Globale Neuordnung

"Eine gewaltige Aufgabe für unsere Außenpolitik"

Volker Stanzel war deutscher Botschafter in Japan und China, derzeit arbeitet er bei der Stiftung Wissenschaft und Politik für die Forschungsgruppe Asien.
Volker Stanzel war deutscher Botschafter in Japan und China, derzeit arbeitet er bei der Stiftung Wissenschaft und Politik für die Forschungsgruppe Asien. © picture alliance / dpa
Volker Stanzel im Gespräch mit Dieter Kassel · 06.06.2018
Ein neoimperiales Russland, ein offensives China und die verbündeten USA auf Konfrontationskurs: Die drei großen Partner Deutschlands seien "keine zuverlässigen Partner mehr", sagt der Diplomat Volker Stanzel. In dieser Situation helfe mehr Selbstsicherheit – auch auf europäischer Ebene.
Dieter Kassel: Gestern Abend fand im Kanzleramt ein Treffen der Fraktionsspitzen der drei Regierungsparteien sowie der Verteidigungsministerin und des Außenministers statt, bei dem es um die Zukunft der deutschen Außenpolitik ging. Details sind nicht bekannt, wobei was heißt Details: Außer dieser Teilnehmerliste ist eigentlich gar nichts bekannt, aber es gibt genügend Dinge, über die die gestern hätten reden sollen, haben sie vielleicht auch getan, und Dinge, über die auch wir jetzt reden wollen, und zwar mit Volker Stanzel von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Er war selbst Diplomat, deutscher Botschafter in Japan und China und leitet gerade das Forschungsprojekt bei der Stiftung Wissenschaft und Politik "Diplomatie im 21. Jahrhundert", das kurz dem Abschluss steht. Schönen guten Morgen, Herr Stanzel!
Volker Stanzel: Schönen guten Morgen!
Kassel: Da das Treffen gestern nun vermutlich zufällig einen Tag vor dem Antrittsbesuch des neuen US-Botschafters in Berlin, Richard Grenell, bei dem Auswärtigen Amt stattfand, können wir, glaube ich, unterstellen, um das Verhältnis zu den USA ging es auch. Ist das ein konkretes Beispiel dafür, dass die deutsche Außenpolitik sich in einigen Bereichen völlig verändern muss?

Neuer US-Botschafter ist in einer "Azubi-Situation"

Stanzel: Na ja, vielleicht zunächst der Grenell-Geschichte, die man, denke ich, nicht überbewerten sollte. Also wir haben es mit einem neuen Botschafter, jungen Botschafter zu tun, der in einer, sagen wir mal, Azubi-Situation ist. Er lernt noch, wie das mit dem Job und dem Völkerrechtaussieht, und man würde diese Bemerkung von ihm sicher weniger scharf bewerten, auch in der Öffentlichkeit, wäre es nicht ohnehin um die Beziehung Deutschlands und Europas zu den USA im Moment nicht gerade zum Besten bestellt. Deswegen haben Sie ganz recht, das wird sicher im Vordergrund gestanden haben, sehr viel mehr als dieser Fall von Botschafter Grenell selbst.
Kassel: Aber das muss doch wirklich jetzt ein absolutes Umdenken erfordern, dass einer der größten und wichtigsten Verbündeten der Bundesrepublik jetzt – man sagt das jetzt so schön, ich bin jetzt auch mal diplomatisch – ein schwieriger Partner geworden ist.
Stanzel: Ganz genau. Also wir haben uns jetzt schon über längere Zeit mit einem neoimperialen Russland konfrontiert gesehen, wir haben uns einem massiv und sehr offensiv ausgreifenden China gegenüber gesehen, haben dafür noch keine wirklichen Rezepte entwickelt, und mit einem Male ist unser engster Verbündeter auch ein Partner geworden, auf den man sich nicht wirklich verlassen kann, der im Gegenteil im Zug zu sein scheint, alte Gewissheiten aufzudröseln und kein verlässlicher Verbündeter mehr zu sein, sowohl wirtschaftlich als auch, was Sicherheitspolitik angeht und die politische Beurteilung der Weltlage insgesamt. Also man muss Deutschland, Europa innerhalb dieser Triade sehen, zwischen Russland, zwischen China und den USA, und dann sieht man, dass die drei großen Partner, die wir haben, alle keine zuverlässigen Partner mehr sind. Das ist eine gewaltige Aufgabe für unsere Außenpolitik.
Kassel: Eine gewaltige Aufgabe wird es doch auch sein, einige Angebote der Zusammenarbeit Chinas anzunehmen, sich aber nicht – ich formuliere es mal sehr direkt – von den Chinesen quasi ausspielen zu lassen gegenüber den USA.
Stanzel: Ja, selbstverständlich. Also Europa muss im Grunde sich seiner selbst sicher sein und seine eigene Position definieren, und dann kann es entscheiden, wo in welchem Bereich es, sagen wir mal, was Freihandel angeht, mit dem einen Partner mehr macht als mit dem anderen, aber sich abhängig zu machen davon, wie die Stimmung in Peking, in Moskau oder in Washington ist, wäre fatal, wenn die Stimmung sich dann wendet.
Kassel: Ja, aber bei dem, was Sie gesagt haben, mache ich es jetzt mal eine Nummer kleiner. Ich meine, ich wäre ja persönlich schon zufrieden, wenn Europa sich wenigstens einig wäre in den Grundpositionen. Ich meine, über die Umsetzung kann man sich ja dann immer noch streiten, manchmal auch zu Recht, aber gegenüber China, gegenüber den USA und über andere Fragen, ist man sich doch nicht einig EU-weit.

"Das entscheidende Problem als Vertrauensproblem"

Stanzel: Ja, Sie haben völlig recht, das ist nicht nur das zweite große Problem, sondern das ist eigentlich das erste. Das große Problem ist Europa. Dass Europa sich eben nicht mehr seiner selbst sicher ist, dass wir uns unserer Partner innerhalb der EU nicht mehr sicher sein können und natürlich auch, wie wir ja jetzt schon über längere Zeit beobachten, auch unserer eigenen Position nicht mehr sicher sein können. Wie stellen wir uns zu den Macron’schen Vorschlägen, wie stellen wir uns eigentlich zu den Juncker’schen Vorschlägen? Die liegen ja auch immer noch auf dem Tisch. Hier gibt es ja, denke ich, noch keinen wirklichen Konsens.
Vielleicht hat das gestern im Kanzleramt dazu geführt, dass es jetzt auch innerhalb der Bundesregierung einen Konsens dazu gibt. Das wäre schon ein großer Schritt, aber im Grunde beobachten wir ja, dass die Europäische Union immer weniger das Vertrauen der Bürger genießt, und das ist umso stärker der Fall in Ländern, in denen die Europäische Union den Bedürfnissen der Bürger weniger zu entsprechen scheint als es bei uns der Fall ist.
Wir können ja immer noch sagen, der Euro, wir profitieren davon, die große Gemeinschaft, die wir geschaffen haben, hat Frieden geschaffen, davon profitieren wir auch, aber in anderen Ländern sieht man sich mit einer sich verschlechternden Wirtschaftslage konfrontiert, und die EU scheint da nicht zu helfen, scheint die Dinge sogar noch zu erschweren. Oder die Frage der Flüchtlinge, wo es sehr unterschiedliche Meinungen dazu gibt in den verschiedenen Ländern. Hier gibt es auch kein Vertrauen darein, dass Brüssel, dass die EU, dass die Regierungen der 27 oder 28 gemeinsam die Probleme lösen könnten.
Im Grunde sehe ich das entscheidende Problem innerhalb der EU als ein Vertrauensproblem, Vertrauen der Bürger sowohl bei uns in Deutschland als auch in anderen Mitgliedsstaaten, und da vielleicht noch stärker, Vertrauen darin, dass die Europäische Union die Institution ist, die uns hilft, unsere Probleme zu lösen.
Kassel: Man kann zumindest davon ausgehen, auch wenn wir, was ja völlig in Ordnung ist, nicht erfahren werden, was gestern wirklich konkret besprochen wurde im Bundeskanzleramt, man kann zumindest …
Stanzel: Vielleicht werden wir es ja noch irgendwann erfahren!
Kassel: Wenn Sie die Protokolle haben, ich gebe Ihnen nachher meine E-Mail-Adresse! Nein, aber wir können auf jeden Fall davon ausgehen, verbindliche, endgültige Lösungen wird man nicht gefunden haben. Dies wird auch sicherlich noch dauern. Volker Stanzel war das von der Stiftung Wissenschaft und Politik über die künftige deutsche Außenpolitik. Herr Stanzel, danke für das Gespräch!
Stanzel: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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