Glas im Spiegel der Jahrhunderte

Von Ulrike Gondorf |
Die Ausstellung "Zerbrechliche Schönheit" im Düsseldorfer museum kunst palast veranschaulicht neben den technischen Entwicklungen der Glasherstellung vor allem die Einflüsse auf die Kunst der vergangenen Jahrhunderte. Zu sehen sind sowohl Werke aus Glas als auch solche, auf denen Glas abgebildet ist, von so unterschiedlichen Künstlern wie Claude Monet und Pipilotti Rist.
Das Glas ist noch halb voll - oder schon halb leer? Ein schimmernder Römer, der solide dasteht auf einem grünlichen Fuß, in dem dünnen Kelch spielen die Reflexe eines Fensters, huschen vom Boden über die Wandung bis an den hauchdünnen Rand des Gefäßes, steigen vom Grund des Weins an die Oberfläche, wo sich die Spiegelungen spiegeln.

Das Bravourstück, das den Besucher der Düsseldorfer Ausstellung an der zentralen Wand des ersten Saals erwartet, hat Willem Claesz Heda gemalt um 1650, im Goldenen Zeitalter der niederländischen Kunst. Es bleibt nicht allein. Eine imposante Auswahl hochkarätiger Stillleben hat die Schau versammelt - Monet setzt den Glanzpunkt für das 19. Jahrhundert - Beckmann, Dix, Modersohn-Becker und Morandi belegen eindrucksvoll das anhaltende Interesse des 20. Die Leihgaben kommen u. a. aus den Kunstmuseen in Wien, Basel, Dresden und Berlin, aus dem Amsterdamer Rijskmuseum und dem Frankfurter Städel. Auf malerischen Glanz darf man sich also freuen in Düsseldorf, auf einen Augenschmaus, wie Beat Wismer sagt, Hausherr und Kurator in einer Person.

"Das war für die Maler die Herausforderung: Etwas zeigen, das man eigentlich nicht sehen soll. Es ist ein Material, was immateriell erscheinen will, also es ist schon ein Paradox in diesem Material."

Ein Paradox, das die Künstler nicht hat ruhen lassen. Direkt neben den alten Niederländern ist eine ganze Wand mit kleinformatigen Tafeln bestückt: Beispiele einer Bilderserie, die der 1932 geborene Peter Dreher in den letzten 30 Jahren geschaffen hat und die inzwischen auf weit über 5000 Stücke angewachsen ist. Mit fotorealistischer Perfektion hat Dreher immer wieder dasselbe Becherglas gemalt, stets am selben Platz, auf weißem Grund vor weißem Hintergrund, immer im selben Format. Und doch ist jedes Bild anders, hat seine eigene Lichtqualität, die die Konturen des Glases, die Reflexe des Fensters oder der Glühbirne zu immer neuen Wirkungen bringt.

"Im Glas bündelt sich die kleine Welt des Ateliers, aber auch die Umwelt, die durch das Fenster hineinschaut. Im Glas fokussiert sich die Welt, das finde ich die ganz große Herausforderung."

Die Lust, sich der Augentäuschung hinzugeben und malerisches Können zu bewundern, bleibt aber keineswegs die einzige Attraktion dieser anregenden Präsentation. Beat Wismer hat sich vor seiner Berufung nach Düsseldorf als Leiter des Kunsthauses im schweizerischen Aarau mit originellen Themenausstellungen profiliert. In Zusammenarbeit mit allen anderen Kuratoren im museum kunst palast hat er jetzt eine Schau konzipiert, die Epochen und Genres übergreift und neben der zerbrechlichen Schönheit viele andere Aspekte des Glases beleuchtet.

"Ich entdeckte in diesem Glas das Potenzial für eine große, komplexe und ambivalente Themenausstellung."

Mittelalterliche Gemälde erzählen von der symbolischen Bedeutung: In der Hand der Madonna steht es für Reinheit und Unberührtheit, die gläserne Weltkugel, die Christus trägt, verweist auf seine Herrschaft über alles, was sich darin spiegelt: Auf einem Bild des Meisters der Darmstädter Passion aus der Mitte des 15. Jahrhunderts sind das nicht nur Himmel, Meer und Erde, sondern auch winzige Dörfer und Städte mit ihren Kirchtürmen. Die Barockzeit sah in der Zerbrechlichkeit des Glases ein Zeichen für die Vergänglichkeit alles Irdischen: Noch 2007 knüpft die Österreicherin Melli Ink da an: mit den gläsernen Skeletten ihrer apokalyptischen Reiter. Das Fenster, das ebenso trennt wie verbindet, wird Thema in dieser Ausstellung, mit Bildern, die vom hinter Glas gehüteten Raritätenkabinett der Renaissance bis zu Gerhard Richters Fenstern reichen, die ihre weißen Rahmen unerbittlich zwischen den Betrachter und die nebulöse Tiefe eines leeren Bildraums schieben. Und dann gibt es noch viel zu sehen, das nicht Glas abbildet, sondern aus Glas geschaffen ist.

"Das Glas als Material wird um 1900 zu einem neuen Thema, im frühen 20. Jahrhundert gab es die neuen technischen Möglichkeiten der Glasarchitektur und ab da wird Glas auch in die Kunst eingeführt."

Ein Modell des Glaspalastes, den Bruno Taut 1914 für die Kölner Werkbundausstellung baute, spricht ganz direkt von der Begeisterung der Künstler für dieses Material: "das Glas bringt uns die neue Zeit", steht da in einem Schriftband unter der Dachtraufe des Kuppelbaus, der wie aus einem Märchen aus 1001 Nacht erscheint. Die Künstler nachfolgender Generationen werden eher an den Scherben interessiert sein. Objekte und Installationen der Gegenwartskunst, die in der Ausstellung zu sehen sind, setzen sich auseinander mit dem Material, das so leicht verletzt werden wie verletzen kann. Rebecca Horn, die eine zum Blitzstrahl gebogene Metallstange immer wieder auf einen Glaskörper hernieder fahren lässt, gehört dazu, ebenso wie Mario Merz, Adolf Luther oder Felix Droese. Und wer nach dieser Reise durch die Jahrhunderte noch nicht müde ist, kann sich ansehen, was den neuen Direktor auf die Idee zu dieser Ausstellung gebracht hat: die Glassammlung des museums kunst palast, die zu den bedeutendsten in Europa gehört.

"Es ist natürlich eine kleine Liebesgeschichte - da war diese Glassammlung, die mich überrascht und schnell begeistert hat."

Hier liegt durchaus eine programmatische Aussage der ersten Düsseldorfer Ausstellung von Beat Wismer. Er will die Sammlung stärker in seine Arbeit einbeziehen als sein Vorgänger Jean Hubert Martin, der mit importierten Blockbuster-Ausstellungen das Haus in die Gefahr gebracht hatte, zum PR-Flaggschiff seines Hauptsponsors e-on zu werden - mit sensationellen und publikumswirksamen Exponaten, aber ohne inhaltliche Konzepte.

"Ich würde jederzeit ein Ausstellungsprogramm abhängig machen vom Ort, wo man arbeitet. Wir werden vermehrt den Focus auf die Sammlung lenken."