme ich das. Dann könnte man natürlich meinen, dass diese Anhänger oder Eltern oder Schwerkranke sich denken, "na ja, wenn das nur als Desinfektionsmittel zugelassen ist, dann gibt es vielleicht doch ein Problem damit". Aber genau das ist nicht der Fall.
Das fand ich auch so interessant bei meinen Recherchen, dass diejenigen, die erstmal in diesem Dunstkreis gefangen sind, sich nur noch schwer davon abbringen lassen, dass das alles seine Richtigkeit habe. Das ist so ein Gefühl: "Wir gegen die. Wir gegen die Pharmaindustrie, gegen die Ärzte, gegen die Medien."
Und das besonders Perfide daran ist, fand ich, dass diejenigen, die da sagen, "wir sind die Besseren, wir sind gegen die Profitgier von Pharmaindustrie und Pharmakonzernen", dass die selber einen Haufen Geld damit verdienen, mit den falschen Versprechen.

Mit Magnetfeldern gegen "die Schulmedizin"

Deutschlandfunk Kultur: Wobei Sie gerade gesagt haben: Dieser Heilpraktiker, der dann auf der Messe zum Schein sagt, "ich muss Sie jetzt dringend vor Chlorbleiche warnen", der verkauft das da auch gar nicht. – Womit macht der denn dann sein Geld? Sie sagen ja, "die verdienen so viel damit"?
Frenkel: Die machen Fortbildungen, auch für Heilpraktiker beispielsweise. Und die machen Behandlungen, natürlich machen sie Behandlungen, in ihrer Heilpraktikerpraxis. Und es sind auch selbsternannte Wissenschaftler dabei, die sagen: "Wir forschen daran. Wenn Sie uns Geld spenden für unser Institut, in dem wir forschen, zum Beispiel Aktien kaufen, dann können wir da weiter dran forschen. Und eigentlich wäre das ja sowieso alles auf dem Markt, wenn nicht die anderen – die Pharmaindustrie, die Ärzte, die etablierten Wissenschaftler – uns davon abhalten würden."
Deutschlandfunk Kultur: Das funktioniert ganz stark mit Schlagworten. Die Bösen sind "die Pharmaindustrie", das ist "die Chemie", das ist "die Schulmedizin". Auf der guten Seite sind es dann Schlagworte wie "Energie", oder "Magnetfelder". Irgendwelche Sachen werden "optimiert", werden "gereinigt". Häufig fallen auch Begriffe, die nicht richtig viel aussagen. Zum Beispiel beschreiben Sie, dass einer der Ärzte, wenn er für seine angeblichen Heilerfolge wirbt, von "Spontanheilungen" spricht.

Was ist so geschickt an diesem Wort "Spontanheilung"?

Frenkel: Das Wort "Spontanheilung" kann man verwenden, weil es nicht impliziert, dass tatsächlich durch falsche Verspechen eine Heilung eingetreten sei. Im konkreten Fall handelte es sich um einen renommierten Arzt aus Deutschland, der in Amerika viele Patienten behandelt und damit wirklich sehr, sehr, sehr viel Geld verdient und auch diese Mittel, allerlei Pillen und Pulver und Extrakte anpreist, in Deutschland aber im Wesentlichen sein Geld damit verdient, dass er Fortbildung für Heilpraktiker macht oder für interessierte andere Mediziner.
Der behauptet zum Beispiel, dass er mit seinen Methoden Menschen auch von Alzheimer, von allen möglichen Arten von Krebs und eben auch Kinder von Autismus befreien kann, heilen kann. Und weil er weiß, dass das in Deutschland natürlich so nicht geht, spricht er dann, wenn man ihn als Journalist drauf anspricht, von "Spontanheilung".
Deutschlandfunk Kultur: Was ist so clever an diesem Begriff?
Frenkel: Er hat mir erklärt, dass er "Spontanheilung" sagt, weil er dann keine Probleme mit der Bundesärztekammer bekommen kann.

Zusammenhalt wie in einer Sekte

Deutschlandfunk Kultur: Ich war am Anfang verblüfft, als ich in Ihrem Buch gelesen habe, dass diese Wundermittelchen auch beispielsweise gegen Autismus helfen sollen, also Krankheiten, bei denen ansonsten eigentlich kaum Hoffnung besteht. – Ist das in Wirklichkeit aber gar nicht verblüffend, sondern ein cleverer Schachzug, weil das Patienten sind, die nichts zu verlieren haben?
Frenkel: Es ist ein sehr weites Feld. Es geht los mit ganz vielen, ganz harmlosen Präparaten, die gegen allerlei kleinere Blessuren oder Wehwehchen helfen sollen. Aber dann eben auch gegen ganz schwere Krankheiten. Und das Problem ist eigentlich, dass es diese Versprechen gibt. Wer sich da erstmal in diesen Dunstkreis begeben hat, den muss man von nichts mehr überzeugen. Der ist dann sozusagen immun gegen Fakten. Das ist wie eine Sekte, muss man sich vorstellen. Es gibt diejenigen, die dazu gehören.
Das ist vielleicht auch wie so ein Virus, gegen den es keinen Impfstoff gibt, weil all das immer mit Verschwörungstheorien verbunden ist. Darüber funktioniert das. Menschen, die verzweifelt sind, an Krebs leiden, oder verzweifelte Eltern, deren Kinder an Autismus leiden, die sind leichter zu gewinnen. Aber dennoch wäre es natürlich nicht so einfach, wenn es nicht sowieso eine Bereitschaft gäbe, sich darauf einzulassen.

Immer dieselbe, längst widerlegte Impf-Studie

Deutschlandfunk Kultur: Das ganze Thema Autismus hängt eng auch mit dem Thema Impfen zusammen, weil sich seit vielen, vielen Jahren das Gerücht hält: Impfen könnte Autismus bei Kleinkindern auslösen. Und da gibt es ja tatsächliche eine Studie, auf die sich diese Impfgegner seit Jahren berufen. – Was ist das für eine Studie?
Frenkel: Das ist eine Studie, die vor über zwanzig Jahren von einem englischen Mediziner gemacht worden ist, Andrew Wakefield. Die Geschichte von ihm und seiner Studie ist wahrscheinlich das beste Beispiel dafür, wie das funktioniert mit den Verschwörungstheorien, mit den Fake-News und mit der Tatsache, dass Menschen, wenn sie erstmal bereit sind, sich darauf einzulassen, nur noch schwer vom Gegenteil zu überzeugen sind.
Denn mit dieser Studie hat es Folgendes auf sich: Er hat zwölf Kinder untersucht und kam zu dem Ergebnis: "Impfen macht Autismus." Das hat für viel Aufruhr gesorgt in England.
Deutschlandfunk Kultur: Zumal die Studie in der renommierten Zeitschrift Lancet erschienen ist.
Frenkel: Genau. Daraufhin sind die Zahlen der Impfungen deutlich zurückgegangen. Es gab eine Masern-Epidemie, die Zahl der Infektionen ist hochgegangen. Und nach relativ kurzer Zeit stellte sich aber heraus, die Studie ist eine Fälschung. Also, das stimmte hinten und vorne nicht. Wie gesagt, das waren gerade mal zwölf Kinder, mit denen er diese Untersuchung gemacht hatte…
Deutschlandfunk Kultur: Was heißt eine "Fälschung"? Hat er richtig Daten manipuliert? Oder was ist passiert?
Frenkel: Er hat einfach nicht sauber gearbeitet, all das, was man normalerweise macht. Die Kinder waren aus dem Bekanntenkreis und es gab verschiedene Parameter, die er nicht eingehalten hat. Aber grundsätzlich war erstmal der Punkt: Er hat eine Behauptung aufgestellt, die sich als falsch erwies. Und der Artikel wurde aus dieser renommierten Zeitschrift zurückgezogen. Ihm wurde die Approbation entzogen.
Und man könnte nun meinen, das wäre dann das Ende der Geschichte gewesen – war es aber nicht, sondern dieses Gerücht hält sich bis heute. Es sind inzwischen unzählige Studien gemacht worden, zuletzt eine dänische mit 650.000 Kindern über zwanzig Jahre.
Deutschlandfunk Kultur: 650.000 Kinder! Und er hatte zwölf.
Frenkel: Genau. Diese Studie hat es noch einmal belegt: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Masern-Mumps-Röteln-Impfung und Autismus. Das war, wie gesagt, ursprünglich seine Behauptung gewesen.
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Andrew Wakefield mit vielen, vielen Anhängern zusammen diese Geschichte bis heute weiterspinnt. Es gibt nicht nur Menschen, die da dran glauben, sondern auch andere Ärzte, Heilpraktiker, Wunderheiler, die auf den Zug aufgesprungen sind – in Amerika, wie auch in England, wie auch in Deutschland – und sagen: "Autismus ist durch die Impfung entstanden. Und da wir ja jetzt wissen, wie der Autismus entstanden ist, haben wir auch Mittel, wie wir ihn besiegen können." Was Quatsch ist. Autismus ist nicht heilbar. Aber sie verkaufen dann eben ihre Wundermittel, ihre Pillen, ihre Pulver, machen irgendwelche Therapien und verdienen viel Geld damit.

30-Dollar-Joghurt soll bei Autismus helfen

Deutschlandfunk Kultur: Dieser frühkindliche Autismus bedeutet, dass viele von den Kindern nicht sprechen. Manche reagieren auch nicht, wenn sie angesprochen werden. Sie halten keinen Augenkontakt. – Also, das ist für Eltern wirklich eine furchtbare Situation. Und nach wissenschaftlichem Stand, wenn ich das bei Ihnen richtig verstanden habe, kann man mit einem mühsamen Therapieprozess erreichen, dass die Kinder vielleicht doch irgendwann reagieren, wenn sie gerufen werden, oder den Eltern tatsächlich in die Augen sehen. Das ist also ziemlich bitter.
Die Eltern von solchen Kindern haben Sie auf einem Autismus-Kongress getroffen, diesmal, glaube ich, in den USA. Was haben Sie da erlebt?
Frenkel: Ja, das war in den USA. Auch das ist ein Kongress, der jährlich stattfindet, relativ groß. Normalerweise gibt es da auch keinen Zutritt als Presse. Ich hatte aber die Möglichkeit, mich da im Zuge einer Recherche umzuschauen, weil ich auch Kontakt zu einem deutschen Mediziner hatte, der da seine Produkte und seine Methoden bewirbt.
Da sind Anbieter, da gibt es ganz, ganz, ganz viele Stände mit allen möglichen Produkten – Broccoli-Sprossen, Knoblauch-Kapseln, alles Mögliche.
Deutschlandfunk Kultur: Das gäbe es eigentlich auch im Gemüsemarkt.
Frenkel: Ja, aber ich glaube, zu anderen Preisen. Diese kleinen Kapseln kosten dann mal so hundert Dollar für fünfzig Stück. Oder ein probiotisch links oder rechts gedrehter Joghurt kostet dreißig Dollar, drei kleine Päckchen.
Deutschlandfunk Kultur: Was geben denn dann diese Eltern im Monat so aus für ihre Kinder?
Frenkel: Ich habe da mit Eltern gesprochen, mit einigen, die fest davon überzeugt sind, und die sagten: im Schnitt tausend Dollar im Monat, für diese ganzen Pillen und Extrakte. Und sie sagten, zum Teil geben sie ihren Kindern viermal am Tag dreißig Pillen.
Das ist das eine. Aber es gibt dann auch noch ganz andere Produkte, bei denen man denkt, das kann nicht wahr sein, dass jemand ernsthaft glaubt, dass das dem Kind guttut. Ich habe dort beispielsweise eine Sauerstoffüberdruckkammer kennengelernt, die kostet 20.000 Dollar, für den Hausgebrauch. Die kann man sich zu Hause aufpumpen und ins Wohnzimmer stellen. Da soll dann das Kind einmal am Tag eine Stunde drin eingeschlossen werden, weil auch das angeblich hilft.
Es gibt auch Fußbäder gegen Autismus. Also, es gibt quasi nichts, was es nicht gibt, möchte man meinen.

"Das ist Kindeswohlgefährdung"

Deutschlandfunk Kultur: Und wir reden hier wohlgemerkt von Kindern, die im Zweifelsfall gar nicht sprechen können und sich gar nicht äußern können, wenn sie in so ein Sauerstoffüberdruckzelt gesperrt werden.
Frenkel: Genau. Ich habe auch mit deutschen Psychiatern und Ärzten drüber gesprochen, habe ihnen zum Teil diese Bilder gezeigt. Die sagten: "Das ist Kindeswohlgefährdung. Das ist schwer traumatisierend." Es ist einfach unvorstellbar, dass man Kindern so was antut." – Aber, wie gesagt, die Eltern, mit denen ich gesprochen habe, das sind ja keine böswilligen Eltern und keine schlechten Eltern, sondern das sind verzweifelte Eltern. Die glauben fest daran, dass sie damit ihren Kindern etwas Gutes tun. Das ist eigentlich das Schockierende daran, dass es offenbar den Anbietern gelingt, diese Eltern davon zu überzeugen. Und dass so wenig dagegen getan wird, um genau das zu verhindern.
Deutschlandfunk Kultur: Vorhin haben Sie gesagt, auf diesen Kongress hätten sie eigentlich als Journalistin gar nicht gehen können. Sie sind hingekommen wegen des Kontaktes zu einem deutschen Arzt, der da auch auftritt, der also auch zu dieser Szene gehört. – Wie läuft da überhaupt Ihre Recherche? Warum hat der Sie mitgenommen? Dachte der sich nicht, dass Ihr Buch nicht ganz so positiv für ihn ausgeht?
Frenkel: Ich glaube, ich habe zum damaligen Zeitpunkt einfach nur viel Glück gehabt. Und dadurch, dass ich vorher auch eine Reihe von pharmakritischen Filmen und Berichten gemacht habe und ein Buch dazu geschrieben habe, hatte er vermutlich gedacht, ich stünde irgendwie auf seiner Seite.
Das Ganze lief im Wesentlichen über Kontakte in den USA. Dort habe ich ihn auch kennengelernt. Ich habe ihn dann später nochmal in Deutschland getroffen bei einer Fortbildung, die er Heilpraktikern gegeben hat. Dadurch habe ich diesen Einblick bekommen.
Das Besondere ist festzustellen, dass er zwar für mich jemand war, bei dem ich dachte, der ist besonders gut darin, sich zu verkaufen und seine Produkte zu bewerben. Aber auch er ist nur einer von vielen. Das muss man sich klarmachen. Das ist wirklich eine Szene, in der dieser neue Boom – Esoterik, Alternativmedizin – gut genutzt wird.
Das heißt natürlich nicht, dass alle, die in diesem Bereich der Naturheilkunde arbeiten, oder dass Heilpraktiker per se mit diesen Methoden arbeiten, sondern es sind zunehmend viele, die das ausnutzen. Eine befreundete Heilpraktikerin hat mir schon vor Jahren gesagt, dass sie sich da Sorgen macht, weil sie durchaus sieht, dass immer mehr ihrer Kollegen mit dubiosen Methoden falsche Versprechen abgeben und damit Patienten im Zweifelsfall auch gefährden.

Angst vor einer großen Pharma-Verschwörung

Deutschlandfunk Kultur: Ich habe mich gefragt, inwieweit das Ganze auch noch eine darüber hinausgehende politische Dimension hat. Weil Sie diesen Arzt, den Sie da in die USA auf den Autismus-Kongress begleitet haben, auch mit dem Satz zitieren: "Es ist gewollt, dass im Jahr 2025 die Hälfte der Menschheit autistisch ist. Und alle Kräfte, die ich kenne in den Regierungen kooperieren damit." – So was sagt er?
Frenkel: Verschwörungstheorien spielen eine ganz, ganz große Rolle in diesem Zusammenhang. Der Gedanke, "die Pharmaindustrie, die etablierten Ärzte, die Medien sind alle gegen uns", dieser Gedanke verbindet die. Der verbindet zum Beispiel auch die – in Anführungsstrichen – "Alternativmediziner" oder Wunderheiler mit den strikten Impfgegnern. Diejenigen, die das Impfen ablehnen, sind oft auch sehr, sehr skeptisch gegenüber der etablierten Medizin. Und die Verbindung habe ich auch auf Demonstrationen erlebt, wo Impfgegner gegen die Impfpflicht demonstrieren, und das sieht man jetzt auch wieder bei diesen Corona-Demonstrationen. Verschwörungstheorien spielen eine ganz große Rolle.
Und damit wird argumentiert – immer. Wann immer eine kritische Frage kommt, kommt sofort dieses: "Das ist doch nur, weil die Pharmaindustrie uns das unterstellt. Unsere Mittel, wie zum Beispiel die Chlorbleiche, wäre ja viel mehr akzeptiert, auch auf dem etalierten Markt, wenn nicht die andere Seite dafür sorgen würde, dass wir da keine Chance haben, damit durchzudringen."
Deutschlandfunk Kultur: Dieses grundsätzliche Misstrauen betrifft auch die Impfungen, über die wir schon gesprochen haben, auch die Masern-Impfung. Deshalb haben wir ja in Deutschland seit ein paar Monaten für Kinder in Schulen und in Kindergärten eine Masern-Impfpflicht. – Wie wird die von der Impfgegnerszene umgangen?
Frenkel: Es gibt im Wesentlichen zwei Methoden. Die eine ist, dass einfach Impfpässe gefälscht werden. Dafür braucht es nicht mal einen Arzt, sondern da kann man sich den Arztstempel im Internet besorgen und auch einen Blanko-Impfpass.
Deutschlandfunk Kultur: Das kann man einfach online kaufen?
Frenkel: Kann man online kaufen, kann man ausfüllen.
Deutschlandfunk Kultur: Ich bräuchte aber immer noch den kleinen Aufkleber, der eigentlich auf der Impfdosis drauf ist.
Frenkel: Genau. Der fehlt dann zwar, aber da der auch sonst manchmal fehlt, weil mal ein Impfpass verloren gegangen ist beispielsweise, aber nachträglich wieder einer für Kinder ausgestellt wird, ist das zwar ein bisschen außergewöhnlich, aber nicht so, dass man da unbedingt ganz misstrauisch sein muss – habe ich mir von Kinderärzten sagen lassen.

Gefälschte Impfunfähigkeits-Bescheinigung für 10 Euro

Deutschlandfunk Kultur: Das ist die eine Methode.
Frenkel: Die andere Methode ist, sich eine Impfunfähigkeits-Bescheinigung vom Arzt ausstellen zu lassen. Die ist eigentlich gedacht für ganz, ganz seltene Fälle, wenn Kinder an schweren Autoimmunerkrankungen leiden oder einen Herzfehler haben und deshalb nicht geimpft werden dürfen. Und das sind ja eigentlich genau die Kinder, für die es so wichtig ist, dass mindestens 95 Prozent aller anderen geimpft sind und sie dadurch diesen Herdenschutz haben. Diese kleine Minderheit von Nichtgeimpften muss sich darauf verlassen können, dass sie dadurch geschützt ist, dass die überwiegende Mehrheit geimpft ist und dieses Virus nicht verbreiten kann.
Aber die Impfunfähigkeits-Bescheinigung wird von Ärzten ausgestellt, auch ohne dass eigentlich ein Grund dafür vorhanden ist.
Deutschlandfunk Kultur: Haben Sie so einen Arzt gefunden?
Frenkel: Ich habe einen Arzt gefunden, der genau das macht. Auch in Internet-Foren tauschen sich Eltern aus, wo man diese Ärzte findet. Die Namen kursieren dann. Klar, es gibt Ärzte, die machen das.
Deutschlandfunk Kultur: Sie mussten nicht mal mit einem Kind hingehen. Sie haben dem einfach einen Umschlag mit Geld geschickt.
Frenkel: Wir haben dem im Rahmen einer Recherche für Frontal 21 einen Umschlag geschickt. Er hatte das auch angeboten in einer Mail an Eltern, die uns zugespielt worden war, in der er sagte: "Schickt mir einen Briefumschlag, den Namen des Kindes und zehn Euro in Silberpapier gewickelt und mögliche Vorerkrankungen in der Familie. Dann bekommt ihr die Impfunfähigkeits-Bescheinigung."
Also haben wir uns ein Kind namens Jakob ausgedacht, haben zehn Euro in Alupapier gewickelt und ihm das geschickt. Und ein, zwei Wochen später war dann die Impfunfähigkeits-Bescheinigung da für das Kind Jakob, das es gar nicht gibt.

Es drohen kaum berufsrechtliche Konsequenzen

Deutschlandfunk Kultur: Das ist einer der vielen Punkte, Frau Frenkel, wo ich mich gewundert habe. Wie kann das sein? Wie kann so was ohne Konsequenzen bleiben?
Wir haben Heilpraktiker, die auf einem Podium stehen und augenzwinkernd so tun, als würden sie gerade nicht Chlorbleiche empfehlen – aber allen ist klar, sie empfehlen das. Wir haben hier einen Arzt, der einem Kind, das er nie gesehen hat und das es überhaupt nicht gibt, eine Impfunfähigkeits-Bescheinigung ausstellt.
Wie reagieren darauf Ärztekammer, Kassenärztliche Vereinigung, Heilpraktikerverbände? Fliegen die da raus?
Frenkel: Erstmal nicht. Auch das hat mich erst verwundert, aber auch das ist kein Einzelfall. Und weil bei diesem konkreten Arzt nicht nur diese Impfunfähigkeits-Bescheinigung ein Problem ist, sondern er sich auch deutlich gegen Impfungen bei Kindern ausspricht und Heilpraktiken empfiehlt, bei denen man einfach sagen muss, da habe ich auch anfangs gedacht: "Das kann doch nicht sein, dass ein approbierter Arzt, auch noch mit Kassenzulassung, so etwas über Jahre machen kann, ohne dass es zu Problemen führt!" –Das ist aber so.
Offensichtlich ist es sehr, sehr schwer dagegen vorzugehen. Ich hatte den Eindruck, dass die Landesärztekammer, das Gesundheitsamt, die Kassenärztliche Vereinigung, alle Stellen, an die man sich wendet, dass die sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben. Und es muss offensichtlich sehr viel passieren, damit sich etwas ändert.
In dem Fall wird jetzt nochmal die Kassenzulassung dieses Arztes überprüft. Der Ausgang ist offen.
Aber nochmal: Das ist ein drastisches Beispiel, aber es ist eben kein Einzelfall. Und das ist eigentlich der entscheidende Punkt. Denn solange Ärzte – von denen ich sagen würde, es ist sicherlich eine Minderheit – oder auch Heilpraktiker solche Methoden verbreiten und damit öffentlich immer wieder hausieren gehen können, ohne dass es Konsequenzen mit sich bringt, so lange bleibt bei potenziellen Patienten oder Anhängern natürlich hängen: "Na, das kann doch alles nicht so falsch sein. Sonst wäre das doch verboten." – Und das ist das eigentliche Problem.

Trennung zwischen Globuli und evidenzbasierter Medizin gefordert

Deutschlandfunk Kultur: Würden Sie das auch mit Blick auf im Grunde harmlose Mittelchen wie zum Beispiel homöopathische Globuli sagen? Da ist ja so wenig Wirkstoff drin, dass Globuli aus wissenschaftlicher Sicht gar nicht wirken und deswegen ja auch gar nicht schaden können. – Würden Sie trotzdem sagen, das muss raus aus den Arztpraxen, raus aus den Apotheken, aus Prinzip?
Frenkel: So weit würde ich gar nicht gehen. Ich glaube, es ist letztendlich jedem selber überlassen, welches Produkt er zu sich nimmt, ob er jetzt eher an Naturheilverfahren glaubt. Fakt ist, es gibt Menschen, die glauben an Globuli und es scheint ihnen auch irgendwie zu helfen. Daran muss man ja auch gar nicht rühren.
Aber die Frage ist: Wie weit sollte man das trotzdem abgrenzen von Wissenschaft und evidenzbasierter Medizin? Darum dreht sich eigentlich der Streit. Ich glaube, da wäre eine deutlichere Abgrenzung dringend notwendig, damit klar ist: Das eine sind Medikamente. Die sind erforscht. Die sind erprobt. Da gibt es einen wissenschaftlich erwiesenen Nutzen. Und das andere sind Mittel, die kann man nehmen. Die helfen vielleicht auch, aber das hat mit Wissenschaft und evidenzbasierter Medizin nichts zu tun.
Deshalb gibt es eben auch den Streit darum: Sollen Krankenkassen Homöopathie erstatten, also homöopathische Behandlungen?
Deutschlandfunk Kultur: Viele Kassen tun das freiwillig, obwohl das eigentlich nicht im Leistungskatalog steht.
Frenkel: Genau. Darum dreht sich der Streit seit Jahren. Auch die Grünen befassen sich inzwischen damit – die ja auch eine sehr starke Lobby in anthroposophischen Kreisen haben, auch unter den Gründungsmitgliedern sind viele aus dieser "alternativmedizinischen" Ecke. Jetzt gibt es aber diesen Streit darum. Im Zusammenhang mit der ganzen Klimadebatte sagen die Grünen: Wir legen ganz großen Wert auf Wissenschaft. Daten und Fakten sind entscheidend. Aber wenn es um Homöopathie geht, ist das auf einmal alles ganz anders.
Deutschlandfunk Kultur: Das hat schon eine gewisse Ironie.
Frenkel: Darüber wird gerade gestritten. Man darf gespannt sein, wie das ausgeht. Aber immerhin: Es wird drüber gestritten und debattiert. Und ich glaube, das wird es inzwischen mehr als noch vor ein, zwei, drei Jahren, weil doch immer klarer wird, da gibt’s ein Problem.

"Heilpraktiker werden eigentlich gar nicht kontrolliert"

Deutschlandfunk Kultur: Da ist also ein bisschen Bewegung drin. Vor ein paar Tagen haben auch zehn der 17 Ärztekammern in Deutschland beschlossen, die "Weiterbildung Homöopathie" zu streichen. Also, da ist Bewegung drin. Sehen Sie auch, was Heilpraktiker betrifft, die ernsthaft mit Chlorbleiche und dergleichen arbeiten, dass auch da Bewegung reinkäme?
Frenkel: Also, angekündigt wurde das im letzten Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Bisher hat sich da aber recht wenig bewegt. Man muss sich vielleicht nochmal vor Augen führen, dass das auch deshalb nochmal in die Diskussion gekommen ist, weil 2017 ein Heilpraktiker Krebspatienten Infusionen gegeben hat, an denen sie gestorben sind. Das war im Rahmen einer – in Anführungsstrichen – "alternativen Selbsttherapie", die 10.000 Euro pro Person gekostet hat.
Nach dem Tod dieser drei Krebspatienten wurde die Diskussion wieder laut, wie werden eigentlich die Heilpraktiker kontrolliert?
Deutschlandfunk Kultur: Wie werden sie denn kontrolliert?
Frenkel: Eigentlich gar nicht. Die machen ihre Ausbildung und danach werden sie – ganz anders als Ärzte – nicht regelmäßig über Gesundheitsämter oder andere Institutionen kontrolliert. Also, ob sie Fortbildung machen, welche Fortbildungen das sind, dass sie sich da vielleicht ein Diplom auch an die Wand hängen. – Da gibt es überhaupt keine Spielregeln.
Das ist natürlich ein Problem. Das diskreditiert zum einen diejenigen, die eine ordentliche Arbeit machen, denn auch davon gibt es ja sehr, sehr viele. Vor allen Dingen öffnet das alle Türen hin zu falschen Versprechen und auch üblen Machenschaften.
Die eingeforderte Reform hat es bisher nicht gegeben. Letztendlich auch deshalb, weil sich da niemand so richtig ran traut. Ich habe mit der Bundesärztekammer mal in dem Zusammenhang gesprochen. Die sagten: "Wir können doch den Deutschen ihre Kräuterfee nicht nehmen. Das gibt einen riesigen Shitstorm." – Ich denke, das ist auch einer der wesentlichen Gründe, warum sich die Politik da relativ schwertut. Ganz klar ist, da gibt’s eine Menge Gegenwind.
Deutschlandfunk Kultur: Frau Frenkel, danke für das Gespräch.
Frenkel: Ich danke Ihnen.

Beate Frenke: "Pillen, Heiler, Globuli: Das Geschäft mit der Alternativmedizin"
Hirzel-Verlag 2020
166 Seiten, 18 Euro

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