Gibt es ein Recht auf selbstbestimmten Tod?

Moderation: Maja Ellmenreich |
Ist es theologisch vertretbar, in den Sterbeprozess einzugreifen? Gibt es ein Recht auf selbstbestimmten Tod? Greift man dann nicht Gott vor? Fragen an den Moraltheologen Josef Schuster.
Ellmenreich: Worin liegt Ihrer Meinung nach der Kern dieser Debatte, weshalb existieren so viele verschiedene Meinungen darüber, ob einem Menschen das Recht auf einen selbstbestimmten Tod zusteht?

Schuster: Ich denke zunächst einmal, dass die Frage, wer hat zu entscheiden und welche Entscheidung ist verantwortlich, dass die beiden Fragen zumindest mal unterschieden werden müssen. Die Debatte geht nicht so sehr darum, dass der Betroffene zunächst einmal zu entscheiden hat. Nach deutschem Recht ist es zum Beispiel ganz klar, dass eine Ärztin oder ein Arzt keine Behandlung vornehmen darf, wenn eine Patientin oder ein Patient das ausdrücklich ablehnt. Hier haben wir also schon den Fall, dass jemand selber das Recht hat, darüber zu entscheiden, ob eine Behandlung nun durchgeführt wird oder nicht. Das ist die eine Sache.

Die andere Frage ist - und das ist natürlich, wenn es um Leben und Tod geht, eine ganz schwierige - ob jemand das Recht hat, zu entscheiden, etwa, dass seinem Leben ein Ende gemacht wird, das, was man also aktive Sterbehilfe nennen würde, dass ihm entweder eine tödliche Dosis Zyankali oder ähnliches verabreicht wird.

Ellmenreich: Inwiefern kann die Anerkennung einer Patientenverfügung in solch einem Fall für Klarheit sorgen und hilfreich sein?

Schuster: Das kann in jedem Falle hilfreich sein, dann weiß nämlich der behandelnde Arzt um den Willen des Patienten und das ist eine große Hilfe in schwierigen Fragen, in denen es etwa darum geht, ob in einer Situation, wo das Sterben schon eingesetzt hat oder die Grunderkrankung so schwerwiegend ist, dass man sagt, eine Therapie ist nicht mehr möglich, vielleicht sogar nicht mal eine Linderung des Leidens, ob dann in solchen Situationen eine Therapie überhaupt begonnen werden soll beziehungsweise eine begonnene abgebrochen wird.

Wenn da der Patient eindeutig seinen Willen bekundet hat, ist es für den Arzt leichter und gibt ihm auch die Berechtigung, das auch zu tun. Das ist die eine Situation, die andere ist natürlich, dass jetzt nicht unbedingt - und das ist auch in Deutschland bisher nicht möglich - dass ein Patient vom Arzt verlangt, dass er aktiv eingreift, sozusagen, dass er eine Maßnahmen, sprich eine Injektion gibt, die tödlich ist.

Ellmenreich: Aber im Kern ist doch der Wille des Patienten derselbe in dem Fall.

Schuster: Nein, das ist genau der Punkt, wo sozusagen auch eine kirchliche Position, aber nicht nur die, streiten, nämlich präzise um die Frage, ob es einen moralisch relevanten Unterschied gibt zwischen töten und sterben lassen. Ich würde sagen, es gibt ihn, einfach schon aus der Tatsache heraus, dass wir nicht für jeden Tod eines Menschen verantwortlich sind, weil menschliches Leben endlich ist und mit dem Tode endet. Das ist eine Tatsache, die wir alle anzuerkennen haben und es wäre gut, wenn das auch in der Medizin stets anerkannt würde, dass wir endliche Menschen sind und dass unser Leben einmal an ein Ende kommt, das heißt also auch in dem Sinne wirklich eine Bejahung der Endlichkeit.

Ellmenreich: Da kommen wir zu dem Konflikt Selbstverantwortung eines jeden Menschen versus gottgegebene Entscheidung.

Schuster: Ich würde zunächst sagen, es gibt in der Tat dieses alte klassische Argument, Gott ist der Herr über Leben und Tod und weil er Herr darüber ist, ist es niemand anders. Aber ich würde zunächst sagen, hier liegt schon gedanklich ein Fehler vor und zwar können wir Gottes- und menschliche Herrschaft ja nicht so in ein Konkurrenzverhältnis zueinander bringen, also Konkurrenten auf der gleichen Ebene.

Und ich denke, von daher hat dieses Argument auch in den vergangenen Jahren auch zumindest in Kreisen der wissenschaftlichen Theologie eine Kritik erfahren. Nicht in dem Sinne, dass jetzt gesagt würde, dass jemand den Wunsch hat, dass man seinem Leben ein Ende macht, das sei ein berechtigter Wunsch und ethisch allemal legitimiert - nein, das nicht. Aber sehr wohl, dass wir nicht sagen können, wenn Gott Herr über Leben und Tod ist, wir hätten überhaupt keine Entscheidungsbefugnisse, sondern ich kann sagen: In Anerkenntnis der Endlichkeit meines Lebens möchte ich, wenn mein Leben zu Ende geht, dass alle lebenserhaltenden Maßnahmen, die nur im Grund eine Verlängerung des Sterbeprozesses sind, dass die unterbleiben.

Dieses Recht habe ich und ich persönlich habe auch eine Patientenverfügung verfasst, in der das drinsteht. Ich möchte nicht, dass wenn sozusagen das letzte Stadium meines Lebens gekommen ist und der Sterbeprozess einsetzt, dass dann noch maximalmedizinische Therapien eingeleitet werden.

Ellmenreich: Aber die Frage danach, wann nun genau der Sterbeprozess einsetzt, wann es konkret keine Hoffnung und Heilungschancen mehr gibt, ist ja auch eine Frage, die diskutiert werden kann, da können auch zwei Ärzte ganz unterschiedlicher Meinung sein.

Schuster: Das ist richtig und auch anzuerkennen und von daher ist hier auch ein Ermessensspielraum gegeben und ich denke, den kann ich als medizinischer Laie auch nicht begrenzen, sondern da kann es nur das Vertrauen geben in die behandelnden Ärzte, dass sie verantwortlich damit umgehen. Anders geht es nicht. Es gibt zwar Mediziner, die immer wieder von Philosophen oder auch Theologen fordern, dass wir es ihnen sagen, aber das können wir nicht, da fehlt uns die Kompetenz.

Aber dass es einen solchen Prozess gibt, wo man sagen kann, hier setzt das Sterben ein, das werden Ihnen Pflegende vielleicht manchmal leichter als die Ärzte sagen können, also Krankenschwestern oder Seelsorger, die häufig mit Sterbenden in Kontakt kommen. Es gibt, und ich würde für mich auch sagen, dass ich in Situationen war, wo ich Menschen in den Tod begleitet habe, wo es evident war, dass hier und jetzt das Sterben eingesetzt hat.