Globalisierte Gefahr

Rezensiert von Rudolf Walther · 01.06.2007
Der Soziologe Ulrich Beck wurde 1986 durch sein Buch "Risikogesellschaft" bekannt. Die darin vertretenen Thesen hat er in den Folgejahren nuanciert und erweitert. In "Weltrisikogesellschaft", seinem neusten Buch, fasst Beck diese zwanzigjährige Forschungsarbeit zusammen und zeigt, dass die Risiken globale Dimensionen erreicht haben.
Am 26.4.1986 ereignete sich die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Wenige Wochen danach erschien Ulrich Becks Buch mit dem Titel "Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne". Das Buch des Münchener Soziologen wurde zum Bestseller. Es war in jeder Hinsicht ein großer Wurf, und bereits heute hat es sich als Klassiker der Soziologie des 20. Jahrhunderts fest etabliert. In den letzten zwanzig Jahren hat der produktive Autor rund zwanzig Bücher und eine große Zahl von Artikeln, Aufsätzen und Essays veröffentlicht, in denen er seine These nuancierte und erweiterte.

Das neueste Buch Becks mit dem Titel "Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit" bildet eine Summe dieser zwanzigjährigen Forschungsarbeit, distanziert sich jedoch, wie Beck schreibt, vom "Akademismus":

"So wendet sich auch dieses Buch keineswegs nur an Soziologen, sondern an alle, denen der Faden der Tradition gerissen ist und denen dämmert, dass damit alle scheinbar längst zu Tode beantworteten Fragen sich quicklebendig mit neuer Unbeantwortbarkeit neu stellen."

Die Risikogesellschaft, wie sie Beck 1986 beschrieben hat, ist ein spätes Produkt der industriellen Revolution und der damit verbundenen Modernisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Beck selbst hat diese Gesellschaft einmal so charakterisiert:
"Die Risikogesellschaft ist keine Option, die im Zuge politischer Auseinandersetzungen gewählt oder verworfen werden könnte. Sie entsteht im Selbstlauf folgenblinder, gefahrentauber Modernisierung. Diese erzeugt in der Summe und Latenz Selbstgefährdungen, die die Grundlagen der Industriegesellschaft aufheben."

Zunächst wurden die durch die Industrialisierung erzeugten Risiken und Gefahren durch soziale Versicherungssysteme und private Haftpflichtversicherungen gebändigt. Das Risiko von Arbeitern von Armut, Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit getroffen zu werden, verminderten die Versicherungssysteme im nationalstaatlichen Rahmen. Den Übergang von der klassischen Industriegesellschaft zur Risikogesellschaft markieren Gefahren, die sich nicht mehr schichtenspezifisch auswirken, sondern potenziell alle Bürger betreffen. Staaten wurden gleichsam zu einer Gefahrengemeinschaft. Die Belastung von Luft, Wasser und Nahrungsmittel durch Schad- und Giftstoffe oder das Absterben von Wäldern betreffen nicht einzelne soziale Schichten und Klassen, sondern alle Bürger – wenn auch nicht immer gleich stark.

Die Risikogesellschaft begann, als die Erfolge der Modernisierung zum Problem wurden. Die industriell erzeugten Risiken in der Pharmaindustrie oder bei der Erzeugung von Atomstrom wurden tendenziell unkontrollierbar, erreichen aber schon bei der Entwicklung des Verkehrs eine Grenze. Der individuelle Verkehr im Auto brachte den Konsumenten ohne Zweifel zunächst mehr Autonomie und Bewegungsfreiheit. Wenn aber alle im Auto herumfahren, wird das zumindest in urbanen Ballungsräumen zu einem hochkomplexen Problem mit enormen Risiken für die Gesundheit aller durch Lärm, Abgase und Unfälle.

Beim Übergang zur Weltrisikogesellschaft werden diese Probleme potenziert. Die durch den Individualverkehr entstandenen Risiken und Schäden sind nationalstaatlich nicht mehr zu bändigen, weil dieser Verkehr unter anderem zur globalen Klimakatastrophe beiträgt. Für Beck ist die "Weltrisikogesellschaft" ein Begriff für eine Epoche, in der Großrisiken wie Klimaveränderung, gentechnische Manipulationen mit unabsehbaren Folgen oder Unfälle in Kernkraftwerken drohen. Solche globalen Risiken weisen nach Beck drei Merkmale auf:

"Ihre Ursachen und Wirkungen sind nicht auf einen geographischen Ort oder Raum begrenzt. Ihre Folgen sind prinzipiell unkalkulierbar und - drittens - sie sind nicht kompensierbar."

Mit Nachdruck verweist Beck auf den Funktionswandel der Wissenschaft. Sie bürgte von der Antike bis zur Moderne dafür, dass besseres und mehr Wissen zur Bändigung und Beseitigung von Risiken und Gefahren beitrug. Heute erzeugt die Wissenschaft selbst unberechenbare Risiken, weil sie in vielen Bereichen nicht mehr auf dem Prinzip von Versuch und Irrtum beruht. Kernreaktoren und genetische Veränderungen kann man nicht im Versuchslabor testen, sondern man ist angewiesen auf riskante Simulationen oder Tierversuche. Und die langfristigen Wirkungen von neuen Verfahren sind restlos unbekannt.

Das gilt in noch größerem Ausmaß für die ökonomischen Risiken, die von den globalisierten Geld- und Finanzmärkten ausgehen. Als Mittel, diese Risiken zu verringern, schlägt Beck eine Politisierung der Marktwirtschaft gegen "die neoliberale Ökonomisierung der Politik" vor. Etwas polemisch zurückgefragt: wer soll diese Politisierung durchsetzen – der G8-Gipfel oder Attac?

Wichtig ist für Beck die Unterscheidung von Risiko und Katastrophe. Die Katastrophe ist ein reales Ereignis - sei es ein Tsunami oder ein Terrorakt wie der vom 11. September 2001. Der Begriff "Risiko" dagegen zielt auf die antizipierte Katastrophe. Was diese Unterscheidung für die Weltrisikogesellschaft bedeutet, lässt sich am Terrorakt vom 11. September beschreiben. Der Akt selbst war nicht geeignet, die Demokratie zu gefährden oder gar zu zerstören. Aber die Aktionen, mit denen Staat und Medien darauf reagierten - bis hin zum weltweiten "Krieg gegen den Terrorismus- sind brandgefährlich für den Bestand von Bürger- und Freiheitsrechten. Obendrein kann allein die Risikowahrnehmung von Terror, Vogelgrippe oder Aids durch Hysterisierung und gezielte Angstpolitik gesteuert werden und wird so zu einem realen Risiko für demokratische Gesellschaften.

Dennoch ist die Weltrisikogesellschaft ist für Beck kein Untergangsszenario.

"Globale Risiken verbreiten lähmenden Schrecken. Globale Risiken eröffnen neue Handlungsräume. Keiner dieser Sätze ist richtig, keiner falsch."

Das liegt daran, dass die Ambivalenz die Grundlage der Weltrisikogesellschaft bildet. Diese Gesellschaft ist eine Gefahr, aber sie bietet auch Chancen, nationalstaatliche Selbstgenügsamkeit aufzukündigen und zu internationaler Kooperation gegen eben jene Gefahren überzugehen. Ansätze dafür gibt es. Beck ist zu klug, um Patentrezepte und Welterlösungspläne anzubieten. Der Analytiker bleibt nüchtern und fragt:

"Wie soll man in Zeiten unkontrollierbarer Risiken leben? Auch ich weiß, dass auch ich nicht weiß, wie ich diese Frage beantworten soll. Die Einsicht in die Ironie des Risikos legt es nahe, der Allgegenwart des Risikos im Alltagsleben mit skeptischer Ironie zu begegnen."

Erstaunlicherweise kommt der Soziologe Beck bei der Beschreibung der Weltrisikogesellschaft fast ohne harte Fakten aus. Das gibt dem Buch gelegentlich eine etwas feuilletonistische Schlagseite.
Der zweite Mangel des Buches ist grundsätzlicher Natur, hängt aber mit dem ersten - der fehlenden empirischen Basis - zusammen. Beck verwendet die Begriffe Risikogesellschaft und Weltrisikogesellschaft einmal als Epochenbezeichnungen. Die Gründe, die er für diese Konstrukte anführt sind plausibel. Aber Beck gebraucht die Begriffe Risikogesellschaft und Weltrisikogesellschaft auch als Strukturbegriffe. Was diese Strukturen ausmacht und wie sie sich ändern, bleibt jedoch bei Beck ziemlich vage. Auf jeden Fall hat der Begriff "Weltrisikogesellschaft" nicht die sozialstrukturelle Fundierung wie beispielsweise - die Begriffe Industrie- oder Agrargesellschaft.

Beck schreibt flott, oft flotter, als es der Gegenstand verdiente. Das Buch ist jedoch etwas barock strukturiert, was sich in zahlreichen Wiederholungen ausdrückt, aber auch in Wörtern wie "Risikodefinitionsmachtverhältnisse" oder "Terrorrisikogesellschaft". Vor solchen verbalen Ungeheuern aus dem argumentativem Handgemenge unter notorischem Zeitdruck hätte das Lektorat den Autor bewahren können und müssen.

Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft
Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007
Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft
Ulrich Beck: Weltrisikogesellschaft© Suhrkamp Verlag