Giorgio Moroder wird 80

Der Visionär, der den Dancefloor revolutionierte

04:53 Minuten
Porträt der Disco-Legende Giorgio Moroder in den 1970er-Jahren mit rot getönter Brille und breitem Hemdkragen.
Aus dem Grödnertal kam er nach München, und seine Hits wurden Pioniertaten der elektronischen Musik: Giorgio Moroder in den 70er-Jahren. © Globe Photos
Von Sky Nonhoff · 26.04.2020
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Zwischen Buffta, Bubblegum und Schlager-Schwerverbrechen: Eine der Hitfabriken der Disco-Ära befand sich in München-Bogenhausen. Dort produzierte der Komponist Giorgio Moroder unter anderem Donna Summers „I Feel Love“. Heute wird er 80 Jahre alt.
Ein paar Hochbetagte im Südtiroler Grödnertal erinnern sich noch – an den Jungen mit den wilden Locken, den man manchmal mit seiner Gitarre an Ufer der Dirsching sah. Ein rechter Lausbub sei der Moroder Hansjörg gewesen, erzählen manche, und bis heute hält sich das Gerücht, er sei der Neffe vom Trenker Luis. Doch dann war er weit fort gegangen, nach München. Und dort hatte er sich Giorgio genannt.
Das Gros dessen, was Giorgio Moroder ab 1970 für die Plattenfirma Ariola produziert, lässt sich so entschuldigen: Er war jung und brauchte das Geld. Ob Michael Holm, Ricky Shayne oder Uschi Glas: Seine Songs bewegen sich zwischen Bubblegum, Buffta und Schlager-Schwerverbrechen, doch schon damals ist Moroder auf der Suche nach dem Wesentlichen. Für manche Lieder reicht ihm schon eine griffige Phrase, und wenn er sie gefunden hat, pflegt er dies stets mit denselben drei Worten zu kommentieren: "Des isch gut".
Genau das sagt er auch, als ihm die 26-jährige Backgroundsängerin Donna Summer eine nicht mal halb fertige Melodie und einen Songtitel vorschlägt: "Love to Love You Baby".
Aus Summers Worten macht Moroder eine Hommage an Serge Gainsbourgs Skandal-Hit "Je t’aime", inszeniert als üppig orchestrierter Disco-Funk-Groove. Der Song verkauft sich eher mäßig, bis Moroder nachts um vier einen Anruf aus Los Angeles erhält: Der Plattenmogul Neil Bogart fragt an, ob er nicht eine längere Version des Stückes produzieren könne.

22 Orgasmen in 17 Minuten

Moroder kann. Die 17 Minuten lange Stöhn-Symphonie, die kurz darauf herauskommt, wird der Disco-Smash-Hit des Winters 1975/76. Die BBC setzt den Song postwendend auf die schwarze Liste, und das "Time Magazine" zählt verzückt die Orgasmen, die auf der Maxi-Single zu hören sind – unglaubliche 22 sollen es insgesamt sein.
Moroder legt auf geradezu revolutionäre Weise nach – im Sommer 1977, mit einem Song, über den niemand Geringerer als der Avantgardist Brian Eno völlig perplex sagen wird: "Das ist die Zukunft, das und nichts anderes." Das Stück, wenige Wochen zuvor im Untergeschoss des Münchner Arabella-Hochhauses entstanden, heißt "I Feel Love" – eine Art mechanisierter, auf seinen kinetischen Kern reduzierter Soul, der zwischen hypnotischer Sterilität und kaltem Fieber eine nie dagewesene erotische Spannungsfläche zwischen Mensch und Maschine schafft.
Giorgio Moroder sitzt an einem Pool und spielt auf einem Keyboard. 
Giorgio Moroder konnte überall "grooven" - auch am Pool.© Getty Images/ Michael Ochs Archives
Der erste rein synthetische Disco-Song trieb die Leute weltweit auf die Tanzflächen – und zu noch mehr: "Kaum hatte ich ‚I Feel Love’ aufgelegt, vögelten sie auch schon auf den Gängen", sollte sich der legendäre DJ Ron Hardy später erinnern.

Das Wort "Nostalgie" neu definiert

2013 hat sich das französische Neo-Disco-Duo Daft Punk mit dem Stück "Giorgio by Moroder" tief vor dem Südtiroler Visionär verneigt – dem Mann, der mit "I Feel Love" den Dancefloor für das nächste Jahrtausend vorheizte und ohne den weder New Wave noch House, weder Techno noch Electro denkbar wären.
Moroders größter Trick aber offenbart sich erst heute, ein Trick, der es praktisch unmöglich macht, "I Feel Love" aus einem rückwärtsgewandten Blickwinkel zu sehen. Warum? Weil Giorgio Moroder 1977 das Wörtchen Nostalgie neu definiert hat – als Sehnsucht nach einem Zeitalter, das erst noch kommen wird.
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