Glaubensfragen

Oh, mein Gott!

Gottesdarstellung
Was könnte Gott von Florian Goldberg wollen? © picture-alliance/ dpa / Steffen Kugler
Von Florian Goldberg · 20.09.2016
Ist Gott eine metaphysische Entität oder nur eine sprachliche Schutzbehauptung, hinter der man fast jedes Motiv verstecken kann? Der Philosoph Florian Goldberg will Gott weder beweisen noch widerlegen - er versteht das Wort nur nicht. Was meint Gott?
In letzter Zeit wird wieder viel diskutiert, ob es "Gott" gibt. Aber selbstverständlich gibt es "Gott". In diesem Text jetzt schon zweimal. "Gott". Dreimal! "Gott" ist ein Wort mit vier Buchstaben.
Ein Wort wie eine Müllhalde, die ganze Blutsuppe der menschlichen Geschichte darin. Jeder große Verbrecher und jeder Kleinkriminelle führt es im Mund, um seine Verworfenheit zu rechtfertigen.
"Gott": eine Grenzmarkierung, ein Zaun, der die Welt in Lager teilt, in "uns" und "die anderen", seit Jahrtausenden, wobei natürlich "Gott" immer mit dem jeweiligen "uns" ist.

Ein Fall für die linguistische Traumatherapie

"Gott" - einer der schlimmsten Missbrauchsfälle der Menschheit: Heerscharen von machtlüsternen, alten Männern haben sich an ihm vergriffen, um dumme, aber begeisterungswillige junge Männer zu fanatisieren. Generationen von stumpfsinnigen Müttern haben tatenlos zugesehen oder weggeschaut, während ebenso stumpfsinnige Mädchen ihre Körper mal ver- und mal enthüllten, weil "Gott" es angeblich von ihnen wollte. Zum Heulen ist das.
"Gott" - ein hoffnungsloser Fall für die linguistische Traumatherapie. Hatte mal was mit "gut" zu tun. Ursprünglich.
Nichts wurde so geschändet wie dieses Wort, ohne je das zu treffen, was es vielleicht meint. Aber was könnte das sein?
Wenn ich mir Gott ganz ohne Anführungszeichen denke, dann immer die Frage: Was, wenn es existierte, könnte es von mir wollen?
Selbstverständlich denke ich mir Gott, wenn ich Gott ohne Anführungszeichen denke, nicht als männlich oder weiblich, sondern bestenfalls neutral. Warum - das soll mir mal jemand erklären - sollte Gott ein Geschlecht haben? Ich, wo ich Geist bin, habe ja noch nicht einmal selbst eins!

Was könnte Gott von Florian Goldberg wollen?

Also, was könnte es wollen?
Freiheit, die Fähigkeit mein Denken und meine Existenz selbst zu bestimmen. Verantwortung. Und nicht zuletzt: Die Fähigkeit zu lieben. Denn Freiheit und Verantwortung sind nicht ohne Liebe wie Liebe nicht ohne Verantwortung und Freiheit ist.
Gott wollte, dass ich seiner nicht bedürfte. Westlich gedacht.
Fernöstlicher: Gott, wenn es sich an der Schöpfung überhaupt beteiligt hätte und diese nicht - wie Gott - ebenfalls ewig wäre, wollte gar nichts von mir, weil es wüsste, dass ich mich schon irgendwann würde aussortiert haben, wenn nicht in diesem Leben, dann im nächsten: Mach mal. Wird schon!
Die islamistischen Selbstmordattentäter von neulich? Fernöstlich gedacht? Blöd gelaufen. Zurück auf Amöbe, und dann noch mal ganz von vorn im kosmisch-karmischen Game!
So in etwa.
Sage niemand, das wäre zu einfach: Mich selbst bestimmen, mich selbst verantworten. Bereit und in der Lage, vollständig zu erleben, was ich verursache. Bereit und in der Lage vollständig zu verursachen, was ich erleben will.
Auf dem Weg dorthin: Etappenziele, Selbst-Versuche.

Ein paar Gott-Gedankenspiele

Wenn ich mir Gott denke, dann als ein Gott, das sich heraushält, und das sich vor allem nicht für Religion interessiert.
Ich denke mir ein Gott, das denkt, das Gott nur eine Metapher ist oder ein Symbol für alles, was beim Menschen so schiefläuft: Gott mir uns? Leave me alone!
Ich denke mir Gott als ein Gott, das denkt, dass es zum Glück nicht zu denken braucht, da es sonst nicht Gott wäre: Da ich das gerade denke, bin ich nicht Gott, denkt Gott. Auch gut.
Gott interessiert sich nicht dafür, ob es Gott ist oder nicht. Es interessiert sich auch nicht dafür, ob irgendwelche Menschen denken, dass es Gott ist oder nicht.
Da allerdings Gott Liebe ist, kann es nicht anders als zu wollen, dass ich meine Existenz vollständig zu verantworten lerne. Dann wäre ich auch Liebe und auch Gott, und Gott könnte mit sich spielen.
Ein hübscher Gedanke, denkt Gott.
Aber leider utopisch.

Florian Goldberg hat in Tübingen und Köln, Philosophie, Germanistik und Anglistik studiert und lebt als freier Autor, Coach und philosophischer Berater für Menschen aus Wirtschaft, Politik und Medien in Berlin. Er hat Essays, Hörspiele und mehrere Bücher veröffentlicht.

Der Autor, Coach und philosophische Berater Florian Goldberg.
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