Glaubensvermittlung durch Kunst

Von Kathrin Messerschmidt |
Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten der Kapuzinerpater Theodosius Florentini und die Krankenschwester Katharina Scherer das Kloster Ingenbohl in der Schweiz. Zum 150-jährigen Jubiläum haben die Ordensschwestern nun ein Mysterienspiel in Auftrag gegeben und sich Theaterleute ins Haus geholt. Zwei sehr gegensätzliche Gruppen treffen hier aufeinander.
Schwester Kasimira: "Wir wollten nicht alleine feiern, sondern mit den Menschen, mit der Bevölkerung. Wir sind ja ein Orden, der mitten unter dem Volk wirkt, im Sozialbereich, im Gesundheitswesen, im Erziehungswesen, im kirchlichen Bereich. Wir haben uns nie so etwas Großartiges vorgestellt. Das hat sich einfach so entwickelt. Jetzt ist es so, wie es ist, mit Chor, Orchester, Tanz und Spiel, ja, eben mit allen Elementen, die es überhaupt gibt künstlerisch."

In der Klosterkirche zu Ingenbohl in Brunnen am Vierwaldstätter See ist eine runde, sanft gewölbte Bühne aufgebaut mit einem sandgefüllten Zentrum, genau an der Stelle, an der sonst der Altar steht. Links vor der Orgel hat das Orchester Platz, rechts eine mittelalterliche Spielmannstruppe und der Chor. Aufgeführt wird das Mysterienspiel "Haus der neuen Schöpfung". Die Ingenbohler Schwestern, auch Kreuzschwestern genannt, feiern das 150-jährige Bestehen ihres Klosters.

Schwester Kasimira am Telefon: (Mundart) "Mir heig sie gseit die Schlussszene sig iz guet gsi, sie heig ihre gfalle. Nei, d´Tube mueß am Schluss da si. Das isch dr Quintessenz vom Ganze, am Afang und am Schluss mueß Tube uff dr Bühne si. Ja, mir chönnt ja nöd immer hin und her mache, jetz hed se´s so schön gmacht geschter und jetz lö mr das esso."

Schwester Kasimira organisiert das Festspiel und klärt gerade letzte Details. Der Schluss des Stücks soll noch einmal verändert werden,- auf Wunsch der Autorin. Das ist die 87-jährige Dichterin und Ordensfrau Silja Walter, die gerade einen Herzinfarkt überstanden hat. Ihr Werk umfasst Poesie, Prosa und auch kleine Werke für die Bühne. Für das Ingenbohler Jubiläumsspiel wollte sie anfangs nicht schreiben.

Silja Walter: "Ich wollte nicht, weil ich sagte: Ach Gott, das ist kein dramatischer Stoff, da sind ja Häuser, Häuser, Häuser, Häuser gegründet worden und immer zu wenig Geld, nein, das ist kein Thema für die Bühne. Plötzlich hab ich so Häuser, Häuser, Häuser, Häuser gesehen und gedacht: Die haben ja Kinderheime, sie haben Spitäler, sie haben Altenheime und Schulen. Und dann konnte ich sie anordnen, diese Häuser und Gründungen, nicht nur historisch oder geographisch, sondern als eine Art Präsenz von Christi Leben und Geheimnis in der Welt. Im Grunde dachte ich, ist das nicht nur Ingenbohl, sondern das ist eine Art Mysterienspiel, eine Art Welttheater."

Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten der Kapuzinerpater Theodosius Florentini und die Krankenschwester Katharina Scherer das Kloster Ingenbohl. Nach dem Tod des Theodosius saniert sie die hochverschuldeten Institute des Klosters. Tomas Rohner, Darsteller des Theodosius Florentini:

"1850, das war die Zeit eben der großen Säkularisierungswelle hier in der Schweiz, wo er ganz pragmatisch politisch dagegen gekämpft hat zum Machterhalt des katholischen Glaubens. Er war auch ein Visionär, der hatte dann Fabriken gekauft mit der Idee, dass die Fabriken den Arbeitern gehören, also eigentlich müsste man sagen, schwer sozialistische Ideen, weil da hat der Kapitalismus damals einen enormen Schub bekommen, und das Leid war ungeheuerlich. Innerhalb von zehn, fünfzehn Jahren haben die 220 Institutionen gegründet, Schulen, Armenhäuser, Altenheime."

Rahel Keiser, Darstellerin der Katharina Scherer:

"Sie war ja eigentlich Lehrschwester, hat den Kindern, die kein Geld hatten, also vor allem den Frauen, Unterricht gegeben, und sie wollte eigentlich unterrichten, sie wollte nicht wieder ins Spital arbeiten gehen. Für mich sind das dann Aidskranke, die auf sie zukommen, und Franziskus küsst dann einen Aidskranken, und in dem sieht sie dann Christus, wie er das gemacht hätte, und dann nimmt sie das Kreuz auf sich."

Das Schauspiel in eine Oper transformiert hat der Komponist Carl Rütti, der schon mehrere Werke von Silja Walter vertont hat. Jede der drei Zeitebenen des Stücks hat ihr eigenes Klangbild: das 12. Jahrhundert, die Lebenszeit des Franz von Assisi, das 19. Jahrhundert, in dem die Gründer des Klosters lebten, und die heutige Zeit.

Carl Rütti: "Silja Walter hat sich gewünscht von der Musik, dass sie ein Werk für sich ist, dass sie nicht den Nummern nachgeht und einfach die in Musik umsetzt, sondern dass sie wie eine Sinfonie in sich Themen hat, die immer präsent sind, und das hab ich versucht. Zum Beispiel der Heilig-Geist ist ein wichtiges Thema, das ist ist einerseits umgesetzt mit der Taube, Hu-hu-hu.

Es ist ja ein Portativ dabei, also eine tragbare Orgel, da haben Sie bei einer Stelle für den Achtfuß, fürs Achtfußregister, für Holz, die Holzpfeifen, eine pythagoräische Stimmung. Das ist reine Quinten, absolut rein, noch keine Temperierung, wie wir heute beim Klavier haben. Das ist der Satz vor der Pause, diese Szene, wo der Franziskus den Leprakranken küsst."

Die Proben zu dem Mysterienspiel "Haus der neuen Schöpfung" haben im Kloster Ingenbohl höchst gegensätzliche Menschengruppen zusammengeführt, nämlich Nonnen und darstellende Künstler. Die Schauspieler, Sänger und Tänzer leben seit zwei Monaten im Gästetrakt des Klosters.

Tomas Rohner: "Viele so Rituale, die so im alltäglichen Theaterbetrieb stattfinden, nach der Probe noch in die Kantine und eine Bulette essen und ein Bierchen trinken und über die Regie herziehen oder so was, das hat hier nicht stattgefunden. Ich habe manchmal spaßeshalber gesagt, wir würden im offenen Strafvollzug leben, weil eben ja der Alltag so strikt organisiert ist. Sich dem genauen Rhythmus, dem Tagesablauf sich zu unterwerfen usw. usf., ja, das kann auch ein bißchen lästig sein. Die meisten Nonnen sind echt weltoffen und fröhlich, immer zu Scherzen bereit, und auf unbequeme Fragen reagieren sie gar nicht verschlossen."

Rahel Keiser: "Man ist so aufgehoben hier, und man wird verwöhnt, und mit den Schwestern, denen man begegnet, hat man immer intensive Gespräche, es ist wunderbar hier."

Schwester Kasimira: "Die Künstler, das sind sehr angenehme, nette Leute, wir haben einfach nach unseren Möglichkeiten sie beherbergt, dass sie sich wohl fühlen, sie können ja auch ihre kreative Aufgabe nicht erfüllen, wenn sie sich nicht wohl fühlen. Wir hatten da überhaupt keine Berührungsängste." (lacht)

Das Theaterspiel soll eine "würdige Hommage” an die Gründer sein und zugleich Medium der Seelsorge, Kunst soll Glauben vermitteln. Mit dieser Entschiedenheit haben die Schwestern die Profis der verschiedenen dramatischen Künste verpflichtet. Autorin Silja Walter:

"Es kann sehr schlecht ausgehen, wenn man's als Zweck braucht. Die Frage ist eben, ist hier der Zweck geglückt, ist hier die religiöse Dimension so drin, dass sie die künstlerische nicht missbraucht hat?"

Schwester Kasimira: "Wenn die Leute es jetzt einfach erst einmal genießen jetzt diese Schönheit der Tänze, der Chöre, der Stimmen, der Musik, der Spiele, der Spieler der Rollen, irgendeinmal wird das wieder in den Leuten hochkommen, irgendeine Situation, und dann werden sie auch die tiefere Dimension erfahren. Also wir vertrauen darauf, dass die Botschaft, die spirituelle Botschaft, die eigentlich Silja Walter, auch wir, weitergeben wollten, dass die durchkommt."