Globalisierte Geschichte
Geschichtsschreibung war zu fast allen Zeiten eine sehr nationale Angelegenheit. Das ändert sich nun: Vier Tage haben sich fast 300 Wissenschaftler in Leipzig zum Ersten Europäischen Kongress für Welt- und Globalgeschichte getroffen und dabei festgestellt: auch die Globalisierung hat eine Geschichte.
Schon der antike Geschichtsschreiber Herodot hatte den hehren Anspruch, eine Weltgeschichte zu schreiben. In seinen "Historien" zeichnete Herodot alles über die damals bekannte Vergangenheit des Menschen auf.
Immer wieder gab es ähnliche Versuche. Historiker des Mittelalters und der Aufklärung arbeiteten an Weltchroniken. Im Jahre 1899 schrieb der Leipziger Historiker Hans Helmholt eine "Weltgeschichte". Inzwischen sind die Historiker mit dem Blick fürs Ganze wieder in Leipzig gelandet - zum Ersten Europäischen Kongress für Welt- und Globalgeschichte.
Michael Geyer: "Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man entdeckt hat, dass die Weltgeschichte nicht im Allgemeinen aufgehen muss. In dem Sinne dass es eine Geschichte für alles, über alles und jedes, also eine philosophische Geschichte, eine Totalgeschichte ist."
Der Chicagoer Historiker Michael Geyer war einer von fast 300 Teilnehmern. Er hat in den neunziger Jahren Grundlagen für die moderne Globalgeschichtsschreibung entworfen und damit eine fast vergessene Tradition wieder aufgegriffen. Denn in Deutschland gab es schon Ende des 19. Jahrhunderts Historiker, die versucht haben, die Geschichte weniger aus nationaler, sondern aus internationaler Perspektive zu betrachten. Es hätte schon damals ein eigener Wissenschaftszweig werden können - doch ein Mann kam dazwischen.
"Seine Majestät, Kaiser Wilhelm der Zweite. Hurra! Hurra. Hurra! Hurra."
Der Nationalismus des deutschen Kaiserreichs und der Erste Weltkrieg beendeten alle Versuche, Globalgeschichte als Wissenschaftszweig zu etablieren. Die Vergangenheit wurde national gedeutet. Statt auf das große Ganze konzentrierten sich Historiker viele Jahrzehnte auf immer kleinere Details.
Heute geht der Trend in die andere Richtung: Historiker haben wieder die gesamte Welt im Blick. Das zeigte nicht zuletzt der Leipziger Kongress. Eingeladen hatte dazu der Leiter des Zentrums für Höhere Studien an der Universität Leipzig, Matthias Middell.
Matthias Middell: "Ich finde die Idee faszinierend, an diese Idee von Weltgeschichtsschreibung in Leipzig anzuknüpfen, die seit dem 19. Jahrhundert eigentlich besteht. Dass dann 270 Historiker Vorträge angemeldet haben, war für uns so vorher nicht absehbar."
Bei ihren Diskussionen kamen die Historiker zu einer überraschenden Erkenntnis: Das Phänomen der Globalisierung sei im Grunde alt. Ein Vertreter dieser These war der Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Jürgen Kocka. Er sagte auf dem Kongress, spätestens seit dem 19. Jahrhundert könne man von Globalisierung sprechen.
Jürgen Kocka: "Da sind Organisationen wie das Rote Kreuz entstanden oder die Olympischen Spiele neu eingerichtet worden. Es gab eine Zunahme der Wanderungen, der Migrationen und die Länder haben sich gegenseitig wahrgenommen auch in den Wissenschaften. Es gab sehr viele Kontakte, die dann mit dem Ersten Weltkrieg abgebrochen sind."
Kaiser Wilhelm II.: "Es muss das Schwert nun entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf, zu den Waffen!"
Der übertriebene Nationalismus des frühen 20. Jahrhunderts war nach Ansicht vieler Tagungsteilnehmer eine Reaktion auf diesen ersten Globalisierungsschub. Michael Geyer sprach davon, dass schon die Geschichte gezeigt habe, dass Globalisierung nicht zwangsläufig zu mehr Frieden, sondern auch zu nationaler Panik führen könne. Für Matthias Middell war die Nachricht, dass die Globalisierung eine Vergangenheit hat, trotzdem positiv.
Matthias Middell: "Das hat einen enorme Wirkung auf die heutige Diskussion über Globalisierung. Wenn wir die nicht mehr als etwas naturgemachtes und vor wenigen Tagen über uns Gekommenes empfinden, dann können wir natürlich viel leichter verstehen, dass Globalisierung auch heute etwas ist, das wir machen und demzufolge beeinflussen können."
Der Kongress in Leipzig hat gezeigt: Die Globalgeschichtsschreibung boomt. Sie ist heute so populär wie die Sozialgeschichte in den sechziger und siebziger Jahren. Jürgen Kocka bezweifelt aber, dass der globale Blick den nationalen verdrängen werde.
Jürgen Kocka: "Auch zukünftig werden die meisten Historiker eher die Geschichte ihres Landes oder ihrer Kultur oder ihrer Gesellschaft bearbeiten. Die Spezialisierung in der Geschichtswissenschaft ist weit vorangeschritten. Und es wäre falsch zu glauben, dass man sie zurückdrehen könnte oder sollte."
Trotzdem prophezeit Matthias Middell, dass der Trend zur Globalgeschichtsschreibung anhalten wird. Schließlich seien die meisten Anhänger dieser Richtung heute noch sehr jung.
Matthias Middell: "Bei der nachrückenden Generation von Doktoranden sehe ich ein so massives Interesse an diesem Thema, dass ich glaube, dass deren Druck auf eine entsprechende Ausbildung eine entsprechende Finanzierung ihrer Forschungsaktivitäten ganz unvermeidbar zu einer Vermehrung von Stellen im Feld der Globalgeschichte führen wird."
Derzeit gibt es in Deutschland keine einzige Professur für Globalgeschichtsschreibung. In den USA ist man schon weiter. Dort ist an den Universitäten "Global History" ein ganz normales Fach.
Immer wieder gab es ähnliche Versuche. Historiker des Mittelalters und der Aufklärung arbeiteten an Weltchroniken. Im Jahre 1899 schrieb der Leipziger Historiker Hans Helmholt eine "Weltgeschichte". Inzwischen sind die Historiker mit dem Blick fürs Ganze wieder in Leipzig gelandet - zum Ersten Europäischen Kongress für Welt- und Globalgeschichte.
Michael Geyer: "Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man entdeckt hat, dass die Weltgeschichte nicht im Allgemeinen aufgehen muss. In dem Sinne dass es eine Geschichte für alles, über alles und jedes, also eine philosophische Geschichte, eine Totalgeschichte ist."
Der Chicagoer Historiker Michael Geyer war einer von fast 300 Teilnehmern. Er hat in den neunziger Jahren Grundlagen für die moderne Globalgeschichtsschreibung entworfen und damit eine fast vergessene Tradition wieder aufgegriffen. Denn in Deutschland gab es schon Ende des 19. Jahrhunderts Historiker, die versucht haben, die Geschichte weniger aus nationaler, sondern aus internationaler Perspektive zu betrachten. Es hätte schon damals ein eigener Wissenschaftszweig werden können - doch ein Mann kam dazwischen.
"Seine Majestät, Kaiser Wilhelm der Zweite. Hurra! Hurra. Hurra! Hurra."
Der Nationalismus des deutschen Kaiserreichs und der Erste Weltkrieg beendeten alle Versuche, Globalgeschichte als Wissenschaftszweig zu etablieren. Die Vergangenheit wurde national gedeutet. Statt auf das große Ganze konzentrierten sich Historiker viele Jahrzehnte auf immer kleinere Details.
Heute geht der Trend in die andere Richtung: Historiker haben wieder die gesamte Welt im Blick. Das zeigte nicht zuletzt der Leipziger Kongress. Eingeladen hatte dazu der Leiter des Zentrums für Höhere Studien an der Universität Leipzig, Matthias Middell.
Matthias Middell: "Ich finde die Idee faszinierend, an diese Idee von Weltgeschichtsschreibung in Leipzig anzuknüpfen, die seit dem 19. Jahrhundert eigentlich besteht. Dass dann 270 Historiker Vorträge angemeldet haben, war für uns so vorher nicht absehbar."
Bei ihren Diskussionen kamen die Historiker zu einer überraschenden Erkenntnis: Das Phänomen der Globalisierung sei im Grunde alt. Ein Vertreter dieser These war der Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Jürgen Kocka. Er sagte auf dem Kongress, spätestens seit dem 19. Jahrhundert könne man von Globalisierung sprechen.
Jürgen Kocka: "Da sind Organisationen wie das Rote Kreuz entstanden oder die Olympischen Spiele neu eingerichtet worden. Es gab eine Zunahme der Wanderungen, der Migrationen und die Länder haben sich gegenseitig wahrgenommen auch in den Wissenschaften. Es gab sehr viele Kontakte, die dann mit dem Ersten Weltkrieg abgebrochen sind."
Kaiser Wilhelm II.: "Es muss das Schwert nun entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf, zu den Waffen!"
Der übertriebene Nationalismus des frühen 20. Jahrhunderts war nach Ansicht vieler Tagungsteilnehmer eine Reaktion auf diesen ersten Globalisierungsschub. Michael Geyer sprach davon, dass schon die Geschichte gezeigt habe, dass Globalisierung nicht zwangsläufig zu mehr Frieden, sondern auch zu nationaler Panik führen könne. Für Matthias Middell war die Nachricht, dass die Globalisierung eine Vergangenheit hat, trotzdem positiv.
Matthias Middell: "Das hat einen enorme Wirkung auf die heutige Diskussion über Globalisierung. Wenn wir die nicht mehr als etwas naturgemachtes und vor wenigen Tagen über uns Gekommenes empfinden, dann können wir natürlich viel leichter verstehen, dass Globalisierung auch heute etwas ist, das wir machen und demzufolge beeinflussen können."
Der Kongress in Leipzig hat gezeigt: Die Globalgeschichtsschreibung boomt. Sie ist heute so populär wie die Sozialgeschichte in den sechziger und siebziger Jahren. Jürgen Kocka bezweifelt aber, dass der globale Blick den nationalen verdrängen werde.
Jürgen Kocka: "Auch zukünftig werden die meisten Historiker eher die Geschichte ihres Landes oder ihrer Kultur oder ihrer Gesellschaft bearbeiten. Die Spezialisierung in der Geschichtswissenschaft ist weit vorangeschritten. Und es wäre falsch zu glauben, dass man sie zurückdrehen könnte oder sollte."
Trotzdem prophezeit Matthias Middell, dass der Trend zur Globalgeschichtsschreibung anhalten wird. Schließlich seien die meisten Anhänger dieser Richtung heute noch sehr jung.
Matthias Middell: "Bei der nachrückenden Generation von Doktoranden sehe ich ein so massives Interesse an diesem Thema, dass ich glaube, dass deren Druck auf eine entsprechende Ausbildung eine entsprechende Finanzierung ihrer Forschungsaktivitäten ganz unvermeidbar zu einer Vermehrung von Stellen im Feld der Globalgeschichte führen wird."
Derzeit gibt es in Deutschland keine einzige Professur für Globalgeschichtsschreibung. In den USA ist man schon weiter. Dort ist an den Universitäten "Global History" ein ganz normales Fach.