50 Jahre Glamrock

Als Pop wieder Spaß machen durfte

06:10 Minuten
David Bowie spielt zusammen bei einem Auftritt mit Marc Bolan in seiner Show.
David Bowie bei einem Auftritt mit Marc Bolan. © imago images/Photoshot
Von Sky Nonhoff · 29.07.2022
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Im Sommer 1972 wurden die Charts von Musik beherrscht, die heute eher belächelt wird: Glamrock. Auch damals wurde der mitreißende kinetische Pop von der "seriösen" Kritik mit unverhohlener Verachtung abgestraft – doch der Einfluss hält bis heute.
Ende der Sechzigerjahre hat sich die Rockmusik in ihrem eigenen Morast festgefahren – in zähem Blues- und Heavy-Rock, trostlosem Gitarren-Gegniedel und breit angelegten Konzeptalben à la Emerson, Lake and Palmer oder Pink Floyd, die den röhrenden Hirsch in Progressive-Verkleidung auf die große Bühne bringen. Glamrock ist die Antwort auf diesen Muff von gefühlt tausend Jahren: extravagant, effektgetrimmt und stets auf den ultimativen Ohrwurm aus.
Glamrock bringt den Spaß zurück in den Pop, und diesmal ist Fun tatsächlich das von Theodor W. Adorno beschworene Stahlbad: für die sogenannten seriösen Kritiker, denen diese Überdosis jugendlicher Dekadenz akute Schmerzen in ungern genannten Körperteilen verursacht.
Glam war – im besten Sinne – eine Unverschämtheit: unverhohlen kommerziell, unverblümt offensiv und offen für alles, kurz: der totale Pop, der alles auf den Kopf stellte, ein universaler Kindergarten, in dem die Jungs Frauenkleider tragen und die Mädchen zu den ganz harten Burschen gehören durften.

Marc Bolan & T. Rex

50 Jahre Glamrock: Marc Bolan und T. Rex

26.07.2022
06:31 Minuten
Tonart Podcast
Tonart Podcast
Im Sommer 1972 waren der Musiker Marc Bolan und seine Band T. Rex der Superseller in Sachen Pop; allein in jenem Jahr verkaufte er 16 Millionen Platten. Bolan produzierte Hits wie am Fließband, und mit seiner Musik schrieb er den Soundtrack für eine neue Generation. In unserer fünfteiligen Glamrock-Sommerreihe: Sky Nonhoff über einen britischen Superstar, der mit seiner künstlerischen Vision einen Schlussstrich unter die Sechzigerjahre zog.  
Er war ein Narziss und sein Goldmund eine verdammt große Klappe. „Gebt mir einen C-Dur-Akkord, und ich gebe euch eine Million Melodien“, ließ Marc Bolan in einem Interview verlauten, als halb Europa ihm und seiner Band T. Rex bereits zu Füßen lag – darunter Abertausende von jungen Mädchen, die seinetwegen buchstäblich die Besinnung verloren hatten.
Marc Bolan und die Rockgruppe T-Rex performen im Santa Monica Civic Auditorium.
Marc Bolan und die Rockgruppe T-Rex performen im Santa Monica Civic Auditorium. © imago images/ZUMA Press/ Arax shjianx
Im Sommer 1972 ist Marc Bolan der britische Superstar schlechthin, und David Bowie sinkt vor ihm verbal auf die Knie, als er ihn als „most important person in Europe today“ bezeichnet: Der 25-jährige Sohn eines Lkw-Fahrers und einer Marktfrau verkauft 60.000 Singles am Tag, schreibt einen Nummer-eins-Hit nach dem anderen: „Hot Love“, „Get It On“, „Jeepster“, „Children of the Revolution“ – unverwechselbare, aufreizend unwiderstehliche Songs, die sich wie der Soundtrack für ein neues, transgressives Utopia anhören. Marc Almond, später Sänger des Pop-Duos Soft Cell, gehört zu seinen Fans der ersten Stunde

Slade

Jimmy Lee, Dave Hill, Don Powell & Noddy Holder von der Band Slade bei einem Auftritt in einem Fernsehstudio 1975.
Slade bei einem TV-Auftritt im Jahr 1975© imago images/Mary Evans

50 Jahre Glamrock: Slade

27.07.2022
06:08 Minuten
Tonart Podcast
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Keine britische Band verkaufte in den Siebzigerjahren mehr Platten als Slade aus der Industriestadt Wolverhampton. Songs wie „Cum On Feel the Noize“ oder die Weihnachtshymne "Merry Xmas Everybody" gehören mittlerweile quasi zur englischen Folklore.
Etwas, das ihnen am Anfang ihrer Karrieren niemand zugetraut hätte. 1970 hatten Slade mit schwer unmodischem Skinhead-Look noch ausgesehen, als wären sie gerade aus dem Zuchthaus zu Dartmoor entlassen worden. Nun aber, im August 1972, war ihr Song „Mama Weer All Crazee Now“ Nummer eins der britischen Charts und die Band schlicht nicht wiederzuerkennen.

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Sie vollbrachte die Leistung, sich in kariertem Anzug, Hosenträgern, Zylinderhut und Plateau-Boots nicht komplett zu diskreditieren. Tatsächlich sah Sänger Noddy Holder weniger einem Rockstar ähnlich als einer backenbärtigen Figur aus einem Dickens-Roman, flankiert vom Gitarristen Dave Hill, angesichts dessen Frisur, einer Mischung aus Mönchstonsur und Vokuhila, man sich unwillkürlich fragte, ob sein Coiffeur an Dementia 13 litt. Hill ließ das profimäßig kalt. In seinen eigenen Worten: „Wenn die Leute mich blöd anglotzten, wusste ich, dass wir auf der Gewinnerstrecke waren.“

The Sweet

50 Jahre Glamrock: The Sweet

28.07.2022
06:45 Minuten
Tonart Podcast
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Wohl keine britische Band der Siebzigerjahre war spektakulärer: The Sweet, die allein in ihrer Hochzeit zwischen 1972-78 mehr als 50 Millionen Platten verkauften – und vom Rock-Journalismus ihrer Zeit als substanzlose Kommerzmaschine abgetan wurden. Während sich heute sogar Superstars wie Axl Rose von Guns N' Roses oder Megadeth-Bassist David Ellefson zu den einstigen Königen des Glam bekennen.
Die Mitglieder der Band The Sweet
Die Glam-Rock-Band The Sweet im Jahr 1971.© imago images/Mary Evans
Weihnachten 1973 kam im britischen Fernsehen nicht das Christkind, sondern der schwule Nazi. Für einen Auftritt von The Sweet bei „Top of the Pops“ hatte sich Bassist Steve Priest mit SS-Uniform, Pickelhaube, Hakenkreuz-Armbinde und Hitlerbärtchen ausstaffiert. Dass er obendrein aufreizend tuntig in die Kameras winkte, setzte dem bizarren Treiben die Krone auf. In Nachhinein erscheint Priests legendäre Lektion in englischem Humor sogar noch kontroverser als damals: Im doch so freien Internet sind so gut wie alle verfügbaren Videos retuschiert und zensiert.

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Zu diesem Zeitpunkt sind The Sweet Englands Pop-Export Nummer schlechthin – extravagant, unverfroren, sexy. Gleichzeitig provokant und inklusiv. Das Paradox: The Sweet sind Nummer eins auf dem halben Globus – und haben keine Lust mehr, von den Sauertöpfen der Rockorthodoxie weiter als Marionetten ihrer Produzenten verachtet zu werden. Mit ihrem selbst geschriebenen weltweiten Megaseller „Fox on the Run“ zeigen sie ihren Strippenziehern den Finger. Es ist der Anfang vom Ende. Von nun an zündet jeder neue Song schlechter als der vorherige, dann kommen Punk und New Wave, und seit Ende der Achtziger tritt Gitarrist Andy Scott mit diversen Ramschtruppen bis heute unter dem alten Namen auf.

Suzi Quatro

50 Jahre Glamrock: Suzi Quatro

29.07.2022
06:02 Minuten
Tonart Podcast
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Klar gab es vor ihr schon Frauen in der Rockmusik – doch niemand eroberte die Macho-Domäne mit mehr Aplomb als die amerikanische Bassistin und Sängerin Suzi Quatro, die in den Siebzigern zum weiblichen Superstar des Glam aufstieg; und bald darauf auch zum Rollenmodell unzähliger Musikerinnen und tougher Girlbands, von den Runaways über Girlschool bis zu Bikini Kill. 
Sängerin Suzi Quatro singt leidenschaftlich auf der Bühne.
Sängerin Suzi Quatro singt leidenschaftlich auf der Bühne.© imago images/Mary Evans
Es gibt solche Tage. Da saß sie in ihrem heruntergekommenen Hotelzimmer in Earl’s Court, in dem sie nun schon Monate hauste, und fühlte sich zum Heulen. Nach einem versauten Gig im Londoner Rainbow Theatre hatte ihr Producer Mickie Most sie angebrüllt, von ihm aus könne sie ihre Sachen packen und nach Detroit zurückfliegen. Und Suzi Quatro, 22 Jahre alt, war drauf und dran, das wirklich zu tun.

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Doch Mickie Most macht sie nur ein paar Tage später mit Mike Chapman und Nicky Chinn bekannt. Und dieses Duo, in Fachkreisen kurz Chinnichap genannt, schreibt der unbekannten Amerikanerin eine hypnotisch hämmernde Frei-ab-18-Revolutionshymne auf den Leib, die man nur als Geniestreich unwiderstehlichen Stumpfrocks bezeichnen kann.
Und da ist sie auch schon auf dem Cover ihres ersten Albums, Lederjacke und Leckt-mich-Blick, flankiert von den Mitgliedern ihrer Band, die nicht weniger ausstrahlen als die Magie geballten Proletentums, insbesondere Gitarrist Len Tuckey, der sich beim Wegelchen eines Fläschchens Bier recht ungepflegt die Griffel in den Hosenlatz steckt. Die Jungs können sich einfach nicht benehmen, aber da ist eine, die offensichtlich kein Problem mit ihnen hat: eine tröstliche Botschaft für alle 13-Jährigen jeglichen Geschlechts.

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