Gewissheit durch Zweifel

Von Adolf Stock · 12.01.2013
Als Andreas von Weizsäcker mit 51 Jahren starb, traf das seine jüngere Schwester Beatrice schwer. Sie nahm den Tod ihres Bruders zum Anlass, um über ihren Glauben nachzudenken. Als Ergebnis ihrer Selbstbefragung entstand das Buch "Ist da jemand? Gott und meine Zweifel".
Löwenköpfe aus Büttenpapier. Federleicht. Andreas von Weizsäcker hat beeindruckende Kunstwerke geschaffen. "Dünnhäutige Hohlkörper behaupten sich im Raum", schreibt der Kunsthistoriker Hubertus Gaßner in einem Nachruf über sein Werk. Der Tod des Bruders hat bei Beatrice von Weizsäcker zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Gott geführt. Aber über den Bruder erfährt der Leser nicht viel – leider. Hatte er ein erfülltes Leben? Ist er versöhnt aus dem Leben geschieden?

Nach dem Abitur wollte Beatrice von Weizsäcker eigentlich Theologie studieren. Sie ist dann doch Juristin geworden. Darüber ist sie heute froh, denn sie bemerkt mehrfach in ihrem Buch, dass zu viel theologisches Wissen auch eine Blockade für den unmittelbaren Glauben sein kann. Ihr geht es um den persönlichen Zugang zu Gott, einem Gott jenseits der Institution Kirche mit all ihren Verkrustungen und Hierarchien.

Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten, über Gott und die Welt nachzudenken: Man kann die Unterschiede betonen oder die Gemeinsamkeiten. Beatrice von Weizsäcker hat sich für den zweiten Weg entschieden. Für sie sind alle Weltreligionen in ihrer humanen Zielsetzung gleich. Zitierter Kronzeuge ist der katholische Theologe Hans Küng, der mit seinem "Weltethos-Projekt" für globale humanistische Werte eintritt. Dann ist es im Prinzip egal, ob man an Gott glaubt, zu Jesus oder zu Buddha betet oder einem Guru folgt.

"Es ist auch egal, wo man betet, ob in einer Kirche oder einer Moschee, in der Synagoge oder im Freien, unter dem Herrgottswinkel zu Hause oder unterwegs per Mausklick, ohne an dem Ort sein zu müssen, an dem man angeblich sein muss. Zu wem auch immer, wie auch immer, wo auch immer: Ist da Gebet nicht stets dasselbe?"

Wer so denkt, muss aufpassen, dass die globale Weltumarmung nicht im Gutmensch-Gedöns versinkt. Als im Sommer 2011 in der Berliner Philharmonie Hans Küngs vertontes "Weltendrama" uraufgeführt wurde, war die Nähe zum religiösen Kitsch unverkennbar.

Irgendwann in der Mitte des Buchs stellt sich Beatrice von Weizsäcker selbst die Frage: Ist, was ich sage, nur gebastelt? Ist das nicht "Patchwork-Religion"? Ein Rekurs auf den Papst soll die Frage klären. Für ihn besitzt ein von Menschen gemachter Glauben keinen Wert. Doch der Glaube an Gott, erwidert die Autorin, kann gar nicht selbstgemacht sein, er wird niemals ausgedacht, sondern wird erfahren.

Gläubige Christen plagen oft Zweifel. Das nannte man früher Versuchung und war ein Geschäft des Teufels, der in Weizsäckers Buch keinen Auftritt hat. Aber Johann Wolfgang von Goethe behält mit seinem Mephisto-Prinzip auch diesmal Recht: Es ist die Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Die Autorin lobt den permanenten Zweifel, der bei ihr am Ende zu mehr Glaubensgewissheit führt.

Beatrice von Weizsäcker vertritt einen pragmatischen Protestantismus. Es geht um das Fassbare in der Welt. Die heiligen Sphären, die Geheimnisse der Mystiker, Weihrauch und Reliquienkult, prunkhafte Liturgien – all diese Dinge sind ihr innerlich fremd. Ihr Zweifel macht auch vor Jesus Christus nicht halt. Von der Ostergeschichte mit Leid, Tod und Wiederauferstehung fühlt sie sich unangenehm bedrängt.

"Die Geschichte von Hiob, vom Ringen und Träumen, gehört zu den tröstlichsten Abschnitten der Bibel. Die Geschichte über die Auferstehung Jesu dagegen ist ihr unheimlichstes, irritierendstes Kapitel. Es ist das Kapitel, das am stärksten vom Glauben zeugen soll und mich am stärksten am Glauben zweifeln lässt. Wen kann es wundern, dass selbst einige Jünger Jesu an dessen Auferstehung zweifelten? Dass sie nicht glauben konnten, was sie sahen? Jahr für Jahr versetzen mich Karfreitag und Ostern in Angst und Schrecken, statt mir Trost zu geben."

Das steht im schroffen Gegensatz zu den evangelikalen Protestanten, für die Gottes Sohn unangefochten der Mittelpunkt ihrer Glaubensgewissheit steht.

Soviel bleibt sicher: Ein gefestigter Glaube fußt auf Vertrauen. Dagegen ist der Zweifel "ein hartnäckiger Bursche", schreibt Beatrice von Weizsäcker. "Er kommt in der Nacht als ein Albtraum und bleibt am Tag als Verzweiflung." Aber, so die Autorin, wer zweifelt ist nah bei Gott, und unserer Leben ist schon ein Teil der göttlichen Ewigkeit.

Beatrice von Weizsäcker: Ist da jemand? Gott und meine Zweifel
Piper Verlag, München 2012
311 Seiten, 19,00 Euro
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