Glaube auf dem Prüfstand

In seinem Buch "Mehr Leben, bitte!" geht Klaus-Peter Jörns der Frage nach, wie christlicher Glaube in der heutigen Zeit aussehen könnte. Für den emeritierten Theologieprofessor steht fest: Viele biblische Überlieferungen und theologische Konzepte sind "buchstäblich mit der Zeit überholt worden".
Vor fünf Jahren legt Klaus-Peter Jörns ein brisantes Buch vor mit dem Titel "Notwendige Abschiede". Der Titel ist Programm: Es gilt Abschied zu nehmen von heute problematisch gewordenen Glaubensvorstellungen – etwa von der Lehre, der Mensch, überspitzt: nur der Mensch, sei Gott ebenbildlich. Das würdigt in Jörns’ Augen alle nicht-menschlichen Lebewesen herab. Daher ruft der Berliner Professor für Praktische Theologie im Gegenzug auf zu einer stärkeren "Ehrfurcht vor der Vielfalt des Lebens".

In seinem neuen Buch "Mehr Leben, bitte!" geht Jörns der Frage nach: Wie sieht christlicher Glaube aus, wenn die "notwendigen Abschiede" vollzogen worden sind? Für den inzwischen emeritierten Professor steht nach wie vor fest: Viele biblische Überlieferungen und theologische Konzepte sind "buchstäblich mit der Zeit überholt worden". Denn, so Jörns, Gott ist mit den Menschen mitgegangen - "durch die Geschichte und die in ihr gewachsenen Erkenntnisse hindurch." Daher sind heute in der Theologie andere Akzente möglich, ja notwendig.

Das gilt insbesondere im Blick auf die zentrale Glaubensgestalt des Christentums: Nach Jörns darf man "die Jesus-Deutungen der frühen Christenheit nicht absolut setzen". Es gilt vielmehr herauszufinden und ernst zu nehmen, "wie Jesus heute von vielen authentisch wahrgenommen wird."

Ein Beispiel: Gegen die Kurzformel des christlichen Glaubens "Jesus ist für uns gestorben" setzt der Praktische Theologe die These: Jesus hat mit seinem ganzen Leben, von Anfang bis Ende, für uns gelebt und ist als Weg zu Gott lebendig. Deshalb der programmatische Buchtitel "Mehr Leben, bitte!".

Denn das Leben Jesu und dessen dramatische Kraft kommen Jörns zufolge in Theologie und Gottesdiensten zu kurz. Jesus lebt ganz aus dem Vertrauen heraus: Gott und seine Weisungen dienen dem Leben. Dieser Gottesglaube eröffnet Freiheit.

Stellt die Kirche in Theorie und Praxis Leben und Gottesbeziehung Jesu intensiver heraus, gewinnt sie mehr Leben in sich, insbesondere in ihren Gottesdiensten. Dann, so Jörns, dient sie stärker dem Leben der Menschen - und befähigt Christen zu einem größeren Maß an Freiheit.

Hierauf bezieht sich der Untertitel "Zwölf Schritte zur Freiheit im Glauben". Zwölf Schritte, zwölf Kapitel. Dabei dient Jörns das Kirchenjahr als Leitfaden. Denn im Grunde feiern Christen ihren Freiheit ermöglichenden Glauben sowie das Leben mit all seinen Facetten immer wieder an unterschiedlichen Festen im Laufe des Kirchenjahres.

Mit Blick auf den Ewigkeits- und Totensonntag etwa streicht Jörns heraus: Der Tod gehört zum Leben. Denn "lebendiges Leben ist überall in der Schöpfung sterbliches Leben".

Jesus spricht im Johannesevangelium offen über seinen Abschied von der Jüngergemeinschaft. Er weiß um Trauer und Angst der Jünger, mutet ihnen aber den notwendigen Abschied zu – in der Gewissheit, so Jörns: "Gott ist das Leben, und das Leben geht weiter, so wahr Gott lebt."

Nirgends heißt es dagegen in der Verkündigung Jesu, der Tod sei der Sünde Sold. Das liest man im Römerbrief des Apostels Paulus. Der, so Jörns, kriminalisiert den Tod als Sündenstrafe. Diese Sichtweise hat in kirchlichen Kreisen viel Unheil angerichtet.

Im Blick auf Jesu Leben setzt Jörns dagegen: Der Tod ist ein Tor im Leben. Sterben und Tod sind "oft mühsames, qualvolles Hineinfinden in das Wirken Gottes". Es führt christlichem Verständnis nach "nicht in ein Nichts, sondern in eine verwandelte Form von Leben."

Jörns legt ein gut lesbares Buch vor, geht es doch zumeist auf Vorträge und Predigten zurück. Es ist ein hilfreiches Buch für Kirchenferne wie Kirchenverbundene. Denn in beiden Gruppen stellen sich nicht selten Unbehagen und Unverständnis beim Zitieren traditioneller Glaubensformeln ein. Jörns weiß darum und nimmt dies ernst. Das ist mutig und bleibt provokant.

Besprochen von Thomas Kroll

Klaus-Peter Jörns: Mehr Leben, bitte! Zwölf Schritte zur Freiheit im Glauben
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2009
223 Seiten, 19,95 Euro