Glanz und Größe des Mittelalters

Von Ulrike Gondorf · 03.11.2011
In seiner Blütezeit von 1000 bis 1550 war Köln nicht nur ein pulsierendes Pilger- und Handelszentrum, sondern auch eine der wichtigsten Kunstmetropolen in Europa. Über 200 Meisterwerke dieser Epoche sind jetzt im Museum Schnütgen in Köln zu bewundern. Die meisten kommen aus großen Museen in der ganzen Welt und treffen für kurze Zeit auf kostbare Stücke, die in Köln geblieben sind.
Der Engel streckt dem Betrachter den Arm entgegen, gebietet Aufmerksamkeit und Achtung. Er tut das seit fast 850 Jahren. Der namentlich nicht bekannte Kölner Meister, der ihn schuf, setzte ihn als Wächter an das Grab des auferstandenen Christus. Die großen Augen, die sprechende Geste, der elegant fließende Faltenwurf des Gewandes - alles trägt bei zu der bewegten Lebendigkeit dieser Figur.

Wer der Armbewegung des nach seinem jetzigen Aufenthalt so genannten "Berliner Engels" folgt, der sieht Staunens- und Bewundernswertes in Fülle in dem neuen Sonderausstellungsraum, den das Museum Schnütgen jetzt gemeinsam mit dem benachbarten Rautenstrauch-Joest-Museum nutzen kann.

Das Metropolitan Museum in New York, die drei großen Londoner Institute und der Louvre haben Leihgaben geschickt, ebenso wie das Germanische Nationalmuseum, die Münchner Pinakothek, viele Domschatzkammern - und eine ganze Reihe von Kirchengemeinden. Die haben sogar Kunstwerke ausgeliehen, die im Gottesdienst bis heute ihren Platz haben.

Aus Linz am Rhein zum Beispiel ist der vielteilige Hauptaltar gekommen, der in fein gemalten Bilderzählungen das Marienleben schildert, ein wichtiges Werk der Kölner Malerschule aus dem 15. Jahrhundert. Über solche Leihgaben freut Ausstellungsmacherin Dr. Dagmar Täube sich besonders:

"Weil ich mich noch sehr gut an die ersten Leihverhandlungen erinnern kann, wo ich auf viele skeptische Blicke gestoßen bin, die heute alle glücklich sind und überzeugt."

So lädt die Ausstellung ein zu einer Reise durch die Kultur des Mittelalters. Einen großen Teil beanspruchen die religiösen Kunstwerke: Altargemälde, Schnitz- und Bildhauerwerke mit Heiligenfiguren, prachtvoll mit Miniaturmalerei und Goldornamenten dekorierte Handschriften, 1000 Jahre alte Messgewänder, bestickt und bortengeschmückt, filigrane Elfenbeinkästchen, die zur Aufbewahrung von Reliquien bestimmt waren, vergoldetes und edelsteinbesetztes liturgisches Gerät.

Die mächtige Stellung des Kölner Erzbischofs, der auch eine bedeutende Position im weltlichen Machtgefüge des mittelalterlichen Kaiserreiches einnahm, spiegelt sich in dieser Vorrangstellung der religiösen Kunst. Hinzu kam die außerordentliche Bedeutung der Stadt als Pilgerziel, an dem die Gläubigen die Heiligen Drei Könige und die Märtyrer Ursula und Gereon verehren wollten. Und nicht zuletzt der Reichtum der Handelsstadt, den die außerordentlich günstige Lage am Rhein und später die Hanse in Köln wachsen ließen.

"Viele Kirchen und Klöster sind gegründet worden, das heißt es war ein großes Potenzial für Künstler gegeben, die eine reiche Auftragslage vorgefunden haben. All diese Faktoren, die hier zusammenspielen, die gibt es in dieser einzigartigen Zusammenfassung in keiner anderen Stadt."

Aber auch das bürgerliche Leben und die Alltagskultur haben eindrucksvolle Spuren hinterlassen. Von Selbstbewusstsein strotzende Portraits der Kaufherren, die sich ungeniert mit prall gefülltem Geldbeutel malen ließen. Runde Spielsteine aus Walrosszahn, die Tier- und Kampfszenen in winzigen und doch detailreich ausgestalteten Szenen zeigen. Und der jüngste Kölner Fund aus dem frühen Mittelalter: ein halbmondförmiger goldener Ohrring, den eine antike Gemme schmückt. Er ist erst im Sommer in der Archäologischen Zone ausgegraben worden.

Die Präsentation lässt den Objekten Raum und Luft, die farbige Wandgestaltung hebt die einzelnen thematischen Kapitel der Schau deutlich voneinander ab. In allen Abteilungen sind Spitzenwerke zu bewundern. Die Kölner Kunst war im Allgemeinen eher konservativ, aber ihre Meisterwerke sind bestechend durch den Sinn für Proportion und Maß, die Feinheit der Ausführung und die luxuriösen Materialien.

"Köln hat keinen Dürer und keinen Leonardo, aber Köln hat eine ganze Reihe von hoch qualitätvollen Stücken geschaffen, die in einem typischen Kölner Kunststil geschaffen wurden, und die gehören weltweit zu den ganz kostbaren Stücken."

Das Schwelgen in Schaulust ist aber nicht das einzige Ziel dieser Ausstellung: typisch für die Kölner Kunst ist auch, dass den Werken nur in seltenen Fällen eindeutig die Namen der Meister zuzuordnen sind. Die Künstler verstanden sich als Handwerker, sie signierten nicht. Für die Forschung sind da immer noch viele Fragen offen. Und zur Klärung gibt es keine bessere Gelegenheit als Originale direkt zu vergleichen. In Museum Schnütgen konnten jetzt sogar einige Bildzyklen und Figurengruppen wieder vereint werden, die seit Jahrhunderten über die Welt verstreut sind. Dagmar Täube hofft auf weiterführende Forschungserträge.

"Gerade in diesem Hinblick ist die Ausstellung interessant, weil man vieles Seite an Seite sehen und das überprüfen kann, ob das richtig ist, wie man sich das heute vorstellt. Das sind schon ganz große Momente, auch für den Wissenschaftler."

Webauftritt der Kölner Museen