Gilles de Rais

Hinrichtung eines Serienmörders

Illustration von Gilles de Rais, der ein Opfer verschwinden lässt.
Gilles de Rais lässt ein Opfer verschwinden. © Imago/Leemage
Von Winfried Dolderer · 26.10.2015
Er war ein Kriegsherr mit mörderischen Trieben, der sich an schwarzer Magie versuchte. Der bretonische Edelmann Gilles de Rais entführte mindestens 140 Kinder, um sie sexuell zu missbrauchen und auf grausame Art umzubringen. Heute vor 575 Jahren endete er am Galgen.
Am Morgen des 26. Oktober 1440 bewegte sich eine Prozession durch die bretonische Hauptstadt Nantes. Fromme Bürger und Kleriker zogen betend und singend von Kirche zu Kirche, um den Himmel um Gnade für die Seelen dreier armer Sünder anzuflehen, auf die an diesem Tag Galgen und Scheiterhaufen warteten. Unter ihnen war einer der Prominenten der damaligen Zeit: Gilles de Rais, Marschall von Frankreich, Held des Hundertjährigen Krieges, Doyen des bretonischen Adels – und Serienmörder. Die Feststellungen des Gerichts, das ihn an Vortag zum Tode verurteilt hatte, lesen sich wie eine Horrorgeschichte.
"Er hat in abscheulicher Weise mehrere unschuldige junge Knaben erwürgt, getötet und massakriert. Er hat sich an diesen Kindern auf widernatürliche Art vergangen und das Laster der Sodomie betrieben. Er hat sich schrecklicher Teufelsbeschwörungen schuldig gemacht und den Dämonen geopfert."
Acht Jahre lang, von 1432 bis 1440, konnte der im Nordwesten des heutigen Frankreich begüterte Baron de Rais unbehelligt seinen mörderischen Trieben frönen. Er ließ Kinder und Halbwüchsige auf seine Schlösser verschleppen, folterte und vergewaltigte sie, weidete sich an ihren Todesqualen und am fließenden Blut, stellte ihre abgeschnittenen Köpfe zur Schau. Für den Bielefelder Historiker und Experten für mittelalterliches Strafrecht Peter Schuster ein in der damaligen Zeit beispielloser Fall:
"Es gibt derartige Taten, also sodomitische Übergriffe gegen Kinder oder auch brutale Morde an Kindern, aber nicht in dieser Häufigkeit und in diesem Umfang, wie er Gilles de Rais nachgesagt wird."
Bei seiner Hinrichtung war er 35 Jahre alt und hatte fast die Hälfte seines Lebens im Krieg verbracht. Das frühe 15. Jahrhundert war für Frankreich eine wüste Zeit. Die Gebiete nördlich der Loire einschließlich der Hauptstadt Paris waren von den Engländern besetzt, deren König die französische Krone beanspruchte. Söldnerbanden zogen plündernd, brandschatzend und mordend durchs Land. Hungernde Kriegsflüchtlinge rotteten sich zusammen und machten die Straßen unsicher. Wer sich in solchen Zeiten an Kindern vergehen wollte, hatte leichtes Spiel:
"Es gibt eine unglaubliche Menge an Kindern, die unbeaufsichtigt sind und die auf der Straße leben, zum Teil auch Kinder, die eigentlich ein Elternteil haben, aber mehr oder minder verwahrlosen. Insofern ist es, glaube ich, kein großes Problem im 15. Jahrhundert an unbeaufsichtigte Kinder zu geraten, die man nicht sofort vermisst."
Der Baron de Rais war selber einer der Kriegsherren, die auf eigene Kosten Truppen aufstellten und ins Feld führten. In der Schlacht um Orléans, die im Mai 1429 die Wende zugunsten des französischen Königs Karl VII. brachte, focht er an der Seite der späteren Nationalheiligen Jeanne d'Arc. Doch der Krieg zerrüttete auf die Dauer seine Finanzen. So verzweifelt wie erfolglos experimentierte er mit der Herstellung von Gold, umgab sich mit Zauberern und Scharlatanen, versuchte sich an schwarzer Magie, um die Hilfe des Teufels zu gewinnen. Haben die Kindermorde damit zu tun? Der Glaube an die Zauberkraft von Körperteilen kleiner, auch ungeborener Kinder, war immerhin weit verbreitet:
"Es gibt mehrere Fälle, die nachgewiesen sind, dass deshalb schwangere Frauen ermordet worden sind. Ihnen wurden die Föten entnommen und denen dann die Finger abgeschnitten und getrocknet."
Verschwundene Kinder waren ein offenes Geheimnis
Gilles de Rais hielt sich allerdings lieber an Halbwüchsige wie den 14-jährigen Jean, den er in sein Stadtpalais in Nantes lockte. Den Prozessakten zufolge kam der Junge mit einem Brot nach Hause:
"Er gab es seiner Mutter und sagte ihr, dass er in hoher Gunst bei besagtem Herrn stehe, der ihn Weißwein habe trinken lassen. Er kehrte auch alsbald in dieses Haus zurück und wurde von seinen Eltern nie wiedergesehen."
Dass in den Burgen des Barons Kinder spurlos verschwanden, war in der Gegend jahrelang ein offenes Geheimnis. Doch erst als de Rais 1440 einen hohen Geistlichen bei der Pfingstmesse überfiel, setzte sich die Justiz in Bewegung. Bei Haussuchungen wurden Kinderskelette und menschliche Asche gefunden. Der Tod durch den Strang war die schlimmste, weil für einen Mann seines Standes schändlichste Strafe:
"Dass Gilles de Rais gehängt worden ist als Adliger, muss man schon als eine sehr spektakuläre Maßnahme begreifen. Mir fällt im Moment sogar gar kein Fall ein, dass ein Adliger an den Galgen gebracht worden ist."
Erst romantische Autoren des 19. Jahrhunderts bescherten dem düsteren Herrn de Rais so etwas wie ein Nachleben. Und eine neue Identität als Urbild eines im Gegensatz zu ihm freilich nur legendären Bösewichts, des Frauen mordenden Ritters Blaubart.