Gleichheit grenzenlos

Von Katja Barton |
"Europa – grenzenlos gleich?" Unter diesem Motto haben sich sechs Nachwuchsschriftsteller aus u.a. Mazedonien, Israel, den Niederlanden und Frankreich auf Lesereise begeben. In Berlin, München und Stuttgart stellen sie ihre Essays zum Thema vor. Der Text der Deutschen Ariane Grundies beschäftigt sich ironisch mit dem in der EU erlaubten Krümmungsgrad von Gurken.
Was verbinden junge Autoren heute mit dem Begriff Gleichheit? Die Antworten darauf sind so unterschiedlich wie die sechs Länder, aus denen die Nachwuchsschriftsteller kommen. Verantwortlich für das Projekt ist der Verein "Young Euro Connect". Nicht zufällig erinnert der Name an "Young Euro Classic", das zeitgleich stattfindende Festival für junge Orchester in Berlin. Beide Veranstaltungen wurden von den selben Initiatoren ins Leben gerufen. Seit 2005 findet parallel zum Musikfestival das Literaturprojekt statt. Nach Brüderlichkeit und Freiheit war nun die dritte Losung der Französischen Revolution das Motto: die Gleichheit. Der deutsche Beitrag stammt von der 28-jährigen Ariane Grundies, Gewinnerin des Open Mike Wettbewerbs 2002. Was hat sie daran gereizt, einen Essay zum Thema Gleichheit zu schreiben?

" Von diesen drei Idealen, die jetzt "Young Euro Connect" behandelt - Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit -, war mir Gleichheit am liebsten, weil das mir am zweischneidigsten erscheint. Einerseits ist es sehr wünschenswert. Es wäre schön, wenn alle unter gleichen Voraussetzungen leben könnten und so weiter. Andererseits finde ich Gleichheit auch gruselig. Ich mag Vielfalt. Und das ist zweischneidig. Das fand ich spannend an dem Thema."

Ihr Text ist bissig und ironisch, sie macht sich über die Überreglementierungen in der EU lustig, beschreibt den erlaubten Krümmungsgrad von Gurken.

Ganz anders der Mazedonier Goce Smilevski. Dessen zweiter Roman "Unterhaltung mit Spinoza" wurde bereits in fünf Sprachen übersetzt. Smilevski hat sich am Titel der Veranstaltung "Europa – grenzenlos gleich?" orientiert:

" Ich dachte: Dieses Fragezeichen, das sie hinter das Wort Gleichheit gesetzt haben, das ist ein Zeichen der Solidarität mit den Menschen, die nicht Teil der Europäischen Union sind, aber dennoch zum Kontinent gehören. Denn sie haben keine Möglichkeit, andere Kulturen zu entdecken, wahrzunehmen oder sich mit ihnen auszutauschen. "

Mazedonien ist seit zwei Jahren EU-Beitrittskandidat. Smilevski schildert seine Sehnsucht nach den klassisch europäischen Werten sowie das Gefühl der Ausgeschlossenheit. Für ihn sind die Grenzen Europas schier unüberwindbar.

Ebenfalls nicht aus einem Mitgliedsland der EU stammt der 27-jährige Israeli Yiftach Ashkenazy. Sein erster Roman "Die Geschichte vom Tod meiner Stadt" ist im Frühjahr auf Deutsch erschienen.
Ashkenazy blickt von außen auf Europa, doch die gefühlte Verbindung zum Kontinent ist in Israel stark ausgeprägt. Genau das aber kritisiert er an der Haltung vieler Landsleute:

" Sie haben eine Vorstellung über ihre kulturelle Identität, die ich gar nicht mag. Sie glauben, dass Israel nicht im Nahen Osten ist, sondern dass wir Israelis zu Europa gehören. Ich kann das verstehen, wenn es von alten Leuten kommt, die tatsächlich früher in Europa gelebt haben, bei den jungen Leuten finde ich es dumm. Ich bin Teil der europäischen Kultur, aber ebenso ich bin Teil der Levante, des Nahen Ostens."

Ganz anders wiederum der niederländische Beitrag für "Young Euro Connect". Hassan Bahara kennt die Europäische Union von "innen". "Schüsselcity" heißt sein Essay. Schüsselcity, so wird das Viertel in Amsterdam genannt, in dem er aufgewachsen ist. Der Name steht für die zahllosen Satellitenschüsseln an den Hauswänden der Einwandererwohnungen dort. Der gebürtige Marokkaner glaubt daran, dass soziale Ungleichheit nicht allein die davon betroffenen Migranten angeht:

" Es ist wichtig für die Zukunft Europas. Deshalb muss ich darüber sprechen. Deshalb ist es wichtig für mich. Ich fühle mich nicht, als ob ich dazu gedrängt würde, immer nur über Migranten zu schreiben. Nein, es kommt von mir selbst."

Als fiktiven Dialog gestaltet der Franzose Jérôme Lambert seinen Essay. Er vergleicht die Gleichheit mit einer Fahne, die allzu gern geschwenkt wird, auf der am Ende des Tages aber alle auch gern herumtrampeln. Für ihn ist der Austausch gerade mit den Schriftstellern aus Nicht-EU-Staaten besonders lohnend:

" Und wirklich interessant ist es, von Leuten aus Mazedonien oder Israel zu lesen, die einen ganz anderen Standpunkt haben, die sich zwar nicht zurückgewiesen, aber doch außerhalb von Europa gestellt fühlen. Und es ist spannend zu hören, was sie über uns denken. Sie glauben, dass wir eine gemeinsame europäische Identität haben, aber die haben wir von innen gesehen gar nicht."

Service:
Am Montagabend lasen die Autoren im Berliner Konzerthaus, am Mittwoch, den 15.8., sind sie in München im Muffatwerk, am Donnerstag im Theaterhaus Stuttgart zu Gast.