Gleichheit der Kulturen

Von Gregor Ziolkowski |
Zum Abschluss einer zweitägigen Konferenz in Madrid haben mehr als 70 Kulturminister aus aller Welt verbindliche Regeln zum Schutz der kulturellen Vielfalt gefordert. Sie verabschiedeten einen Vertragsentwurf, der als Vorlage für eine entsprechende UNESCO-Konvention dienen soll. Die Minister berieten auch, wie kulturelle Waren besser von normalen Handelsgütern abgegrenzt werden können.
Spaniens Kulturministerin Carmen Calvo hatte als Gastgeberin dieses Welt-Kulturministertreffens ein verständliches Interesse, die Bedeutung dieser Zusammenkunft möglichst hoch anzusiedeln.

"Seit geraumer Zeit schon sind wir mit der Idee befasst, zum ersten Mal in der Geschichte eine internationale Vereinbarung mit juristischer Verbindlichkeit zu schließen, die die Kultur als eine bedeutende Angelegenheit der Politik der UNESCO und der ihr angehörenden Staaten behandelt. Eine Gelegenheit zu solch einem Vertrag hat sich im Verlauf der Geschichte bisher nicht ergeben. Üblicherweise ist die Kultur eine Sache der Anhänge, sie ist fast nie Gegenstand der großen Tagesordnungen. "

Auf die große Tagesordnung soll die Kultur bei der nächsten UNESCO-Vollversammlung im Oktober in Paris kommen, das Madrider Arbeitstreffen – es war das erste auf Ministerebene – sollte diese Vollversammlung nicht vorwegnehmen, sondern im Vorfeld einen möglichst breiten Konsens schaffen, bevor im Herbst in Paris die so überschriebene "Konvention über den Schutz und die Förderung der kulturellen Vielfalt" zur Unterzeichnung ansteht. Diese Konvention wird die Unterzeichnerstaaten verpflichten, die dort formulierten Grundsätze in nationales Recht zu überführen.

Und wenn sich jetzt in Madrid die Kulturminister beziehungsweise Repräsentanten von 71 Staaten auf eine gemeinsame Erklärung verständigen konnten, so ist in der Tat nicht wenig erreicht, um die UNESCO-Konvention zu einem Erfolg werden zu lassen.

Die heute unterzeichnete Madrider Erklärung beruft sich auf die Einhaltung der Menschenrechte und auf den Respekt vor den bürgerlichen Freiheiten als Grundlage für die Vielfalt der Kulturen. Die prinzipielle Gleichheit der Kulturen – und seien diese noch so minoritär – wird hervorgehoben, ebenso die Rolle der Kultur als Ausdruck der Identität, als Grundlage für Arbeit, Wirtschaftswachstum und nachhaltige Entwicklung. Das klingt wie die wohlfeilen Grundsätze, die man an Sonntagen gern verkündet, und doch kommt etwas Schärfe in die Formulierungen in jener Passage, in der es heißt: Die gegenwärtige Homogenisierung und Standardisierung bringe das Gleichgewicht zwischen den Kulturen in Gefahr.

Und – daraus abgeleitet, die polemischen Punkte, die dieser Madrider Erklärung Gewicht geben: Da wird zunächst den Staaten das Recht eingeräumt, eine Kulturpolitik zu betreiben, die die kulturelle Vielfalt schützt und fördert. "Protektionismus!", ruft man da etwa aus den USA, wo die Meinung der Kulturindustrie, was nicht marktgängig sei, sei auch nicht existenzberechtigt, weit verbreitet ist. Diesem Einwand trat die spanische Kulturministerin entgegen.

"Es gibt den Vorwurf, wir wollten den freien Verkehr der Kulturgüter verbieten. Aber indem wir der kulturellen Vielfalt das Wort reden, haben wir keineswegs vor, diesen freien Verkehr von Kunst, Künstlern und kreativen Leistungen zu unterbinden. Der Wettbewerb, der Markt, die Freiheit seien willkommen! Es geht um das genaue Gegenteil! Mit einer solchen Konvention würden wir sicherstellen, dass alle – trotz ihrer unterschiedlichen materiellen Ausgangsbedingungen – eine Chance haben, auf diesem Markt als Gleiche, als gleichberechtigte Stimmen im Konzert der vielfältigen Kultur dieses Planeten, behandelt zu werden. Wir werden gleichsam pädagogische Anstrengungen unternehmen müssen, um in den betreffenden Ländern die Meinung zu revidieren, eine solche Konvention sei als Bremse für den internationalen Austausch und als protektionistische Hürde zum Schutz für jede einzelne Kultur angelegt. "

Zum anderen sollen kulturelle Güter und Leistungen als Ausnahmen deklariert werden können, die sich von anderen Waren unterscheiden. Denn wenn kulturelle Güter auch durchaus Waren im Marktsinn seien, hätten sie doch auch einen zweiten Charakter: als Ausdruck von Werten wie Geist, Meinungsfreiheit, Kreativität. Aus diesem Doppelcharakter der Kulturgüter ließen sich konkrete wirtschaftliche Maßnahmen ableiten.

"Das betrifft natürlich die Politik der öffentlichen Hand, die über Subventionen und andere Maßnahmen die Kultur fördert. Aber es gibt auch noch andere Formeln wie die, die mein französischer Kollege und ich befürworten: es geht um die Senkung der Mehrwertsteuer für bestimmte kulturelle Waren, denn diese Steuer verursacht einen hohen Preis für diese Güter am Markt. Als ich dieses Thema vor mehr als einem Jahr ins Gespräch brachte, waren wir sehr, sehr wenige, die eine solche Maßnahme unterstützten. Inzwischen gibt es in zwanzig der fünfundzwanzig EU-Staaten eine prinzipielle Bereitschaft, die Mehrwertsteuer auf Kulturgüter zu senken. "

Die Aussicht, dass schon bald Bücher und CDs in den EU-Ländern billiger werden könnten, weil nur noch eine symbolische Mehrwertsteuer auf ihnen lastet, hört man natürlich gern. Und darf dabei der Zähigkeit der spanischen Kulturministerin durchaus Respekt zollen: Die hatte sich vor einem Jahr noch blamiert, weil sie diese Senkung der Mehrwertsteuer im Alleingang für Spanien angekündigt hatte, was laut EU-Reglement gar nicht möglich ist. Wenn dem so sei, so damals die Ministerin, müsse man eben EU-weit für diese Steuersenkung kämpfen.