Giftiger „Meeressalat“
An der Nordküste der Bretagne leisten Algensammler eine Sisyphusarbeit: Mit jeder Flut werden viele Tonnen der gefährlichen Pflanzen an die Strände gespült. Schuld ist die intensive Landwirtschaft, doch die Agrarindustrie zeigt keine Einsicht.
Die kleine Bucht von Hillion in der Bretagne ist grün. Giftgrün vor Algen – sie liegen wie ein dichter Teppich auf dem Strand. Mit Mistgabeln stechen Thomas und Jean in die leicht stinkenden Algenberge und häufen sie auf eine Treckerschaufel. Die beiden Männer in leuchtenden Warnwesten sind extra zum Algensammeln in der Bucht von St. Brieuc angestellt – eine Sisyphus-Arbeit:
„Man muss die Algen so frisch wie möglich einsammeln. Dann kann man sie noch einfach anheben. Für dieses Strandstück brauchen wir zu viert ungefähr drei Stunden. Aber dann kommen neue Algen – das hier ist nur die Ladung einer Flut!“
In Gummistiefeln steht die Bürgermeisterin von Hillion, Yvette Doré, neben den Arbeitern. Alle tragen kleine mobile Gift-Warngeräte. Die resolute Mittfünfzigerin ist die Algen-Beauftragte der Region an der Nordküste der Bretagne. Allein an den Stränden ihres Örtchens Hillion wurden im vergangenen Jahr 20 Millionen Tonnen Algen eingesammelt, 60 Millionen im gesamten Departement. Eine wahre Pest, sagt Yvette Doré und stemmt angriffslustig die Fäuste in die Seite:
„Das Problem ist jetzt, dass unsere Algen-Sammelstelle voll ist. Deshalb müssen die Laster mit ihrer Fracht bis zu einer Anlage an die Loire fahren. Das ist weit und macht alles noch teurer. Aber wir können die Algen hier nicht liegen lassen, sie müssen weg!“
Frisch sind die grünen Algen in der Bretagne völlig ungefährlich. Aber sobald sie zu verwesen beginnen, geben die Pflanzen giftige Faulgase ab. Hochkonzentrierten Schwefelwasserstoff, der die Atemwege angreift. Im vergangenen Jahr ist daran ein Pferd gestorben, in einer Bucht nicht weit entfernt. Anwohner klagen über Schwindel und Juckreiz. Seitdem herrscht Alarmstufe rot in den betroffenen Kommunen. Endlich, nach über 40 Jahren, nehmen sie das Problem ernst, sagt André Ollivro mit bitterem Lachen. Der Umweltschützer deutet auf ein großes grünes Warnschild – solche stehen jetzt an über hundert Stränden in der Bretagne:
„Diese Schilder warnen vor Algen, die sich zersetzen. Dann darf man sie nicht berühren und muss vor allem auf die Kinder gut aufpassen. Ich kämpfe seit zehn Jahren gegen die Algen und habe geweint vor Freude, als ich das Schild gesehen habe.“
Frankreichs Regierung hat im Frühjahr einen Anti-Algen-Plan beschlossen. Der besagt: erstens, das gefährliche Grünzeug vom Strand kehren. Zweitens, das Übel an der Wurzel packen, sprich: Umsteuern in der Landwirtschaft. Aber das ist einfacher gesagt als getan. Die riesigen Schweinefarmen und Kuhherden in der Bretagne sind schuld an der grünen Plage. Die Nitrate in der Gülle, die die Bauern auf ihren Feldern verteilen. Stickstoffe im Dünger. Der Regen spült all das in die Flüsse, die münden ins Meer und dort wuchern die Algen. Die Bretagne ist Frankreichs Agrarregion Nummer eins – mit hunderttausenden Arbeitsplätzen und viel zu vielen Tieren, sagt Umweltschützer Ollivro:
„Wir müssen die Schweinezucht herunterfahren. Aber die Regierung erlaubt künftig sogar mehr Tiere pro Hof. Das ist völlig widersprüchlich: Einerseits sammeln sie mit viel Geld die Algen ein, gleichzeitig fördern sie ihre Verursacher, die riesigen Tierfabriken.“
Ollivro blättert in alten Postkarten von den Stränden rund um St. Brieuc. Weißer Sand ist da zu sehen. Kinder, die Burgen bauen, Familien, die ihre Picknickkörbe auspacken. So ein Foto hat Ollivro auf sein Transparent für die letzte Demonstration gegen die Algenpest geklebt. Und gleich darunter eines aus dem vergangenen Jahr – mit grünen Algen und weiß verkrustet faulenden, so weit das Auge blickt, ein verwaister, menschenleerer Strand.
„Das war ein Algenteppich, 30 bis 40 Zentimeter dick. Nichts wurde eingesammelt, weil es kein Geld gab, weil sich die Regierung taub stellte. Da wurde erstmal abgewartet.“
Das Abwarten ist jetzt vorbei – aber wie viel bringt die Erste Hilfe gegen die Algen? 134 Millionen Euro will die französische Regierung in den kommenden fünf Jahren gegen die Algenplage in der Bretagne ausgeben. Damit werden mehrere Deponien aufwändig aufgerüstet, damit die Algen dort trocknen, ohne zu faulen und giftige Gase zu entwickeln. Zum Beispiel in Launay-Lantic im Hinterland der Bucht von St. Brieuc.
Große Laster quälen sich dort einen kleinen Feldweg zur Deponie entlang. Sie haben Algen geladen – giftgrüne Berge. Auf dem Gelände der Müllanlage werden die Algen zuerst mit Rinde und gehäckselten Ästen vermischt, um luftiger zu werden. Danach geht’s ab in einen der neuen großen Algen-Spezial-Container, erklärt Chef Mark Briand:
„Hier hinter uns sehen Sie Algen aus dem Buchten von Hillion und St. Michel-en-Grève, die gerade getrocknet werden. Wir pusten dazu von unten Luft durch die Algen, durch diese vielen Löcher im Boden. Oben wird die Luft dann wieder aufgefangen und durch einen Biofilter geleitet, damit sie ungefährlich für die Bevölkerung nach draußen abgegeben werden kann.“
Drei riesige Behälter sind schon fertig – und längst randvoll mit Algen. Jeder Einzelne fasst etwa 500 Tonnen. Acht weitere sind noch im Bau – die Algenaufbereiter kommen nicht nach. Mark Briand fasst vorsichtig in einen der dampfenden Berge hinein – im Algenhaufen ist es warm geworden, die Algen zersetzen sich, aber dank der ständigen Luftzufuhr ohne giftige Gase zu entwickeln.
„Es gibt nur ein Risiko, wenn die Algen faulen. Wenn sie in großen Mengen am Strand liegen bleiben und sich oben drauf eine harte, trockene Kruste bildet. Dann faulen sie darunter, weil sie keine Luft bekommen, und es gibt Gase, die gefährlich sind für die Umwelt und die Spaziergänger.“
Doppelt tückisch dabei: Der Schwefelwasserstoff aus den Algen kann die Geruchsrezeptoren betäuben. Dadurch merkt man kaum, wenn sich die Konzentration erhöht. Bis jetzt gab es keine einzige Anlage zur Algen-Aufbereitung in der Nordbretagne. Der Meeressalat, wie ihn die Bretonen nennen, vergammelte stattdessen in Sammelstellen unter freiem Himmel – und unter dem heftigem Protest der Anwohner. Die Aufbereitung jetzt kostet rund 30 Euro pro Tonne Algen. Ein teurer Spaß, aber das muss sein, sagt Briand:
„Wir haben keine Wahl – nach dem, was letztes Jahr passiert ist! Es war höchste Zeit zu handeln – die Algen viel weiträumiger einzusammeln, aber auch was die Prävention angeht. Wir dürfen uns da nicht weiter was vormachen!“
Neben dem Sammeln und Aufbereiten der Algen will die Regierung Feuchtgebiete besser schützen, als Pufferzonen. Und die Bauern sollen Vorschläge machen, wie die Landwirtschaft umweltverträglicher werden kann. Die Mentalitäten ändern sich, glaubt Bauernverbandschef Olivier Allain:
„Wir Bauern arbeiten an einer Selbstverpflichtung. Die soll dazu führen, dass weniger Nitrat und Stickstoff in die Flüsse gelangen, ein Drittel weniger. Das ist eine große Herausforderung. Ehrlich gesagt, überfordert uns dieses Problem ein wenig.“
Allain zuckt fast hilflos mit den Achseln. Auf seinem Schreibtisch im schmucklosen Büro in St. Brieuc stehen Porzellan-Kälber. Allain hat selbst gut 400 Kühe – ein Großunternehmer, so typisch für die Bretagne. Hier, wo Frankreich noch das ist, was es früher fast überall war: ein Agrarland durch und durch. Große Felder, Kühe, Schweine und Hühner zusammengepfercht in riesigen Ställen. Viele Landwirte setzen massiv Dünger ein, Stickstoffe, Pestizide. Hofeigene Kläranlagen oder Biogasanlagen gibt es kaum. Bio-Bauern sind selten – nur rund zwei Prozent der Landwirte in der Bretagne haben sich den strengen Bio-Kriterien unterworfen.
Wie Yann Yobé. Auf seinem Hof eine halbe Stunde von St. Brieuc entfernt geht es ruhiger zu. Der Mann mit der runden Nickelbrille hat nur 40 Kühe. Die kann er ausschließlich mit eigenen Erträgen vom Hof ernähren. Seine Bio-Milch kann er dann deutlich teurer als konventionelle Milch verkaufen – „wir kommen über die Runden „, sagt der 44-Jährige. Er bekommt immer mehr Anfragen von Landwirtskollegen, die sich für „Bio“ interessieren. Obwohl der Staat nichts tue, um verträgliche Landwirtschaft zu unterstützen kritisiert Yobé – im Gegenteil:
„Wir mussten zum Beispiel erleben, dass die öffentlichen Gelder zur Entwicklung von Bio-Landwirtschaft in Frankreich seit dem neuen Umweltgesetz um 80 Prozent runtergefahren wurden. Während alle also lauthals verkündeten, wir müssen Bio-Bauern fördern, geht die Hilfe zurück. Das ist die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln!“
Und den Aktionismus jetzt um das Algenproblem, der neue Anti-Algen-Plan der Regierung? Den hält Bio-Landwirt Yobé für reine Augenwischerei:
„Alle wissen doch, dass die Ziele nicht zu erreichen sind. Die Nitratkonzentrationen in den Gewässern um ein Drittel zu senken bis 2015. Das ginge nicht mal, wenn wir die Landwirtschaft komplett verbieten würden! Und wer hat damals die riesigen Schweinefarmen erlaubt, sogar jenseits der Gesetze? Der Staat! Der ist verantwortlich für die Situation. Und sagt jetzt: Schaut, dass Ihr selbst Lösungen findet. Der Staat nimmt seine Verantwortung nicht wahr!“
Dazu kommt die Krise – ob die französischen Bauern bei allen Problemen derzeit den Kopf frei haben für Revolutionen in ihrem Metier? Olivier Allain, der Chef des Bauern-Verbandes, ist skeptisch:
„Wenn ein Bauer nicht weiß, ob er morgen überhaupt noch Landwirt sein kann – ihm dann noch mehr abzuverlangen, ist nicht gerade einfach. Aber das, was wir wollen, kostet ihn ja gar nicht mehr – im Gegenteil. Es geht darum, eine nachhaltigere Ackerbaukunde anzustoßen. So dass er mit weniger Dünung den gleichen Ertrag erwirtschaftet. Dass er keine Einbußen erleidet.“
Genau die richtige Idee, sagt Bio-Bauer Yobé – aber es werde doch nur wieder bei der Theorie bleiben. Denn in der Praxis gebe es noch ganz andere Interessen.
„Denn hinter den einzelnen Bauern steht doch die Agrarindustrie. Und wenn man die Produktion herunterschraubt, gibt es auch weniger Arbeit in der Verarbeitung. Jobs würden gestrichen – klar gibt es da Druck von der Landwirtschaftsindustrie. Starken Druck!“
Derweil startet die Bretagne in ihre Touristen-Hochsaison. Gerade aus Deutschland kommen viele Besucher. Lange haben die betroffenen Küstenorte nicht über das Algenproblem gesprochen, um die Gäste nicht zu verschrecken. Das war die falsche Strategie, gibt Bürgermeisterin Yvette Doré aus Hillion selbstkritisch zu:
„Wir haben uns nun entschieden, das Problem offenzulegen und anzugehen. Das hat sicher dem Tourismus hier geschadet. Jetzt geht es darum, glaubhaft zu zeigen, dass wir unser Bestes geben, um die Algenplage in den Griff zu bekommen. Damit es wieder ein Leben an den Stränden gibt. Wir müssen durch ein tiefes Tal durch, um am Ende Erfolg zu haben!“
Dazu muss die energische Bürgermeisterin auch gegen Vorbehalte in der eigenen Gemeinde ankämpfen:
„Das ist eine sehr delikate Angelegenheit. Die Landwirte haben Anstrengungen unternommen und Vorschläge gemacht. Aber sie müssen auch ausreichend Unterstützung dafür bekommen. Das muss dem Staat klar sein. Und was der Regierungsplan als finanziellen Ausgleich vorsieht, ist völlig ungenügend. Das ist das große Problem.“
Yvette Doré ist deswegen immer wieder in St. Brieuc in der Präfektur, um Druck zu machen. Dort sitzt Philippe de Gestas-Lespéroux in einem Büro mit Aussicht auf die Kathedrale und des Rathauses. Der Generalsekretär der Präfektur sorgt dafür, dass vom Geld der Regierung etwas ankommt vor Ort, in den von der Algenplage betroffenen Kommunen. „Wenn das Geld nicht reicht, können wir aufstocken“, gibt sich Gestas kompromissbereit:
„Wenn wir mehr ausgeben müssen, dann ziehen wir erst eine Bilanz und wenden uns dann erneut an die Regierung. Aber wir wissen jetzt noch nicht, wie viele Algen es in diesem Jahr geben wird. Jetzt schon sieht der Plan doppelt so viel Gel für die Algenbeseitigung vor wie vergangenes Jahr.“
Bisher haben sie sogar Glück in Hillion. Noch liegen weit weniger Algen am Strand als im Jahr zuvor. In anderen Gegenden ist es hingegen schlimmer geworden. „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagt Umweltschützer André Ollivro, und schaut aus seiner Hütte an der Steilküste von St. Brieuc aufs Meer:
„Wir brauchen einen viel mutigeren Plan gegen die Algenpest als bisher. Aber der erste Schritt ist getan, das ich das Wichtigste. Jetzt müssen wir Druck machen, Verbände, Bürger, Abgeordnete, und aufs Gaspedal treten, damit der Umschwung tatsächlich in Gang kommt!“
„Man muss die Algen so frisch wie möglich einsammeln. Dann kann man sie noch einfach anheben. Für dieses Strandstück brauchen wir zu viert ungefähr drei Stunden. Aber dann kommen neue Algen – das hier ist nur die Ladung einer Flut!“
In Gummistiefeln steht die Bürgermeisterin von Hillion, Yvette Doré, neben den Arbeitern. Alle tragen kleine mobile Gift-Warngeräte. Die resolute Mittfünfzigerin ist die Algen-Beauftragte der Region an der Nordküste der Bretagne. Allein an den Stränden ihres Örtchens Hillion wurden im vergangenen Jahr 20 Millionen Tonnen Algen eingesammelt, 60 Millionen im gesamten Departement. Eine wahre Pest, sagt Yvette Doré und stemmt angriffslustig die Fäuste in die Seite:
„Das Problem ist jetzt, dass unsere Algen-Sammelstelle voll ist. Deshalb müssen die Laster mit ihrer Fracht bis zu einer Anlage an die Loire fahren. Das ist weit und macht alles noch teurer. Aber wir können die Algen hier nicht liegen lassen, sie müssen weg!“
Frisch sind die grünen Algen in der Bretagne völlig ungefährlich. Aber sobald sie zu verwesen beginnen, geben die Pflanzen giftige Faulgase ab. Hochkonzentrierten Schwefelwasserstoff, der die Atemwege angreift. Im vergangenen Jahr ist daran ein Pferd gestorben, in einer Bucht nicht weit entfernt. Anwohner klagen über Schwindel und Juckreiz. Seitdem herrscht Alarmstufe rot in den betroffenen Kommunen. Endlich, nach über 40 Jahren, nehmen sie das Problem ernst, sagt André Ollivro mit bitterem Lachen. Der Umweltschützer deutet auf ein großes grünes Warnschild – solche stehen jetzt an über hundert Stränden in der Bretagne:
„Diese Schilder warnen vor Algen, die sich zersetzen. Dann darf man sie nicht berühren und muss vor allem auf die Kinder gut aufpassen. Ich kämpfe seit zehn Jahren gegen die Algen und habe geweint vor Freude, als ich das Schild gesehen habe.“
Frankreichs Regierung hat im Frühjahr einen Anti-Algen-Plan beschlossen. Der besagt: erstens, das gefährliche Grünzeug vom Strand kehren. Zweitens, das Übel an der Wurzel packen, sprich: Umsteuern in der Landwirtschaft. Aber das ist einfacher gesagt als getan. Die riesigen Schweinefarmen und Kuhherden in der Bretagne sind schuld an der grünen Plage. Die Nitrate in der Gülle, die die Bauern auf ihren Feldern verteilen. Stickstoffe im Dünger. Der Regen spült all das in die Flüsse, die münden ins Meer und dort wuchern die Algen. Die Bretagne ist Frankreichs Agrarregion Nummer eins – mit hunderttausenden Arbeitsplätzen und viel zu vielen Tieren, sagt Umweltschützer Ollivro:
„Wir müssen die Schweinezucht herunterfahren. Aber die Regierung erlaubt künftig sogar mehr Tiere pro Hof. Das ist völlig widersprüchlich: Einerseits sammeln sie mit viel Geld die Algen ein, gleichzeitig fördern sie ihre Verursacher, die riesigen Tierfabriken.“
Ollivro blättert in alten Postkarten von den Stränden rund um St. Brieuc. Weißer Sand ist da zu sehen. Kinder, die Burgen bauen, Familien, die ihre Picknickkörbe auspacken. So ein Foto hat Ollivro auf sein Transparent für die letzte Demonstration gegen die Algenpest geklebt. Und gleich darunter eines aus dem vergangenen Jahr – mit grünen Algen und weiß verkrustet faulenden, so weit das Auge blickt, ein verwaister, menschenleerer Strand.
„Das war ein Algenteppich, 30 bis 40 Zentimeter dick. Nichts wurde eingesammelt, weil es kein Geld gab, weil sich die Regierung taub stellte. Da wurde erstmal abgewartet.“
Das Abwarten ist jetzt vorbei – aber wie viel bringt die Erste Hilfe gegen die Algen? 134 Millionen Euro will die französische Regierung in den kommenden fünf Jahren gegen die Algenplage in der Bretagne ausgeben. Damit werden mehrere Deponien aufwändig aufgerüstet, damit die Algen dort trocknen, ohne zu faulen und giftige Gase zu entwickeln. Zum Beispiel in Launay-Lantic im Hinterland der Bucht von St. Brieuc.
Große Laster quälen sich dort einen kleinen Feldweg zur Deponie entlang. Sie haben Algen geladen – giftgrüne Berge. Auf dem Gelände der Müllanlage werden die Algen zuerst mit Rinde und gehäckselten Ästen vermischt, um luftiger zu werden. Danach geht’s ab in einen der neuen großen Algen-Spezial-Container, erklärt Chef Mark Briand:
„Hier hinter uns sehen Sie Algen aus dem Buchten von Hillion und St. Michel-en-Grève, die gerade getrocknet werden. Wir pusten dazu von unten Luft durch die Algen, durch diese vielen Löcher im Boden. Oben wird die Luft dann wieder aufgefangen und durch einen Biofilter geleitet, damit sie ungefährlich für die Bevölkerung nach draußen abgegeben werden kann.“
Drei riesige Behälter sind schon fertig – und längst randvoll mit Algen. Jeder Einzelne fasst etwa 500 Tonnen. Acht weitere sind noch im Bau – die Algenaufbereiter kommen nicht nach. Mark Briand fasst vorsichtig in einen der dampfenden Berge hinein – im Algenhaufen ist es warm geworden, die Algen zersetzen sich, aber dank der ständigen Luftzufuhr ohne giftige Gase zu entwickeln.
„Es gibt nur ein Risiko, wenn die Algen faulen. Wenn sie in großen Mengen am Strand liegen bleiben und sich oben drauf eine harte, trockene Kruste bildet. Dann faulen sie darunter, weil sie keine Luft bekommen, und es gibt Gase, die gefährlich sind für die Umwelt und die Spaziergänger.“
Doppelt tückisch dabei: Der Schwefelwasserstoff aus den Algen kann die Geruchsrezeptoren betäuben. Dadurch merkt man kaum, wenn sich die Konzentration erhöht. Bis jetzt gab es keine einzige Anlage zur Algen-Aufbereitung in der Nordbretagne. Der Meeressalat, wie ihn die Bretonen nennen, vergammelte stattdessen in Sammelstellen unter freiem Himmel – und unter dem heftigem Protest der Anwohner. Die Aufbereitung jetzt kostet rund 30 Euro pro Tonne Algen. Ein teurer Spaß, aber das muss sein, sagt Briand:
„Wir haben keine Wahl – nach dem, was letztes Jahr passiert ist! Es war höchste Zeit zu handeln – die Algen viel weiträumiger einzusammeln, aber auch was die Prävention angeht. Wir dürfen uns da nicht weiter was vormachen!“
Neben dem Sammeln und Aufbereiten der Algen will die Regierung Feuchtgebiete besser schützen, als Pufferzonen. Und die Bauern sollen Vorschläge machen, wie die Landwirtschaft umweltverträglicher werden kann. Die Mentalitäten ändern sich, glaubt Bauernverbandschef Olivier Allain:
„Wir Bauern arbeiten an einer Selbstverpflichtung. Die soll dazu führen, dass weniger Nitrat und Stickstoff in die Flüsse gelangen, ein Drittel weniger. Das ist eine große Herausforderung. Ehrlich gesagt, überfordert uns dieses Problem ein wenig.“
Allain zuckt fast hilflos mit den Achseln. Auf seinem Schreibtisch im schmucklosen Büro in St. Brieuc stehen Porzellan-Kälber. Allain hat selbst gut 400 Kühe – ein Großunternehmer, so typisch für die Bretagne. Hier, wo Frankreich noch das ist, was es früher fast überall war: ein Agrarland durch und durch. Große Felder, Kühe, Schweine und Hühner zusammengepfercht in riesigen Ställen. Viele Landwirte setzen massiv Dünger ein, Stickstoffe, Pestizide. Hofeigene Kläranlagen oder Biogasanlagen gibt es kaum. Bio-Bauern sind selten – nur rund zwei Prozent der Landwirte in der Bretagne haben sich den strengen Bio-Kriterien unterworfen.
Wie Yann Yobé. Auf seinem Hof eine halbe Stunde von St. Brieuc entfernt geht es ruhiger zu. Der Mann mit der runden Nickelbrille hat nur 40 Kühe. Die kann er ausschließlich mit eigenen Erträgen vom Hof ernähren. Seine Bio-Milch kann er dann deutlich teurer als konventionelle Milch verkaufen – „wir kommen über die Runden „, sagt der 44-Jährige. Er bekommt immer mehr Anfragen von Landwirtskollegen, die sich für „Bio“ interessieren. Obwohl der Staat nichts tue, um verträgliche Landwirtschaft zu unterstützen kritisiert Yobé – im Gegenteil:
„Wir mussten zum Beispiel erleben, dass die öffentlichen Gelder zur Entwicklung von Bio-Landwirtschaft in Frankreich seit dem neuen Umweltgesetz um 80 Prozent runtergefahren wurden. Während alle also lauthals verkündeten, wir müssen Bio-Bauern fördern, geht die Hilfe zurück. Das ist die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln!“
Und den Aktionismus jetzt um das Algenproblem, der neue Anti-Algen-Plan der Regierung? Den hält Bio-Landwirt Yobé für reine Augenwischerei:
„Alle wissen doch, dass die Ziele nicht zu erreichen sind. Die Nitratkonzentrationen in den Gewässern um ein Drittel zu senken bis 2015. Das ginge nicht mal, wenn wir die Landwirtschaft komplett verbieten würden! Und wer hat damals die riesigen Schweinefarmen erlaubt, sogar jenseits der Gesetze? Der Staat! Der ist verantwortlich für die Situation. Und sagt jetzt: Schaut, dass Ihr selbst Lösungen findet. Der Staat nimmt seine Verantwortung nicht wahr!“
Dazu kommt die Krise – ob die französischen Bauern bei allen Problemen derzeit den Kopf frei haben für Revolutionen in ihrem Metier? Olivier Allain, der Chef des Bauern-Verbandes, ist skeptisch:
„Wenn ein Bauer nicht weiß, ob er morgen überhaupt noch Landwirt sein kann – ihm dann noch mehr abzuverlangen, ist nicht gerade einfach. Aber das, was wir wollen, kostet ihn ja gar nicht mehr – im Gegenteil. Es geht darum, eine nachhaltigere Ackerbaukunde anzustoßen. So dass er mit weniger Dünung den gleichen Ertrag erwirtschaftet. Dass er keine Einbußen erleidet.“
Genau die richtige Idee, sagt Bio-Bauer Yobé – aber es werde doch nur wieder bei der Theorie bleiben. Denn in der Praxis gebe es noch ganz andere Interessen.
„Denn hinter den einzelnen Bauern steht doch die Agrarindustrie. Und wenn man die Produktion herunterschraubt, gibt es auch weniger Arbeit in der Verarbeitung. Jobs würden gestrichen – klar gibt es da Druck von der Landwirtschaftsindustrie. Starken Druck!“
Derweil startet die Bretagne in ihre Touristen-Hochsaison. Gerade aus Deutschland kommen viele Besucher. Lange haben die betroffenen Küstenorte nicht über das Algenproblem gesprochen, um die Gäste nicht zu verschrecken. Das war die falsche Strategie, gibt Bürgermeisterin Yvette Doré aus Hillion selbstkritisch zu:
„Wir haben uns nun entschieden, das Problem offenzulegen und anzugehen. Das hat sicher dem Tourismus hier geschadet. Jetzt geht es darum, glaubhaft zu zeigen, dass wir unser Bestes geben, um die Algenplage in den Griff zu bekommen. Damit es wieder ein Leben an den Stränden gibt. Wir müssen durch ein tiefes Tal durch, um am Ende Erfolg zu haben!“
Dazu muss die energische Bürgermeisterin auch gegen Vorbehalte in der eigenen Gemeinde ankämpfen:
„Das ist eine sehr delikate Angelegenheit. Die Landwirte haben Anstrengungen unternommen und Vorschläge gemacht. Aber sie müssen auch ausreichend Unterstützung dafür bekommen. Das muss dem Staat klar sein. Und was der Regierungsplan als finanziellen Ausgleich vorsieht, ist völlig ungenügend. Das ist das große Problem.“
Yvette Doré ist deswegen immer wieder in St. Brieuc in der Präfektur, um Druck zu machen. Dort sitzt Philippe de Gestas-Lespéroux in einem Büro mit Aussicht auf die Kathedrale und des Rathauses. Der Generalsekretär der Präfektur sorgt dafür, dass vom Geld der Regierung etwas ankommt vor Ort, in den von der Algenplage betroffenen Kommunen. „Wenn das Geld nicht reicht, können wir aufstocken“, gibt sich Gestas kompromissbereit:
„Wenn wir mehr ausgeben müssen, dann ziehen wir erst eine Bilanz und wenden uns dann erneut an die Regierung. Aber wir wissen jetzt noch nicht, wie viele Algen es in diesem Jahr geben wird. Jetzt schon sieht der Plan doppelt so viel Gel für die Algenbeseitigung vor wie vergangenes Jahr.“
Bisher haben sie sogar Glück in Hillion. Noch liegen weit weniger Algen am Strand als im Jahr zuvor. In anderen Gegenden ist es hingegen schlimmer geworden. „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagt Umweltschützer André Ollivro, und schaut aus seiner Hütte an der Steilküste von St. Brieuc aufs Meer:
„Wir brauchen einen viel mutigeren Plan gegen die Algenpest als bisher. Aber der erste Schritt ist getan, das ich das Wichtigste. Jetzt müssen wir Druck machen, Verbände, Bürger, Abgeordnete, und aufs Gaspedal treten, damit der Umschwung tatsächlich in Gang kommt!“