Gewichtige Kunststücke

Von Anette Schneider |
In der Kunsthalle Kiel dreht sich alles um Metall: Die Heavy-Metal-Ausstellung ist eine Hommage an die Schwerkraft der Skulptur und ihre schöpferische Überwindung. Sie zeigt – anhand von Skulpturen aus den letzten 50 Jahren – die Geschichte des Materials Metall in der internationalen Skulptur. Ein Schritt, der in den 60er-Jahren begann und der metallenen Skulptur ungeahnte künstlerische Freiräume schuf.
Lustvoll spielt die Ausstellung mit den Wirkungsmöglichkeiten des Materials Metall. Gleich im ersten Saal prallen der Gegensatz von Masse und betonter Leichtigkeit aufeinander, von Schwere und biegsam Filigranem, von Figürlichem und Abstraktem. Fast drei Meter misst das silberglänzende Monster von Thomas Schütte. 2007 entstanden, erinnert es an ein aufgeblasenes Pirelli-Männchen, das mit seinem durchgebogenen Rücken hintenüberzufallen droht – und so Sinnbild hybrider Anmaßung sein könnte. – Im selben Jahr entstand Carol Boves von der Decke hängende Arbeit aus 275 goldglänzenden Metallstäben. Die in New York lebende Genfer Künstlerin ordnete sie in einem Quadrat an. So entstand ein minimalistisches Mobile, ein zarter, filigraner Vorhang aus – eineinhalb Tonnen Eisen. Ausstellungskurator Dirk Luckow:
„Das Vertraute des Materials Metall, das wird in ganz subtile Konzepte umgemünzt, umspielt unsere Sinne, und weckt ambivalente Gefühle. Das ist das Spannende daran. Und die Eindeutigkeit des Materials, wenn man es so sieht – Bronze oder Blei oder Stahl – die wird immer in eine irritierende Mehrdeutigkeit übertragen. Und insofern immer wieder diese Grundfrage der Ausstellung: Skulptur hat mit Gewichten zu tun, hat auch mit schweren Gewichten zu tun. Aber der Künstler ist imstande, diese Gewichte in dem schöpferischen Eingreifen, in der Gestaltung, in dem Auswählen der Materialien aber natürlich auch der Motive, der Gegenstände dieser Welt, dieses aufzuheben, zu überwinden, und eine Leichtigkeit da hineinzubringen, die eben fast unerklärlich ist.“

Die Ausstellung versammelt auf drei Etagen 58 oft großformatige Arbeiten. Bis auf Marcel Duchamps Flaschentrockner aus dem Jahr 1914 entstanden sie alle in den letzten 50 Jahren. Denn in den frühen 60ern begannen Künstler in den USA, Europa und Lateinamerika die traditionelle Vorstellung von Skulptur als etwas aus Bronze gegossenem und für die Ewigkeit geschaffenem in Frage zu stellen: wie in einer Fabrikhalle steht man vor Richard Morris Mitte der 60er Jahre entstandenem riesigen Quadrat aus Eisenträgern. Die Brasilianerin Lygia Pape spielt in ihrem Mobile aus großen Metallkreisen mit dem Widerspruch von schwerem Material und vorgeführter Leichtigkeit. Und Richard Serra lehnt zur selben Zeit eine 380 Kilo schwere Bleiplatte in waghalsigem Winkel an ein dünnes Bleirohr.
„Das große Ziel, was wir uns mit dieser Ausstellung gesetzt haben, ist eigentlich die Umbruchsituation, die Neudefinition der Skulptur seit den 60er Jahren bis heute zu zeigen. In den 60er Jahren, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Situation – Kalte-Kriegs-Phase, der Vietnamkrieg – ist ein Umdenkungsprozess eingetreten bei den Künstlern. Die Skulptur sollte in dem Moment die Hierarchie der Werkstoffe überwinden. Sie sollte antiheroisch sein, sie sollte sockellos sein, sie sollte elementar sein. Es ging um die unmittelbare Wirkung der Materialien.“

Künstler interessiert mal die Schwere des Materials, mal, wie sie es leicht, eigenwillig und scheinbar beliebig form- und biegbar zeigen können. Dieses Ausloten von Möglichkeiten und die damit oftmals verbundenen abstrakten Formspielereien prägten die Skulptur in den 60er und 70er Jahren. Bis heute vermögen einige zu überraschen, doch wenn Frank Stella noch 2006 eine Art filigraner Maske aus Aluminium entwirft, ist die Materialwirkung nicht mehr neu und driftet endgültig ab ins Beliebige. Eine Entwicklung, die sich schon in den 60ern ankündigte, so Kunsthallenleiter Dirk Luckow:
„Die Moderne war vor allem eine Moderne der Form geworden. Der Inhalt fehlte. Und der musste zurück in die Kunst gebracht werden. Sie sollte Kontext- und Prozessbezogen sein, und das wirkt sich eben bis heute aus, bloß heutzutage: Die Welt ist noch einmal wieder komplexer geworden. Und die Kunst subtiler, und grotesker und auch humorvoller.“
So ist es vor allem jüngere Kunst, die wieder einen konkreten Blick auf Wirklichkeit wirft. John Chamberlain etwa schuf 1992 aus alten zusammengepressten Autowracks fünf hohe, luftig wirkende Altmetall-Säulen – ein Mahnmal für Vergänglichkeit.

Oder die Hamburger Künstlerin Sonja Vordermaier. 2006 entstand ihre gewaltige Installation, die in Kiel wie ein abgehalftertes Raumschiff von der Decke hängt: Zig Fernsehantennen hat Vordermaier ineinander verkeilt, an deren Metallstreben – wie Moosflechten – tausende Nägel und Eisenspäne hängen, die durch einen Magneten angezogen werden. Auch hier klingt vielfältige Zivilisationskritik an.

Besonders eindrucksvoll ist eine Arbeit der libanesischen Künstlerin Mona Hatoum, deren Kunst sich um die konkrete Gewalt in Nahost dreht. Sie entwarf einen etwa zwei Meter hohen dreiteiligen Paravent in Form einer Küchenreibe. Von weitem sieht das ebenso witzig wie dekorativ aus. Von nahem jedoch erkennt man, dass es sich um schwarzgefärbtes Eisen handelt, dessen scharfe, brutal ins Metall gerissene Öffnungen gefährlich wirken. Was eigentlich vor fremden Blicken schützen soll verkehrt sich hier ins Gegenteil: Der Paravent entpuppt sich als Bedrohung.

Abstrakten Formspielereien, Objekte, gegenständliche und figürliche Arbeiten – dank der Vielfalt der ausgestellten Werke gelingt es der Ausstellung anschaulich, Arbeits- und Wirkungsmöglichkeiten eines Materials vorzuführen, das die traditionelle Vorstellung von Skulptur nachhaltig veränderte.

Service: Die Ausstellung „Heavy Metall. Die unerklärbare Leichtigkeit eines Materials“ ist vom 7.12.2008 bis zum 22.3.2009 in der Kunsthalle Kielzu sehen.