Gilda Sahebi: "Verbinden statt spalten"

Mehr differenzieren, besser zuhören, weniger bewerten

06:53 Minuten
Cover des Buchs "Verbinden statt spalten" von Gilda Sahebi
© S. Fischer

Gilda Sahebi

Verbinden statt spalten. Eine Antwort auf die Politik der PolarisierungS. Fischer, Frankfurt am Main 2025

256 Seiten

22,00 Euro

Von Luise Sammann |
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Die scheinbar allgegenwärtige Polarisierung der deutschen Gesellschaft ist nur ein Konstrukt, meint Gilda Sahebi. Aber die Spaltungszerzählungen gefährdeten die Demokratie. Doch es gibt Hoffnung - jeder Einzelne kann etwas dagegen tun.
Die sogenannte Stadtbilddebatte könnte man als Paradebeispiel für die fortschreitende Polarisierung in Deutschland verstehen. Die Art, wie Bundeskanzler Merz seine Eindrücke von Problemen im Stadtbild mit dem Plan für mehr Abschiebungen verband, löste umgehend Diskussionen aus.

Rassisten und Gutmenschen

Auf der einen Seite, so hieß es in manch zugespitztem Kommentar, standen dabei lauter Rassisten. Auf der anderen Seite naive Gutmenschen, die die Augen vor Problemen verschließen. Am Ende also ein weiterer Beweis dafür, wie gespalten die deutsche Gesellschaft inzwischen ist. Oder vielleicht doch nicht? Gilda Sahebi jedenfalls dürfte genau hier widersprechen. In ihrem aktuellen Buch stellt die Autorin und Journalistin klar:
„Nur die wenigsten Menschen sind stark affektiv polarisiert, gleich um welches politische und gesellschaftliche Thema es geht. Nur sind es genau die am stärksten affektiv polarisierten Personen oder Institutionen, die praktisch alle Debatten prägen. (…) Beim Thema Polizeigewalt zum Beispiel sieht man auf der einen Seite die Leute, die ACAB rufen („All Cops are Bastards“), oder die Leute, die der Polizei einen Heiligenschein aufsetzen. Dabei sind die meisten Menschen wohl irgendwo dazwischen. (…) Sie glauben nur, dass die anderen polarisiert sind – und so entsteht die verzerrte Wahrnehmung einer Gesellschaft, die in Lager aufgespalten sei.“
Solche Aussagen belegt die Politikwissenschaftlerin Sahebi in ihrem flüssig geschriebenen, mit unzähligen Beispielen ausgestalteten Buch durch Studien. Deren Ergebnis: Die scheinbar allgegenwärtige Polarisierung der deutschen Gesellschaft ist ein Konstrukt. Erschaffen und instrumentalisiert von jenen, die durch die ständigen Spaltungserzählungen besonders profitieren – zum Beispiel Politiker. Und durch jene, die dieses Spiel nicht durchschauen oder durchschauen wollen, obwohl genau das ihre Aufgabe wäre – zum Beispiel Medienschaffende.

Polarisierung erzeugt Emotionen

Allen Beteiligten gehe es dabei vor allem um Macht: „Durch Polarisierung werden Emotionen erzeugt – und: Emotions sell. Gefühle sind Verkaufsschlager. Die BILD-Zeitung ist nicht deswegen eine der meistverkauften Zeitungen im deutschsprachigen Raum, weil sie qualitativ hochwertigen Journalismus betreibt, sondern weil sie polarisiert. Donald Trump ist nicht zur Macht aufgestiegen, weil er überzeugende Inhalte anbietet, sondern weil er polarisiert. Gleiches gilt für die AfD.“
Mit ihrem Buch lädt Sahebi ein, die Mechanismen hinter dem - wie sie es nennt - „Polarisierungsgeschäft“ zu verstehen und damit Debatten wie etwa die zum Thema Stadtbild in Zukunft anders wahrnehmen und im besten Fall dechiffrieren zu können. Dafür analysiert sie, wie Spaltungserzählungen entstehen, wie sie genutzt und verstärkt werden.

Das gleiche Muster, von rechts und links

Ein großer, für manchen Geschmack vielleicht zu großer Teil der zahlreichen Beispiele in ihrem Buch kommt aus dem US-amerikanischen Raum. Doch egal, ob es nun um sogenannte Culture Wars in Deutschland oder Amerika geht, um Migrationsdebatten oder die „Faul-Fleißig-Erzählung“, die Corona-Pandemie oder den Israel-Palästina-Konflikt: Letztlich zeigt sich ein immer gleiches Muster, das übrigens, wie die Autorin betont, von linken genauso wie von rechten Akteuren bespielt wird.
Denen, die es geschickt anwenden, bringt es Macht. Man denke nur an den US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Für die große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in noch-demokratischen Gesellschaften aber birgt es vor allem große Gefahren. Denn als eine Art Nebenwirkung tragen die immer schärfer geführten Debatten zur Zerstörung demokratischer Strukturen bei. In den zahlreichen Debattenbeispielen, die Sahebi anführt, geht es längst nicht mehr um das bessere Argument. Es geht um die Abwertung oder die vollständige Zerstörung des Gegenübers. Und das hat Folgen:
„In den Parlamenten – in Deutschland und in vielen anderen Demokratien – sitzen Parteien wie die AfD, die offen den autoritären Umbau des Staates verfolgen. Logischerweise erhalten diese Parteien mehr Zulauf, wenn es an Vertrauen in den Staat mangelt – diese Parteien fachen diesen Vertrauensverlust derweil durch kräftige Polarisierung mit an.“
Die gute Nachricht: Es geht auch anders. „Was tun“: So überschreibt Sahebi den letzten – leider eher kurz geratenen – Abschnitt ihres Buches. Und liefert Antworten, die vor allem auf individueller Ebene ansetzen: Mehr differenzieren, besser zuhören und weniger bewerten empfiehlt sie jenen, die aus dem Spiel mit der Polarisierung aussteigen wollen.

Überfordert und überwältigt

Das mag nicht nach dem gesuchten Rezept für den großen politischen und gesellschaftlichen Umbruch klingen - scheint aber in einer Zeit, in der immer mehr Menschen sich überfordert und überwältigt fühlen und ins Private zurückziehen, zumindest ein realistischer Anfang. Ein naiver Ansatz von Friede-Freude-Eierkuchen ist es dabei übrigens ausdrücklich nicht:
„Streit und Auseinandersetzung ist für eine Demokratie existenziell. Es geht nicht darum, dieselbe Meinung zu haben – es wäre furchtbar und kontraproduktiv, wenn alle gleich denken würden. Sondern andere Menschen nicht zum Feind zu erklären. Man verliert sich nicht in Gut-Böse-Erzählungen. Man bleibt bei der Sache. Eyes on the prize würde man im Englischen sagen: die Augen auf das Ziel gerichtet halten.“
Ein Ansatz, den man sich nicht nur in der sogenannten Stadtbilddebatte an vielen Stellen gewünscht hätte.
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