Glauben im Pluralismus
Und nun also noch der Papst. Waren wir gerade fast Weltmeister, kommt mit Papst Benedikt XVI. derjenige in unser Land, der sogar den Boulevard ausrufen ließ "Wir sind Papst!". Erwartet Deutschland jetzt eine geistig-geistliche Weltmeisterschaft? Reist die Happening-Gemeinde von der Fan-Meile ins Kirchen-Schiff?
Doch Naserümpfen ist fehl am Platz. Papst Benedikt selbst hat – damals noch als Professor Ratzinger - in einer bis heute für Katholiken wie Protestanten gleichermaßen lesenswerten "Einführung in das Christentum" die Risiken, aber auch die Chancen beschrieben, die im postmodernen Zeitalter liegen. Seine Bestandsaufnahme: Es gibt so etwas wie eine vagabundierende Sehnsucht nach der Transzendenz im Hier und Jetzt. Selbst aus religiösen Woodstocks, wie zuletzt beim Weltjugendtag in Köln, können für ihn – wenn ein "gesunder Kern" an Glaube da sei - Anstöße werden, sich neu auf die Suche nach Gott zu machen.
Der Zustand der Religiosität in Deutschland zeigt sich zwischen zwei Polen: Diesen ersten einer neuen metaphysischen Konjunktur, die Richtung in einer unübersichtlichen Welt sucht. Die Kirchen spüren neues Interesse. Selbst in der Wirtschaft ist der Bedarf nach "Business Ethics" neuer Zweig von Unternehmensberatungen. Doch aus dem anderen Pol wächst die eigentliche, noch größere Herausforderung: Säkularisierung und globaler Wettbewerb der Religionen. In der westlichen Welt ist der moderne Staat kein heiliger mehr, und kann es nach der Aufklärung auch nicht sein. Doch was in der Moderne die notwendige Einführung der Vernunft war, ist längst in Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar Ablehnung umgeschlagen. Religionsunterricht wird durch allgemeines Moral-Gerede, genannt "Ethik", an den Berliner Schulen ersetzt, ein Popstar, noch dazu sinnfällig "Madonna" genannt, lässt sich während der aktuellen Tournee mit Dornenkrone ans Kreuz heben. Während in der Karikaturen-Debatte immer wieder Verständnis für die verletzten religiösen Gefühle der Muslime angemahnt wurde, wird bei der Verletzung christlicher Gefühle oftmals verschämt geschwiegen.
Das Christentum europäischer Prägung gilt als erschlafft. Nicht auszudenken, was eine "PISA-Studie" des Glaubens zutage bringen würde. Golgatha verbinden schon heute manche Mitteleuropäer mit einer "Zahncreme" und im Gekreuzigten erkennen sie "Spartakus", vielleicht demnächst Madonna. Und neben dem Unwissen gibt es noch diejenigen Bürger der modernen Wissensgesellschaft, die zwar glauben möchten, denen beide Kirchen aber keine intellektuelle Antwort auf die Frage geben, wie kann ich mich im Zeitalter von Nano- und Gen-Technik, der Entschlüsselung der Schöpfung, trotzdem dem Schöpfungsgott zuwenden. "Religion nach der Aufklärung", wie einst der Philosoph Herrmann Lübbe schrieb, ist in den Kirchen kein Programm zur Neuausrichtung auf das Kerngeschäft geworden.
Dabei braucht der säkulare Staat die Religion, die christliche allzumal. Denn dieser moderne Staat, seine Demokratie und Marktwirtschaft leben von Grundlagen, die sie selbst nicht geschaffen, sondern vorgefunden haben. Der Glaube ist einer der Wurzeln menschlicher Freiheit, die daraus erwachsende Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Handeln ist Voraussetzung für den Menschen als politisches und ökonomisches Wesen. Beginnend mit Max Weber belegen viele Studien, dass Christen besonders aktive Staatsbürger und Unternehmer sind.
Es wird also ernst mit dem Glauben im Pluralismus: Und genau hier bietet dieser Papst richtige Antworten. Er beklagt nicht in verdrucksten Rückzugsgefechten das religiöse Vakuum im pluralistischen Meinungswettstreit, sondern er fordert die Kirche auf, die öffentliche Debatte mitzuprägen. Nicht als fundamentalistischer Widersacher, sondern als zeitgeist-kritischer und unbequemer Wegbegleiter.
Das Problem ist, dass die damit verbundene Verschärfung der Begründungspflicht eigener Positionen in Kirchenkreisen noch immer eher als Last denn als Chance empfunden wird. Man meint die geistliche Botschaft hinterlasse keine Spuren mehr. Dabei hat Papst Benedikt die Ironie erkannt: Denn der Hemmschuh fehlender Wirkungsmächtigkeit ist weniger die Qualität der geistlichen Botschaft als vielmehr der überholte Rückgriff auf eine "christliche Gesellschaft", auf Status und Privilegien, die es so eben nicht mehr gibt, die zumindest so nicht mehr gelebt werden.
Immerhin - die katholische Kirche ist hier weiter als die evangelische. Weit mehr Deutsche traten in den letzten Jahrzehnten aus der evangelischen Kirche aus, die doch alle Forderungen innerkatholischer Kirchennörgler verwirklicht und laut Umfragen ein "offeneres", "menschenfreundlicheres" Image hat. Doch die Bindungskraft hängt wohl mehr von der spirituellen Substanz ab. Die katholische Kirche wird mehr mit den Attributen "steht Gott nahe", "gibt dem Leben Sinn", "heilig" und "stark" verbunden. Auch daran wird dieser Papst sein Land erinnern.
Michael J. Inacker, geboren 1964, studierte Politische Wissenschaften, Öffentliches Recht sowie Mittlere und Neuere Geschichte in Bonn; 1986 Seminaraufenthalt am Center for International and Strategic Affairs (CISA) der University of California, Los Angeles (UCLA). Nach einer Station im Planungsstab des Verteidigungsministeriums war er Redakteur des "Rheinischen Merkur” in Bonn und von 1992 bis 1997 Chefkorrespondent und Leiter der Meinungsseite der "Welt am Sonntag" in Hamburg. Danach Wechsel in die Industrie als Leiter Planungsstab des Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Chrysler AG in Stuttgart. 2000 Rückkehr in den Journalismus als Leiter des Hauptstadtbüros der "Welt". 2001 bis 2003 Leitung der Parlamentsredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". 2004 bis 2006 Leiter des Direktionsbereichs Politik und Außenbeziehungen der Daimler-Chrysler AG. Seit September Stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Hauptstadtredaktion der "Wirtschaftswoche". Autor mehrerer Bücher (u.a. zur deutschen Rolle im Golfkrieg und über das Verhältnis von Kirche und Demokratie) sowie Fachpublikationen zu außenpolitischen und gesellschaftlichen Grundsatzfragen.
Der Zustand der Religiosität in Deutschland zeigt sich zwischen zwei Polen: Diesen ersten einer neuen metaphysischen Konjunktur, die Richtung in einer unübersichtlichen Welt sucht. Die Kirchen spüren neues Interesse. Selbst in der Wirtschaft ist der Bedarf nach "Business Ethics" neuer Zweig von Unternehmensberatungen. Doch aus dem anderen Pol wächst die eigentliche, noch größere Herausforderung: Säkularisierung und globaler Wettbewerb der Religionen. In der westlichen Welt ist der moderne Staat kein heiliger mehr, und kann es nach der Aufklärung auch nicht sein. Doch was in der Moderne die notwendige Einführung der Vernunft war, ist längst in Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar Ablehnung umgeschlagen. Religionsunterricht wird durch allgemeines Moral-Gerede, genannt "Ethik", an den Berliner Schulen ersetzt, ein Popstar, noch dazu sinnfällig "Madonna" genannt, lässt sich während der aktuellen Tournee mit Dornenkrone ans Kreuz heben. Während in der Karikaturen-Debatte immer wieder Verständnis für die verletzten religiösen Gefühle der Muslime angemahnt wurde, wird bei der Verletzung christlicher Gefühle oftmals verschämt geschwiegen.
Das Christentum europäischer Prägung gilt als erschlafft. Nicht auszudenken, was eine "PISA-Studie" des Glaubens zutage bringen würde. Golgatha verbinden schon heute manche Mitteleuropäer mit einer "Zahncreme" und im Gekreuzigten erkennen sie "Spartakus", vielleicht demnächst Madonna. Und neben dem Unwissen gibt es noch diejenigen Bürger der modernen Wissensgesellschaft, die zwar glauben möchten, denen beide Kirchen aber keine intellektuelle Antwort auf die Frage geben, wie kann ich mich im Zeitalter von Nano- und Gen-Technik, der Entschlüsselung der Schöpfung, trotzdem dem Schöpfungsgott zuwenden. "Religion nach der Aufklärung", wie einst der Philosoph Herrmann Lübbe schrieb, ist in den Kirchen kein Programm zur Neuausrichtung auf das Kerngeschäft geworden.
Dabei braucht der säkulare Staat die Religion, die christliche allzumal. Denn dieser moderne Staat, seine Demokratie und Marktwirtschaft leben von Grundlagen, die sie selbst nicht geschaffen, sondern vorgefunden haben. Der Glaube ist einer der Wurzeln menschlicher Freiheit, die daraus erwachsende Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Handeln ist Voraussetzung für den Menschen als politisches und ökonomisches Wesen. Beginnend mit Max Weber belegen viele Studien, dass Christen besonders aktive Staatsbürger und Unternehmer sind.
Es wird also ernst mit dem Glauben im Pluralismus: Und genau hier bietet dieser Papst richtige Antworten. Er beklagt nicht in verdrucksten Rückzugsgefechten das religiöse Vakuum im pluralistischen Meinungswettstreit, sondern er fordert die Kirche auf, die öffentliche Debatte mitzuprägen. Nicht als fundamentalistischer Widersacher, sondern als zeitgeist-kritischer und unbequemer Wegbegleiter.
Das Problem ist, dass die damit verbundene Verschärfung der Begründungspflicht eigener Positionen in Kirchenkreisen noch immer eher als Last denn als Chance empfunden wird. Man meint die geistliche Botschaft hinterlasse keine Spuren mehr. Dabei hat Papst Benedikt die Ironie erkannt: Denn der Hemmschuh fehlender Wirkungsmächtigkeit ist weniger die Qualität der geistlichen Botschaft als vielmehr der überholte Rückgriff auf eine "christliche Gesellschaft", auf Status und Privilegien, die es so eben nicht mehr gibt, die zumindest so nicht mehr gelebt werden.
Immerhin - die katholische Kirche ist hier weiter als die evangelische. Weit mehr Deutsche traten in den letzten Jahrzehnten aus der evangelischen Kirche aus, die doch alle Forderungen innerkatholischer Kirchennörgler verwirklicht und laut Umfragen ein "offeneres", "menschenfreundlicheres" Image hat. Doch die Bindungskraft hängt wohl mehr von der spirituellen Substanz ab. Die katholische Kirche wird mehr mit den Attributen "steht Gott nahe", "gibt dem Leben Sinn", "heilig" und "stark" verbunden. Auch daran wird dieser Papst sein Land erinnern.
Michael J. Inacker, geboren 1964, studierte Politische Wissenschaften, Öffentliches Recht sowie Mittlere und Neuere Geschichte in Bonn; 1986 Seminaraufenthalt am Center for International and Strategic Affairs (CISA) der University of California, Los Angeles (UCLA). Nach einer Station im Planungsstab des Verteidigungsministeriums war er Redakteur des "Rheinischen Merkur” in Bonn und von 1992 bis 1997 Chefkorrespondent und Leiter der Meinungsseite der "Welt am Sonntag" in Hamburg. Danach Wechsel in die Industrie als Leiter Planungsstab des Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Chrysler AG in Stuttgart. 2000 Rückkehr in den Journalismus als Leiter des Hauptstadtbüros der "Welt". 2001 bis 2003 Leitung der Parlamentsredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". 2004 bis 2006 Leiter des Direktionsbereichs Politik und Außenbeziehungen der Daimler-Chrysler AG. Seit September Stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Hauptstadtredaktion der "Wirtschaftswoche". Autor mehrerer Bücher (u.a. zur deutschen Rolle im Golfkrieg und über das Verhältnis von Kirche und Demokratie) sowie Fachpublikationen zu außenpolitischen und gesellschaftlichen Grundsatzfragen.