Glauben global
"Kampf der Kulturen", "Rückkehr des Religiösen" – mit Schlagworten begnügen mögen sich andere, für Olivier Roy sind sie Ausgangspunkt für die gründliche Analyse einer komplexen Entwicklung und Praxis. Mit großer Distanz und deshalb gutem Überblick beschreibt er die Wechselwirkungen zwischen Religion und Kultur in Vergangenheit und Gegenwart und nimmt dabei nahezu die ganze Welt in den Blick.
Die Phänomene, die uns beschäftigen, sind global, konstatiert Roy, nicht zuletzt durch die technische Vernetzung. Wo einst Kultur und Religion einander bedingten, fallen sie in einer säkularisierten Welt auseinander:
"Das Religiöse ist zwar deutlicher sichtbar, aber zugleich ist es häufiger im Niedergang begriffen. Wir haben es eher mit einer Neuformulierung des Religiösen als mit einer Rückkehr zu Praktiken von einst zu tun."
So gesehen wären fundamentalistische Strömungen also verzweifelte Selbstbehauptungsversuche. Roy konstatiert, dass sie sich – historisch betrachtet – schnell erschöpfen. Man könnte sagen, je erbitterter, also fundamentalistischer das Religiöse sich geriert, umso rascher verschwindet oder verwandelt es sich, weil es jenseits der Kultur nicht haltbar ist.
Faszinierend sind auch Roys Erläuterungen des Wechselspiels von Kultur und Religion in vergangenen Zeiten. Als das Religiöse selbstverständlicher Teil einer Gesellschaft war, konnten Verstöße gegen religiöse Gebote toleriert werden; weder Religion noch Gesellschaft wurden dadurch infrage gestellt. Nun aber wird unterschieden zwischen Gesellschaft und Religionsgemeinschaft. Es gibt Widersprüche zwischen beiden, und es ist in weiten Teilen der Welt keineswegs mehr selbstverständlich, dass man in eine Religion hineingeboren wird und ihr lebenslang angehört. Deshalb muss das, was einst alltäglich war, heute ausdrücklich bekannt und gezeigt werden, von christlichen Fundamentalisten ebenso wie von Muslimen. Aber selbst das Bekenntnis verschwimmt – ob das Kreuz am Goldkettchen oder der bedeckte Kopf Ausdruck jüngster Mode ist oder religiöse Zugehörigkeit beweist, ist nämlich nicht zu erkennen.
Religion ist Ausdruck persönlicher Identitätssuche geworden. Eine Vielzahl von Konversionen beweist das, und Konvertiten neigten immer schon zur Kompromisslosigkeit. Gleichzeitig ist die Suche nach einer neuen Religion aber oft nur ein Übergangsphänomen, ist Teil der Jugendkultur oder markiert bloß eine Episode in der persönlichen Entwicklung. Dabei haben sich die Religionen in vielfältiger Konkurrenz zu behaupten.
"Heute gibt es einen regelrechten religiösen Markt mit der Auswahl zwischen den unterschiedlichsten Möglichkeiten. Es ist ein globales Phänomen."
Wenn Religion nicht mehr Teil der Kultur ist, wenn das religiöse Bekenntnis zur Antwort auf ein Gefühl wird, zu einem nur momentanen Bedürfnis, dann entsteht das, was Olivier Roy so treffend als "Heilige Einfalt" beschreibt. Er beobachtet zunehmend eine religiöse Praxis, die nicht mehr Texte und Wissen in den Vordergrund stellt, sondern Slogans und äußere Zeichen als Symbole persönlicher Entscheidungen. Und das bedeutet, dass das Spirituelle verschwindet und das Denken verflacht.
"Weitergegeben wird vor allem ein Gefühl; man möchte beim anderen das gleiche religiöse Erleben wecken, das man selbst empfindet, aber man macht einen Bogen um alles diskursive Wissen, denn das erscheint als Zeitverlust oder als Gefahr, sich in säkularer Selbstgefälligkeit zu verlieren."
Die Welt hat sich ist in den letzten Jahrzehnten durch neue Freiheitsbewegungen verändert: die der Frauen und der Homosexuellen. Und damit, so Roy, sind nahezu alle Religionen grundlegend angegriffen, da nahezu alle Frauen die Gleichberechtigung verwehren und Homosexualität verbieten. In dem Augenblick – schlussfolgert Roy –, in dem eine Gesellschaft sich von diesen Grundsätzen emanzipiert, führt das zum Konflikt zwischen Gesellschaft und Religionsgemeinschaften und zieht fundamentalistische Antworten nach sich.
Roy geht es vor allem um eine tragfähige Analyse der Entwicklung der Religionen und des Religiösen in einer globalen Welt. Und die liefert er auf vielschichtige und bewundernswert gelehrte Weise. Seine Befunde sind so wichtig, dass es bedauerlich ist, dass sein Buch nicht eben leicht zu lesen ist und manche Kapitel, beispielsweise die über die Geschichte der Mission im Lauf der Jahrhunderte, vergleichsweise viel Platz einnehmen. Aber diese Einwände sind marginal im Vergleich zu dem großen Gewinn, den man aus der Lektüre ziehen kann.
Besprochen von Barbara Dobrick
Olivier Roy: Heilige Einfalt. Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer
Siedler Verlag, 335 Seiten, 22,95 €
"Das Religiöse ist zwar deutlicher sichtbar, aber zugleich ist es häufiger im Niedergang begriffen. Wir haben es eher mit einer Neuformulierung des Religiösen als mit einer Rückkehr zu Praktiken von einst zu tun."
So gesehen wären fundamentalistische Strömungen also verzweifelte Selbstbehauptungsversuche. Roy konstatiert, dass sie sich – historisch betrachtet – schnell erschöpfen. Man könnte sagen, je erbitterter, also fundamentalistischer das Religiöse sich geriert, umso rascher verschwindet oder verwandelt es sich, weil es jenseits der Kultur nicht haltbar ist.
Faszinierend sind auch Roys Erläuterungen des Wechselspiels von Kultur und Religion in vergangenen Zeiten. Als das Religiöse selbstverständlicher Teil einer Gesellschaft war, konnten Verstöße gegen religiöse Gebote toleriert werden; weder Religion noch Gesellschaft wurden dadurch infrage gestellt. Nun aber wird unterschieden zwischen Gesellschaft und Religionsgemeinschaft. Es gibt Widersprüche zwischen beiden, und es ist in weiten Teilen der Welt keineswegs mehr selbstverständlich, dass man in eine Religion hineingeboren wird und ihr lebenslang angehört. Deshalb muss das, was einst alltäglich war, heute ausdrücklich bekannt und gezeigt werden, von christlichen Fundamentalisten ebenso wie von Muslimen. Aber selbst das Bekenntnis verschwimmt – ob das Kreuz am Goldkettchen oder der bedeckte Kopf Ausdruck jüngster Mode ist oder religiöse Zugehörigkeit beweist, ist nämlich nicht zu erkennen.
Religion ist Ausdruck persönlicher Identitätssuche geworden. Eine Vielzahl von Konversionen beweist das, und Konvertiten neigten immer schon zur Kompromisslosigkeit. Gleichzeitig ist die Suche nach einer neuen Religion aber oft nur ein Übergangsphänomen, ist Teil der Jugendkultur oder markiert bloß eine Episode in der persönlichen Entwicklung. Dabei haben sich die Religionen in vielfältiger Konkurrenz zu behaupten.
"Heute gibt es einen regelrechten religiösen Markt mit der Auswahl zwischen den unterschiedlichsten Möglichkeiten. Es ist ein globales Phänomen."
Wenn Religion nicht mehr Teil der Kultur ist, wenn das religiöse Bekenntnis zur Antwort auf ein Gefühl wird, zu einem nur momentanen Bedürfnis, dann entsteht das, was Olivier Roy so treffend als "Heilige Einfalt" beschreibt. Er beobachtet zunehmend eine religiöse Praxis, die nicht mehr Texte und Wissen in den Vordergrund stellt, sondern Slogans und äußere Zeichen als Symbole persönlicher Entscheidungen. Und das bedeutet, dass das Spirituelle verschwindet und das Denken verflacht.
"Weitergegeben wird vor allem ein Gefühl; man möchte beim anderen das gleiche religiöse Erleben wecken, das man selbst empfindet, aber man macht einen Bogen um alles diskursive Wissen, denn das erscheint als Zeitverlust oder als Gefahr, sich in säkularer Selbstgefälligkeit zu verlieren."
Die Welt hat sich ist in den letzten Jahrzehnten durch neue Freiheitsbewegungen verändert: die der Frauen und der Homosexuellen. Und damit, so Roy, sind nahezu alle Religionen grundlegend angegriffen, da nahezu alle Frauen die Gleichberechtigung verwehren und Homosexualität verbieten. In dem Augenblick – schlussfolgert Roy –, in dem eine Gesellschaft sich von diesen Grundsätzen emanzipiert, führt das zum Konflikt zwischen Gesellschaft und Religionsgemeinschaften und zieht fundamentalistische Antworten nach sich.
Roy geht es vor allem um eine tragfähige Analyse der Entwicklung der Religionen und des Religiösen in einer globalen Welt. Und die liefert er auf vielschichtige und bewundernswert gelehrte Weise. Seine Befunde sind so wichtig, dass es bedauerlich ist, dass sein Buch nicht eben leicht zu lesen ist und manche Kapitel, beispielsweise die über die Geschichte der Mission im Lauf der Jahrhunderte, vergleichsweise viel Platz einnehmen. Aber diese Einwände sind marginal im Vergleich zu dem großen Gewinn, den man aus der Lektüre ziehen kann.
Besprochen von Barbara Dobrick
Olivier Roy: Heilige Einfalt. Über die politischen Gefahren entwurzelter Religionen
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer
Siedler Verlag, 335 Seiten, 22,95 €