Giotto-Ausstellung in Mailand

Wegbereiter der Renaissance

Jesus am Kreuz des italienischen Malers Giotto di Bondone
Jesus am Kreuz: Eine Darstellung des italienischen Malers Giotto di Bondone in Florenz © imago/Kyodo News
Von Thomas Migge · 31.08.2015
Jesus mit menschlichen Antlitz. Entgegen seiner Zeitgenossen malte Giotto di Bordone im 14. Jahrhundert reale Menschen, mit unterschiedlichen Gesichtern. Giotto begründete damit die Malerei der Renaissance. Im Mailänder Palazzo Reale sind jetzt seine Meisterwerke zu sehen.
Wie lange Giotto in Mailand lebte ist nicht ganz klar. Klar ist hingegen, dass er am Hof von Azzone Visconti, der in den 1330er-Jahren Herr über die lombardische Stadt war, an verschiedenen Orten wirkte. Aus der Mailänder Zeit Giottos blieb allerdings nicht ein einziges Werk erhalten. Welchen Einfluss aber der auf Mailänder Künstler hatte, das kann man bei der Darstellung einer Kreuzesabnahme in der Kirche Chiesa di San Gottardo in Corte bestaunen. An diesem Fresko von Giotto Schülern lässt sich der revolutionäre Einfluss des Lehrers deutlich erkennen: unter dem Kreuz mit Christus schauen den Betrachter Menschen an, mit individuell unterschiedlichen Gesichtsausdrücken. Keine ikonenförmige Gleichheit mehr, wie sie für die mittelalterliche Kunst typisch war. Giotto, das zeigen die Fresken seiner Schüler in Mailand, darf als Begründer der modernen Malerei gelten, als Wegbereiter der italienischen Renaissance.

"Giotto ist, wenn man so will, der Erfinder der figurativen Formensprache in der italienischen Kunst. So wie sein Zeitgenosse und Mitbürger in Florenz Dante Alighieri das moderne Italienisch begründet hat. Giotto überwindet die hieratische byzantinische und romanisch-gotische Kunst."

So Antonio Paolucci, Direktor der vatikanischen Museen und Mitglied im wissenschaftlichen Komitee der Kunstschau:

Die Mailänder Ausstellung stellt 14 Hauptwerke zusammen, die das Revolutionäre in der Malerei Giottos auf den Punkt bringen.
"Er entdeckt vor allem zwei fundamental wichtige Dinge: den Realitätssinn in der Natur und in der menschlichen Psychologie, und das fügt er ein in eine Darstellungsweise, die einen Raum darstellt, der nicht mehr nur einfach platt ist, sondern sich der Dreidimensionalität annähert. Er hat die Intuition der Perspektive."

Nur 14 Werke Giottos. Das hört sich quantitativ wenig an. Doch noch nie zuvor war es möglich, an einem einzigen Ort 14 Hauptwerke des Meisters zu sehen – Tafelbilder aus europäischen und US-amerikanischen Museen, die bisher nur äußerst selten verliehen wurden, weil sie sehr fragil sind.
Die Ausstellung zeichnet die Entwicklung Giottos nach. In den ersten Ausstellungs-Sälen des Palazzo Reale werden die wichtigsten Jugendwerke gezeigt. Wie zum Beispiel die Madonna mit Jesuskind und zwei Engeln aus dem Florentiner Diözesanmuseum. Ein Werk aus der Mitte der 1290er-Jahre. Giotto war damals etwa 28 Jahre alt. Das Gesicht der Madonna, die klassisch byzantinische Bildanordnung, mit zwei Engeln rechts und links, man sieht, dass sich Giotto erst noch aus dieser künstlerischen Tradition befreien muss.
Ein Tafelbild vom Hauptaltar der Badia fiorentina
In den folgenden Sälen gibt es berühmte Werke zu sehen, darunter ein Tafelbild vom Hauptaltar der Badia fiorentina, eine Bildtafel mit Gottvater auf dem Thron aus der Cappella degli Scrovegni in Padua. Das so genannte Polittico Stefaneschi aus der vatikanischen Pinakothek, ein doppelseitig bemalter Altaraufsatz. Bild für Bild wird deutlich, wie die Darstellung der Menschen, ihrer Gesichter und Körperhaltungen, der Landschaften, mit perspektivisch wiedergegebenen Gebäuden, Felsen und Ortschaften immer realitätsnäher werden.
Besonders deutlich wird das am Tafelbild Baroncelli von 1328 aus der Florentiner Basilika di Santa Croce: Die Krönung der Jungfrau, die Engel, Heilige und zur rechten wie zur linken Musiker mit zeitgenössischen Instrumenten: Giotto malte reale Menschen, mit unterschiedlichen Gesichtern, und jeder der fünf Bildteile der Darstellung verfügt über eine perspektivische Tiefe. Diese Tiefe wirkt auf uns heute etwas naiv – für die damalige Zeit aber war sie absolut revolutionär.
Kunsthistoriker Antonio Paolucci:

"Ohne diese Revolution wäre die künstlerische Entwicklung nach Giotto nicht möglich gewesen. Damit meine ich Maler wie Masaccio, Piero della Francesca, Raffael und so weiter. Man kann Giottos Bedeutung für die Kunstgeschichte gar nicht hoch genug einschätzen."

Die Ausstellung bedient sich aber auch der neuesten Technik: italienische und US-amerikanische Digitalexperten bieten den Besuchern eine täuschend echte Kopie der von Giotto ausgemalten Cappella Peruzzi in der Kirche Santa Croce in Florenz. So ist es möglich, diese ikonographisch reichen Darstellungen ganz aus der Nähe zu betrachten.

Die Ausstellung "Giotto, l'Italia. Da Assisi a Milano" wird als kulturelles Begleitprogramm zur EXPO veranstaltet und ist bis zum 10. Januar 2016 im Mailänder Palazzo Reale zu sehen.
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