"Globale Funktion als Klima-Anlage"

Gudrun Benecke im Gespräch mit Klaus Pokatzky |
Die Klima-Referentin von der Heinrich-Böll-Stiftung, Gudrun Benecke, plädiert dafür, dass die Industriestaaten für die Bewahrung des Regenwaldes in Lateinamerika zahlen sollten. Ecuador hat den Vorschlag für einen internationalen Fonds unterbreitet.
Klaus Pokatzky: Das südamerikanische Ecuador gehört zu den Ländern, die im tropischen Regenwaldgürtel liegen. Unter dem Regenwald in Ecuador liegt Öl. Wenn das gefördert würde, müsste Regenwald abgeholzt werden. Nun macht Ecuador einen Vorschlag: Wenn die Industriestaaten Geld zahlen, verzichtet das Land auf Ölbohrungen in einem Regenwald-Naturpark. Der ecuadorianische Außenminister hat bei einem Besuch vor einigen Monaten in Deutschland für diese Idee geworben. Die Artenvielfalt und indigene Völker könnten so mit deutschem Geld gerettet werden. Im Studio begrüße ich nun Gudrun Benecke, die Referentin für Klimapolitik der Heinrich-Böll-Stiftung, guten Tag, Frau Benecke!

Gudrun Benecke: Guten Tag, Herr Pokatzky!

Pokatzky: Frau Benecke, ist der Regenwald in Ecuador für uns denn so wichtig, dass wir wirklich Geld für ihn zahlen sollten?

Benecke: Ja, der Regenwald in Ecuador ist für uns unheimlich wichtig, zum einen aufgrund der von Ihnen schon angesprochenen Artenvielfalt, das kann man sich gar nicht vorstellen, was für verschiedene Flora, Fauna es dort gibt, und zum anderen leben da natürlich auch indigene Bevölkerungsstämme auf eine Art und Weise, das kann man in anderen Teilen der Welt gar nicht mehr so sehen. Zum anderen aber ist auch die Klimaschutzfunktion des Urwaldes unheimlich wichtig, auch für uns hier in den Industrieländern. Wälder, besonders auch noch sehr natürlich belassene Urwälder, speichern bis zu 50 Prozent des CO2, und das ist natürlich von unheimlicher Wichtigkeit.

Pokatzky: CO2 ist was noch mal?

Benecke: Kohlendioxid.

Pokatzky: Und dieser Stoff, dieses Kohlendioxid, ist verantwortlich für unsere am Horizont sich abzeichnende Klimakatastrophe.

Benecke: Genau, für die globale Erwärmung, ja.

Pokatzky: Gleichzeitig aber sind die Regenwälder, die tropischen Regenwälder ja auch wiederum ein Ausstoßobjekt für CO2, wenn nämlich abgeholzt wird, dann geht das auch wiederum in die Atmosphäre.

Benecke: Ja, das ist richtig.

Pokatzky: Und die Abholzung in den tropischen Regenwäldern trägt, glaube ich, zu 20 Prozent bei, richtig?

Benecke: Ja, 20 bis 25 Prozent, ja.

Pokatzky: Ist das dann jetzt nicht auch so eine Art Erpressung fast, wenn man den Industriestaaten sagt, also, wenn ihr kein Geld zahlt, dann holzen wir weiter ab?

Benecke: Die Abholzung findet ja einerseits noch gar nicht statt. Das ist ja der Fakt, das ist ja der innovative Vorschlag Ecuadors, oder Brasilien hat einen ähnlichen Vorschlag erbracht. Und es geht ja darum, zu vermeiden, dass überhaupt Schädigung des Waldbestandes oder Abholzung stattfindet, und dazu tragen natürlich auch wir eine große Verantwortlichkeit, weil es geht um ein Weltkulturerbe. Der Wald ist durch seine globale Funktion als Klimaanlage quasi ja für alle Menschen gleich wichtig, und deswegen ist es auch stark in unserem Interesse, dazu beizutragen, dass Wälder geschützt werden, und zwar präventiv, also im Voraus geschützt werden, bevor es überhaupt zu einem großen Schaden kommt, der irreparabel ist.

Pokatzky: Also, wenn wir jetzt dafür zahlen, damit in Zukunft nicht ein Schaden eintritt?

Benecke: Richtig.

Pokatzky: Aber, Frau Benecke, besteht dann nicht auch die Gefahr, dass, wenn wir uns jetzt quasi so ein bisschen freikaufen gegenüber südamerikanischen Ländern wie Ecuador oder Brasilien, dass wir dann meinen, wir müssten in unseren Ländern wiederum nicht so viel tun, um den CO2-Ausstoß zu vermindern?

Benecke: Das gerade darf nicht passieren. Es ist unumstritten, dass wir als Industrieländer in einer gewissen historischen Verantwortlichkeit dafür stehen, dass der Klimawandel überhaupt in dem Ausmaß stattfindet, wie er jetzt ist, das heißt, einen Freikauf darf es für die Industriestaaten nicht werden. Es gibt aber Mechanismen, Arten und Weisen, wie man das verhindern kann, indem man zum Beispiel harte Reduktionsmaßnahmen für Industriestaaten fordert. Aber das schließt ja sozusagen nicht den Waldschutz aus.

Pokatzky: Heute beginnt ja in Bonn die nächste Runde der Vorverhandlungen zum Klimagipfel in Kopenhagen, der dann im Dezember stattfindet. Für wie realistisch halten Sie es denn, dass in Bonn vielleicht jetzt schon erörtert wird und dann später in Kopenhagen möglicherweise beschlossen wird, ein solches Paket – einerseits Hilfe für den Regenwald, andererseits aber die Verpflichtung, gleichwohl nicht nachzulassen in den Industriestaaten, was das Bestreben angeht, nicht weiterhin zu viel CO2 in die Atmosphäre auszustoßen?

Benecke: Wie realistisch es ist, das hängt natürlich von den verschiedenen Positionen ab, den Bereitwilligkeiten der Staaten, aufeinander zu zugehen, weil Südstaaten natürlich aus Gründen der Klimagerechtigkeit auch nicht dazu bereit sind, Reduktionsziele anzunehmen, was ja durchaus auch gerechtfertigt ist.

Pokatzky: Ich spreche mit Gudrun Benecke, der Referentin für Klimapolitik der Heinrich-Böll-Stiftung. Frau Benecke, wenn wir jetzt mal so in die Zukunft blicken und wir würden uns vorstellen, eines Tages ist es soweit, dass Industriestaaten wirklich nennenswerte Beträge an Länder wie Ecuador oder Brasilien geben, dann wird in Ecuador eben nicht, um nach Öl zu bohren, Regenwald abgeholzt. Welche Summen müssten das eigentlich sein?

Benecke: Das sind hohe Summen. In Ecuador jetzt an dem Beispiel hat die Regierung, glaube ich, fünf Milliarden US-Dollar dafür veranschlagt, dass das Öl im Boden bleibt. Das heißt, das wäre der Wert, den man aus der kommerziellen, also wirtschaftlichen Nutzung des Öls ziehen würde. Das heißt, dass jährlich 350 Millionen Dollar über zehn Jahre an die ecuadorianische Regierung gezahlt werden müsste, damit dieser Wert erreicht werden kann.

Pokatzky: Von uns Deutschen allein oder gäbe es dann quasi so ein Konsortium der Industrienationen?

Benecke: Der ecuadorianische Vorschlag ist relativ offen. Sie schlagen vor, dass man einen internationalen Fonds einrichtet, in den sowohl Industriestaaten als auch Nichtregierungsorganisationen oder alle, denen Klima und Waldschutz etwas wert ist, einzahlen.

Pokatzky: Wer würde garantieren, dass eine andere Regierung in Ecuador sich daran noch halten würde?

Benecke: Da gibt es auch einen Vorschlag ecuadorianischer Seite, dass man so eine Art Schuldscheine ausstellen kann, die im Fall dafür, dass die Regierung Umentscheidungen trifft, dann sanktionsmäßig Rückzahlungen an die Leute, die in den Fonds eingezahlt haben, machen kann. Natürlich das Besondere jetzt bei den Verhandlungen in Kopenhagen ist, dass man versucht, einen völkerrechtlichen Rahmen zu schaffen, das heißt, dass Staaten dann durchaus auch verklagt werden können, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, das heißt, wenn Ecuador im Jahre 2020 dann doch beschließen sollte, das Öl zu fördern. Das ist natürlich in einem Fonds, der abgelöst von einem Kyoto-Protokoll oder Nachfolgeabkommen ist, etwas schwieriger.

Pokatzky: Wie würde das dann in den Industriestaaten aussehen? Die würden dann ja auch in der Regel wohl versuchen, eher wieder das Geld reinzubekommen. Könnten die sich dann vielleicht an ganz beträchtliche CO2-Ausstoßer wenden, also vielleicht von einem Braunkohlekraftwerk verlangen, dass sie sozusagen Waldzertifikate kaufen und dann weiter ausstoßen dürfen, CO2?

Benecke: Für ein Braunkohlekraftwerk in den Industriestaaten gibt es zwei Optionen, Treibhausgase zu reduzieren, das eine ist natürlich, dass man in klimafreundliche, innovative Technologien zu Hause, also hier in Jänschwalde zum Beispiel, investieren kann, was teuer ist. Die andere Option ist, Zertifikate, also Berechtigungen zuzukaufen, und das kann natürlich durch Waldschutzprojekte in Ecuador geschehen. Allerdings ist auch im Rahmen des EU-Handelssystems die Anzahl der Berechtigungen, die man durch solche Projekte zukaufen kann, beschränkt, und das ist auch richtig so, weil es soll ja vor allem auch darum gehen, dass man auch die Industrie hier in den Industrieländern ökologisch modern gestaltet.

Pokatzky: Wenn es tatsächlich zu einer solchen Vergütung an Ecuador meinetwegen, was den Regenwald angeht, kommt durch die Industriestaaten – wann wäre das realistisch? Wie viele Jahre könnte das noch dauern?

Benecke: Der Vorschlag Ecuadors, der sah vor, eigentlich diesen Fonds schon Ende diesen Jahren spätestens zu launchen, weil natürlich die Erdölfirmen, die da Interesse haben zu bohren, sehr energisch darauf pochen. Und Ecuador ist ein armes Land. Der Sozialstaat muss irgendwie finanziert werden. Deswegen ist es schon relativ dringlich. Und die Gefahr, dass man, einmal mit der Abholzung angefangen, dass es ein unstoppbarer Prozess, ist natürlich sehr hoch. Deswegen ist es wichtig, so schnell wie möglich zu einem Abkommen zu gelangen.

Pokatzky: Wenn wir jetzt mal in%en nicht über den CO2-Ausstoß reden, sondern in%en der Chancen, dass es zu einem solchem Abkommen jetzt kommt, was den Regenwald angeht – wie hoch schätzen Sie die ein?

Benecke: Ich rechne die Chancen, dass es zu einem Klimaabkommen kommen wird, schon relativ optimistisch ein.

Pokatzky: Inklusive der Vergütung für den Regenwald, dass dort nicht Öl gefördert wird in einem Land wie Ecuador?

Benecke: Ich denke auch, dass in so einem globalen Klimaabkommen es Richtlinien geben wird für die Art und Weise, wie Waldschutz integriert werden kann. Die Hoffnung ist, und ich denke auch, da kann man mit einem gewissen Optimismus, vorsichtigen Optimismus rangehen, dass es – in was für einer rechtlichen Form auch immer –, es in Kopenhagen eine weiterführende Entscheidung geben wird.

Pokatzky: Danke, Gudrun Benecke von der Heinrich-Böll-Stiftung. Wir sprachen über mögliche neue Wege für den Klimaschutz, Geld der Industrieländer, damit in Südamerika tropischer Regenwald nicht abgeholzt wird.