Gewerkschaften fordern Überarbeitung der EU-Dienstleistungsrichtlinie

Moderation: Hanns Ostermann |
Auch nach dem Kompromiss im EU-Parlament stößt die geplante EU-Dienstleistungsrichtlinie bei dem Europäischen Gewerkschaftsbund auf Ablehnung. Die Richtlinie sei nicht geeignet, um Dynamik auf dem europäischen Binnenmarkt für Dienstleistungen zu bringen, kritisierte der stellvertretende Generalsekretär Reiner Hoffmann. Die beste Lösung sei es, wenn die Europäische Kommission einen vollständig neuen Gesetzestext für die Richtlinie erarbeiten würde.
Ostermann: Herr Hoffmann, nun ist die Richtlinie bereits entschärft, polnische Handwerker müssen sich an deutschen Standards orientieren, um ein Beispiel zu nennen. Ist damit nicht die Gefahr des Lohn- und Sozialdumpings gebannt?

Hoffmann: Sie ist eingeschränkt, aber keineswegs gebannt. Es gibt nach wie vor zahlreiche Unklarheiten. Diesen Richtlinienentwurf, wie er von der Kommission vorgelegt wurde und wie jetzt das Parlament versucht, Verbesserungen einzubringen, halten wir nicht für geeignet, das, was damit intendiert ist, also eine neue Dynamik auch auf den europäischen Binnenmarkt für Dienstleistungen zu bringen, um damit dann letztendlich einen Beitrag für Wachstum und mehr Beschäftigung zu leisten.

Ostermann: Wenn das Herkunftslandsprinzip vom Tisch ist, wo liegen dann die Probleme?

Hoffmann: Ja, beispielsweise ist nicht klar, ob beispielsweise die Grundrechte, für uns nicht ganz unwesentlich das Streikrecht als Grundfreiheit zur Anwendung kommt oder ob das Marktprinzip auf Basis der Niederlassungsfreiheit Vorrang hat. Hier gibt es einen Widerspruch zwischen der Wertung der einzelnen Rechte, Wirtschaftsrechte vor Arbeitnehmerrechte, da haben wir große Sorgen.

Ostermann: Umstritten zu sein scheint auch noch die Frage, inwiefern die Dienstleistungsfreiheit auch aus Gründen des Verbraucherschutzes und der Sozialpolitik eingeschränkt werden darf. Was befürchten Sie hier?

Hoffmann: Wir befürchten, dass damit einem Absenkungswettlauf Tor und Tür geöffnet wird, im Umweltbereich, im Verbraucherschutzbereich, aber auch bei den Arbeitnehmerrechten, bei den Löhnen und bei den Sozialversicherungsregelungen.

Ostermann: Nun kommen zahlreiche Studien zu dem Ergebnis, dass die Öffnung des Dienstleistungsmarktes etwas bringt, insbesondere für den Mittelstand. So ganz klar ist mir noch nicht, wogegen die Gewerkschaften protestieren, denn niedrige Lohne gibt es doch auch heute schon, und nicht selten ganz legal.

Hoffmann: Nicht selten ganz legal, vielfach illegal, aber wir sind mit unserer Kritik überhaupt nicht allein. Es sind gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die in Deutschland große Sorgen haben, weil, man muss sich vorstellen, dass, wenn sie zukünftig als Unternehmen expandieren wollen, eine neue Maschinenhalle bauen mit 200 Beschäftigten, kaufen Dienstleistungen, Architekturdienstleistungen in Portugal, in Griechenland oder in Ungarn ein, Sie wissen dann nicht, zu welchen rechtlichen Rahmenbedingungen werden diese erbracht, weil Sie mit 25 unterschiedlichen Rechtssystemen konfrontiert sind. Das ist auch für die Unternehmen eine unmögliche Angelegenheit, die ist nicht machbar, und das sagen auch Arbeitgebervertreter, beispielsweise aus dem Verband der kleineren und mittleren Unternehmen hier in Brüssel Herr Müller.

Ostermann: Die Europäische Union – das haben Sie eben angedeutet – verfolgt ehrgeizige Ziele. In vier Jahren will sie wirtschaftlich Weltspitze sein. In den USA ist die Arbeitslosigkeit wesentlich geringer. Warum ist uns Amerika so überlegen?

Hoffmann: Man muss bei den Vergleichen etwas genauer hinschauen. In der Tat ist es richtig, dass die Arbeitslosigkeit dort geringer ist und die Erwerbsquote höher ist. Wir haben in den letzten Jahren das Problem, dass wir eine Politik betrieben haben, die versucht hat, die Angebotsbedingungen für die Unternehmen zu verbessern, allerdings dabei die Nachfrageseite deutlich aus dem Blick genommen hat. Uns mangelt es wirklich an einer Binnennachfrage, um für Wachstum und Beschäftigung zu sorgen. Hier ist eine andere Wirtschaftspolitik erforderlich, als sie unter den Bedingungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in den letzten vier Jahren betrieben wurde.

Ostermann: Sie können ja auch darauf hinweisen, dass in den USA die Menschen nur dann klarkommen, wenn sie zwei oder drei Jobs haben. Aber ist die Situation nicht besser als überhaupt keinen zu haben?

Hoffmann: Ich glaube, diese Gegenüberstellung ist falsch, weil es doch so deutliche Unterschiede gibt in den Systemen der Arbeitsbeziehungen, in den Sozialversicherungssystemen. Man muss sich einfach mal vorstellen, dass Menschen dort, um überhaupt existieren zu können, bis zum 69., 70. Lebensjahr heute schon arbeiten müssen, und das in der Tat zum Teil zu Hungerlöhnen. Das ist kein Ausweis, der für uns, glaube ich, Vorbild sein sollte, insbesondere dann nicht, wenn wir unser europäisches Sozialmodell weiterentwickeln wollen, wetterfest machen wollen, auch vor dem Hintergrund der Herausforderungen, die uns mit der Globalisierung einhergehen.

Ostermann: Mit welchen Erwartungen sehen Sie der Abstimmung am Donnerstag entgegen?

Hoffmann: Wir sind da etwas skeptisch. Wir hoffen, dass unsere Demonstration am morgigen Dienstag in Straßburg noch mal einen Beitrag dazu leistet, dass die Abgeordneten von unseren Zweifeln überzeugt sind und Kompromisse in die richtige Richtung gehen. Uns wäre es am liebsten, die Kommission würde einen neuen Aufschlag machen, einen neuen Gesetzestext vorlegen, der wesentlich konsistenter ist und die vielen Rechtsunsicherheiten, die mit dem jetzigen Text verbunden sind, beseitigt, um dann wirklich auch einen gewünschten Beitrag zu besseren und mehr Arbeitsplätzen zu leisten.

Ostermann: Kommt dieser neue Text nicht, was planen dann die Gewerkschaften?

Hoffmann: Wir werden unsere Kritik und unser Einwirken sowohl auf das Parlament als auch auf die Mitgliedsregierung und die Kommission fortsetzen. Ich denke, unsere Argumente haben ja bereits Wirkung gezeigt, wie der Kompromissvorschlag im Parlament zeigt, und uns kommt es darauf an, nicht nur das Parlament zu überzeugen, sondern letztendlich dann auch den EU-Ministerrat, der mit entscheiden muss, und hier sehen wir ganz gute Möglichkeiten, dass unsere berechtigte Kritik dann auch aufgegriffen und ernst genommen wird.

Ostermann: Danke für das Gespräch.