"Gewalt von rechts, militant von rechts"

15.11.2011
Da die Zwickauer Gruppe nicht die Öffentlichkeit suchte und ihr politisches Bekenntnis für sich behielt, solle man nicht von Terroristen sprechen, meint der Berliner Politologe Hans-Gerd Jaschke.
Dieter Kassel: die Idee, es könnte in Deutschland so etwas wie Rechtsterrorismus geben, ist nicht neu. So gab es zum Beispiel 1995 das erste Mal Spekulationen über eine Braune Armee Fraktion, also um eine größere organisierte rechtsextreme Terrorgruppe. Der Begriff ist in der Form '95 das erste Mal aufgetaucht, der von der Braunen Armee Fraktion. Die Idee war natürlich auch damals schon nicht neu. Neu sind jetzt natürlich die Erkenntnisse über den sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) – so nennen sich auf der sichergestellten DVD die Rechtsradikalen aus Thüringen, die zuletzt in Zwickau ihr Hauptquartier hatten und die wohl mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens verantwortlich sind für die sogenannten Dönermorde.

Diese drei und vielleicht sogar mehr, die werden als Rechtsterroristen bezeichnet: Von der Bundeskanzlerin, vom Bundesinnenminister, von anderen Politikern und auch von den allermeisten Journalisten. Aber ist dieser Begriff Rechtsterrorismus in diesem Zusammenhang eigentlich angemessen? Das fragen wir jetzt Hans-Gerd Jaschke, er ist Politologe an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, bildet dort unter anderem Polizisten aus und beschäftigt sich seit vielen, vielen Jahren mit den unterschiedlichsten Formen des Rechtsextremismus. Schönen guten Morgen, Herr Jaschke!

Hans-Gerd Jaschke: Guten Morgen, Herr Kassel!

Kassel: Sprechen Sie inzwischen auch von Rechtsterroristen?

Jaschke: Nein, ich kann es verstehen, wenn wir von Terror sprechen. Das ist absolut verständlich. Aber vom Terrorismus von rechts sollten wir nicht sprechen, denn wesentliche Merkmale des Terrorismus sind Öffentlichkeit, Bekennertum, auch das Suchen nach Öffentlichkeit, das Suchen danach, möglichst viel Angst und Schrecken zu verbreiten durch die Taten. Das heißt, die Taten müssen als politische bekannt sein, öffentlich bekannt sein. All dieses hat über viele Jahre lang gefehlt. Wenn wir diese Mordserie zurückverfolgen, dauert sie über zehn Jahre. Es gab in dieser Zeit von dieser Gruppe überhaupt keine Anstrengung, ihre Taten in öffentlichen Zusammenhang mit politischen Absichten zu bringen. Deswegen können wir da überhaupt nicht vom Terrorismus reden, genauer sollten wir von Terror sprechen, das ist sicherlich richtig. Ich kann Menschen übrigens verstehen, die ihren Abscheu zum Ausdruck bringen, indem sie das Wort Terrorismus wählen, aber in der Sache liegen wir da daneben.

Kassel: Ist denn dieser Wunsch, bekannt zu werden, dieser Wunsch, sich zu bekennen, in der Öffentlichkeit Reaktionen hervorzurufen durch Bekennerschreiben, das einzige Merkmal, an dem man unterscheiden kann, politische Kriminalität und Terrorismus?

Jaschke: Nun, es ist ein sehr, sehr entscheidendes. Die gesamte Fachliteratur zum Terrorismus hebt dies hervor, dass Öffentlichkeitsarbeit und die Etikettierung einer Tat als politisch das wesentliche Merkmal von Terrorismus sind, das heißt, die Absichten der Täter, die politischen Absichten, die mit der Tat verbunden sind, müssen bekannt werden. Stellen Sie sich mal im Alltag vor, ein Banküberfall: Wir alle assoziieren damit die Bereicherungsabsicht der Täter. Wenn die Täter aber ein Bekennerschreiben hinterlassen, in dem sie sich zu einer Braunen Armee Fraktion bekennen und ein "Viertes Reich" fordern, dann haben sie keine Bereicherungsabsicht, sondern politische Absichten. Dann reagiert auch die Gesellschaft völlig anders auf diese Taten, und genau das wollen ja auch die Täter. Und insofern ist dieser Zusammenhang der Öffentlichkeitsarbeit ein sehr entscheidender, und ich sehe ihn bei dieser Gruppe nicht.

Kassel: Das würde aber, wenn ich das richtig zu Ende denke, bedeuten: Hätten sie diese DVD, die nun erst in dem zerstörten Haus in Zwickau sichergestellt wurde, hätten sie diese DVD tatsächlich verschickt, dann würden auch Sie heute von Terroristen sprechen?

Jaschke: Nun, das ist die Frage: Sollte diese DVD eigentlich verschickt werden oder war die sozusagen für das eigene Poesiealbum gedacht? Das wissen wir nicht genau. Ich sehe auch da noch keine wirklichen Anzeichen, dass so etwas wie Bekennerschreiben, Öffentlichkeitsarbeit hergestellt werden sollte. Das ist für mich noch nicht erwiesen. Wenn es denn der Fall gewesen wäre, dann muss man darüber reden: Hat diese Gruppe einen Strategiewechsel vollzogen, nämlich von einem systematischen Terror, der sehr hasserfüllt gewesen ist über viele Jahre hin, hin zu einer terroristischen Aktivität, das ist für mich ungeklärt.

Kassel: Ich habe das Gefühl – ich habe gestern viele Nachrichtensendungen und auch ein paar Talkshows im Fernsehen gesehen –, ich habe das Gefühl, dass das Sprechen über Rechtsterrorismus auch noch mal in den letzten 24 bis maximal 48 Stunden üblicher geworden ist. Nur weiß ich nicht, liegt das daran, weil auch die Kanzlerin und auch der Bundesinnenminister das inzwischen so nennen? Aber Frage an Sie: Warum sprechen denn so viele Leute von Rechtsterrorismus? Nur weil es so ein griffiges Wort ist?

Jaschke: Nun, ich denke, wir alle wollen unseren Abscheu zum Ausdruck bringen über diese Taten. Sie sind ja in gewisser Weise auch unfassbar. Es steckt eine derart starke Brutalität dahinter, dass man wirklich nach Worten ringt, um hier die angemessenen Begrifflichkeiten zu finden. Und ich glaube, wenn wir das Ganze Terrorismus nennen, macht das die Sache für uns etwas einfacher. Es kommt im politischen Bereich hinzu, dass wir die Sache dann etwas einfacher verrechtlichen können. Terrorismus heißt: 129a Strafgesetzbuch, Bildung einer terroristischen Vereinigung, der Generalbundesanwalt ist zuständig – er hat ja auch die Ermittlungen an sich gezogen –, und von daher fällt es dann vielen einfacher, darüber zu sprechen, weil es auf den ersten Blick besser zu verstehen ist, um was es sich handelt.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Vormittag mit dem Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke über den Begriff des Rechtsterrorismus und die Frage, wie angemessen er ist. Nun nennen Sie mir doch die Alternative vom Begriff, Herr Jaschke, wenn wir das nicht Rechtsterrorismus nennen wollen, was da offenbar ausging von dieser Zwickauer Zelle. Wie nennen wir es dann?

Jaschke: Nun, es ist natürlich Gewalt von rechts, militant von rechts, es ist rechter Terror, so würde man es nennen können. Man darf auch nicht vergessen, wir haben ja eine Geschichte des rechten Terrors, der rechten Gewalt in Deutschland, und diese Serie von Anschlägen, von Mordtaten, die wir jetzt haben, ist sicherlich sehr brutal und außergewöhnlich brutal, aber sie steht nicht singulär, sie steht eben nicht vereinzelt, sondern sie setzt eine gewisse Traditionslinie der braunen Blutspuren fort. Das darf man nicht vergessen! Und in den vergangenen Ereignissen haben wir auch nicht von Terrorismus geredet, und das war auch gut so.

Kassel: Der schwerste Anschlag, den Rechtsradikale in Deutschland verübt haben, war vermutlich immer noch der Anschlag aufs Münchner Oktoberfest 1980. Zurückblickend jetzt, 31 Jahre danach, warum hat man denn damals nicht von Rechtsterrorismus gesprochen? Denn ein Terroranschlag, so sah das ja doch durchaus aus.

Jaschke: Nun, es war zuerst nicht klar, wer der Urheber eigentlich ist. Man hat von einem Einzeltäter gesprochen, wobei übrigens diese These ja jahrelang und jahrzehntelang, möchte ich fast sagen, verbreitet war – Täter galten als Einzeltäter. Gundolf Köhler wurde isoliert gesehen als verwirrter junger Mann, und von daher war von Terrorismus nicht die Rede. Dass er Verbindung hatte zur Wehrsportgruppe Hoffmann, stellte sich dann kurze Zeit später heraus. Heute wissen wir, dass er im politischen Umfeld dieser Wehrsportgruppen tätig war, von ihnen beeinflusst war, und man insofern diese Tat tatsächlich auch in diesem Umfeld ansiedeln sollte.

Übrigens, Sie haben recht, das war wohl der schwerste Anschlag von rechts, es gab aber auch vorher und nachher andere. Denken Sie zum Beispiel an die Anschläge auf die Sendemasten des Westdeutschen Rundfunkes 1979, als die Serie "Holocaust" ausgestrahlt wurde, oder später dann an den Mord an dem Nürnberger jüdischen Verleger Lewin in den 80er-Jahren. Das heißt, wir haben bis in die 90er-Jahre, als die Asylbewerberheime brannten, durchaus Gewalt von rechts gehabt, einschließlich Tötungsdelikte, einschließlich Anschläge auf Menschen. Insofern ist auch die jetzige Ereigniskette nicht singulär, sie ist besonders brutal. Das ist ihr Kennzeichen.

Kassel: Ich würde gerne einen anderen Aspekt noch kurz vertiefen, den Sie eingebracht haben, indem Sie nämlich im Bezug auf München 1980 gerade von dieser Theorie vom Einzeltäter gesprochen haben. Einzeltäter sind es nun diesmal in Zwickau nicht, es sind ja mindestens drei beziehungsweise mit hoher Wahrscheinlichkeit vier nach der Festnahme in der Nähe von Hannover. Aber die Frage ist doch: Warum gibt es immer diese Neigung bei Dingen, die man sogar inzwischen als rechten Terror bezeichnet, von kleinen Gruppen, von Nicht-Vernetzung zu reden? Ich bin mir auch bei dieser Gruppe gar nicht so sicher, ob das, was die gemacht haben, wirklich von drei Leuten alleine durchgeführt werden konnte.

Jaschke: Nun, ich denke, wir sind – oder sagen wir so, die westdeutsche, später gesamtdeutsche politische Kultur ist sehr stark geprägt gewesen bis 1990 vom Antikommunismus als Staatsdoktrin. Das heißt, Gewalt ging immer aus von links, von der RAF und ihren Nachfolgeorganisationen, und nicht von rechts. Das war ganz stark verwurzelt in der politischen Kultur des Kalten Krieges bis 1990. Dann hatten wir in der Tat die Anschläge auf die Asylbewerberheime und haben uns dann mit den jungen Tätern beschäftigt. Das wurde aber abgebrochen, um 9/11 herum, 2001, als das Paradigma des islamistischen Terrorismus besonders deutlich wurde. Man kann sagen, seitdem – seit zehn Jahren – gibt es eigentlich keine wirklich wesentliche Auseinandersetzung mehr mit der Gewalt von rechts, obwohl es sie ausweislich der Verfassungsschutzberichte und anderer Daten ja immer noch gegeben hat und immer noch gibt.

Kassel: Wie sinnvoll ist es jetzt als Reaktion auf das, was über die sogenannte Zwickauer Zelle bekannt wird, erneut ein Verbot der NPD zu fordern?

Jaschke: Nun, ich muss sagen, ich sehe den unmittelbaren Zusammenhang nicht. Das heißt, auch ohne die NPD hätte es vermutlich diese Gewalttaten gegeben. Man muss auch sehen: Ein Parteienverbot ist immer die Ultima Ratio, das allerletzte Mittel. Und genau das bedarf der Begründung. Warum ist eine politische Auseinandersetzung mit der NPD und ihrem Umfeld gescheitert, und warum ist jetzt ein Verbotsantrag das allerletzte Mittel? Dieser Zusammenhang ist meines Erachtens noch nicht hinreichend deutlich geworden. Darüber hinaus muss man sehen, ein Verbot der NPD kann auch dazu beitragen, dass Teile der NPD sich radikalisieren und in den Untergrund gehen. Das heißt, gerade unter dem Aspekt der Gewalt von rechts ist ein Parteienverbot der NPD nicht unbedingt eine Deeskalationsmaßnahme, sondern ganz im Gegenteil. Es kann durchaus zu einer Eskalation kommen.

Kassel: Der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke über den Begriff des Rechtsterrorismus, und warum er gerade so leichtfertig verwendet wird. Herr Jaschke, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Jaschke: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema