Gewaltfreie Kommunikation an Schulen

Nicht beschuldigen, sondern einfühlen

Schülerinnen der Liebig-Schule in Frankfurt am Main beschimpfen in einer gespielten Szene lautstark einen "Agressor" (l).
Ist nur ein Spiel: Auch Schüler können trainieren, gewaltfrei miteinander zu reden. © picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst
Armin Torbeke im Gespräch mit Dieter Kassel · 16.12.2016
Brüllen, beschimpfen, beleidigen: Immer häufiger berichten Lehrer von verbalen Angriffen - durch Schüler, aber auch Eltern. Mediator Armin Torbeke erklärt, wie auch in aufgeladenen Situationen wieder ein Gespräch entstehen kann. Eine Voraussetzung: Empathie.
Ein Vater stürmt schimpfend ins Lehrerzimmer: Soll man zurückschimpfen? Keinesfalls, warnt Armin Torbeke, Trainer für Gewaltfreie Kommunikation. Man müsse vielmehr zunächst darauf eingehen und klarmachen, dass man die Sichtweise des Mannes hören wolle: "Sie sind bei mir genau richtig." So könne wieder eine Gesprächsbasis geschaffen werden. Das Prinzip: "Deeskalation durch Empathie".
Dann komme es darauf an, die "eigene Sichtweise sehr klar mitteilen zu können, ohne andere beschuldigen zu müssen". Denn dies passiere schnell und schaffe Barrieren zu Schülern oder Eltern. Nach Torbekes Erfahrungen an Schulen funktioniert Gewaltfreie Kommunikation gut. Oft denke man, mit einer bestimmten Person könne man nicht reden - "die ist nur gegen uns". In Wirklichkeit aber hätten gerade aufgebrachte, frustrierte oder gestresste Eltern ein Interesse, sich für Kinder und Schule einzusetzen. Die Lehrer müssten nur Möglichkeiten schaffen, die "Eltern wieder mit ins Boot zu nehmen" und deutlich zu machen: 'Ich kann auch nicht alles alleine leisten - wir müssen kooperieren'.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Im Bundesrat geht es heute um einen Gesetzentwurf aus Nordrhein-Westfalen, mit dem Personen, die für die "Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens bedeutsame Aufgaben übernehmen, besonders geschützt werden sollen." Es geht um höhere Strafen für Gewalt, zum Beispiel gegenüber Polizisten, Feuerwehrleuten und Sanitätern, aber auch Mitarbeiter der Verwaltung und natürlich Lehrer.
Letzteren hilft unter anderem Armin Torbeke. Er ist Mediator und Trainer für Gewaltfreie Kommunikation, hat ein Büro direkt an der Grenze zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen und arbeitet in beiden Bundesländern regelmäßig. Schönen guten Morgen, Herr Torbeke!
Armin Torbeke: Guten Morgen!
Kassel: Gewalt ist eigentlich ja gegenüber jeder Person in Deutschland bereits jetzt verboten, ob diese Person nun Lehrer ist oder nicht. Braucht man wirklich zur Eindämmung von Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer neue Gesetze?
Torbeke: Ja, also das Wichtigste ist die Kommunikationskompetenz der betroffenen Personen zu schulen, würde ich sagen. Es ist sicherlich nötig, auch dass der Gesetzgeber wahrnimmt, dass da Probleme sind, aber ich würde sagen, dann immer mit der Zielsetzung, Bedingungen zu schaffen, dass die Kommunikationskompetenz eben erhöht werden kann.
Kassel: Aber wie macht man das? Erklären Sie doch vielleicht erst mal, was ist eigentlich genau Gewaltfreie Kommunikation. Es geht doch bestimmt nicht nur darum, dass man sich nicht beschimpft. Was ist denn … Machen wir es doch mal umgekehrt: Was ist denn gewaltvolle Kommunikation?
Torbeke: Also gewaltfreie Kommunikation ist eine Möglichkeit, um Lehrer zu stärken in ihrer Aufgabe an Schulen, und zwar mit herausfordernden Situationen angemessen umzugehen, und wenn das eben nicht geschieht, dann kann sowas wie Gewalt und Eskalation entstehen, dass nämlich zum Beispiel die Verbindung geopfert wird zwischen den Beteiligten, zum Beispiel Eltern und Lehrern oder auch Schülern, und das ist für das gesamte Lernklima und die Kultur an den Schulen natürlich nicht hilfreich. Die Gewaltfreie Kommunikation unterstützt eben, die Beziehung zu stärken und zu stützen und zielt auf Kooperation aus.
Kassel: Dann machen wir es doch mal ganz konkret, ein Beispiel. Wir reden ja auch nicht nur – daran denkt man ganz schnell –, an Gewalt von Schülern gegenüber Lehrern, es gibt auch immer wieder Berichte über Probleme mit Eltern.
Torbeke: Ja.

Deeskalation durch Empathie

Kassel: Wenn jetzt ein Lehrer im Zimmer sitzt, und da kommt ein Vater rein, der sehr, sehr aufgebracht ist, sehr aggressiv wirkt, ihn schon beschimpft, wie deeskaliert man denn sowas?
Torbeke: Also wenn man einer Person gegenübertritt, die sehr aufgebracht ist, dann ist es in der Regel sinnvoll, dass man erst mal darauf eingeht. Also Deeskalation durch Empathie, also sowas zu sagen, ich sehe, dass Sie sehr aufgebracht sind, dass Sie frustriert, vielleicht wütend sind, ratlos, ich weiß es nicht, ganz sicher wollen Sie mit Ihrer Sicht der Dinge wahrgenommen werden, und da sind Sie bei mir genau richtig, wir wollen Ihre Sichtweise gerne hören, und ich würde gerne mit Ihnen vereinbaren, wie wir uns gut austauschen können. So läuft so eine Intervention in so einer Situation, die normalerweise zu Deeskalation führt und wieder eine Gesprächsbasis schafft.
Kassel: Was mir dabei, ehrlich gesagt, als erstes durch den Kopf geht, ist, wer auf solche Worte reagiert, der schlägt einen sowieso nicht. Ich meine, das klingt so ein bisschen nach Kuschelpädagogik. Ist nicht der Alltag in den Schulen dafür zu hart?
Torbeke: Das ist, was ich jetzt gesagt habe, ist der erste Schritt bei einer Person, die hochgradig emotional ist. Die andere Seite ist, die andere Seite der Gewaltfreien Kommunikation, eben eine Möglichkeit zu schaffen, die eigene Sichtweise auch sehr klar und sehr überzeugend auch mitteilen zu können, und da ist halt eine wunderbare Möglichkeit, das eben auf eine Art zu tun, ohne andere zu beschuldigen zu müssen.
Also das passiert eben sehr schnell und schafft dann eine Barriere, zum Beispiel zum Schüler oder eben auch zu den Eltern. "Sie sind Schuld mit Ihrem Verhalten dieser und jener Art". Die Gewaltfreie Kommunikation zielt darauf ab, die eigenen Interessen klar zu kommunizieren, also beispielsweise, wenn ich das und das wahrnehme in der Klasse, dann ist es erst mal mein Anliegen, die Sicherheit in der Klasse wiederherzustellen und eine Lernatmosphäre zu schaffen, die für alle förderlich ist, und dazu brauche ich Ihre Mitarbeit und Ihre Unterstützung, wie nehmen Sie die Situation wahr, und ich möchte auch sagen, wie ich die Situation wahrnehme.

Eltern wieder mit ins Boot holen

Kassel: Funktioniert das wirklich immer? Jetzt werden Sie mir sagen, nichts funktioniert immer, aber funktioniert das zumindest in der Regel?
Torbeke: Ja, das ist eben unsere Erfahrung, dass man denkt, ach, mit dem kann man doch nicht reden, diese Person ist unfähig zur Kommunikation, die will nicht, die ist nur gegen uns, und dass es oft so gar nicht ist, sondern dass Personen einfach wenig geschult sind, also Eltern zum Beispiel auch in einer lösungsorientierten Kommunikation oder einfach sehr viel Frustration und Stress einfach auch mitbringen und daraus halt Forderungen ableiten, aber in Wirklichkeit ein Interesse da ist, also beizutragen und sich für ihre Kinder und für die Schule auch einsetzen wollen.
Da ist dann die Aufgabe, würde ich denken, und das zahlt sich sehr, sehr stark aus – da habe ich unzählige Beispiele –, auch Aufgabe eben der Lehrer ist, da Möglichkeiten zu schaffen, die Eltern auch wieder mit ins Boot zu nehmen und deutlich zu machen, ich kann auch nicht alles hier alleine leisten, ich kann auch nur einen Beitrag bringen, und wir müssen kooperieren, also die staatlichen Stellen und wir als Lehrer und das System Schule und Sie eben als Eltern.
Kassel: Der Mediator und Trainer für Gewaltfreie Kommunikation Armin Torbeke war das. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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