Gewalt und Aggression

Von Elisabeth Nehring · 16.01.2010
In dem an der Berliner Schaubühne aufgeführten Stück "Megalopolis" geht es um eine Stadt der Gewalt und Aggression. Es ist ein Ort, in dem das Überleben zum obersten Ziel werden kann.
Die Megalopolis, von der im Titel des Stückes die Rede ist, ist eine Stadt der Gewalt und Aggression. Eine Stadt mit eigenen und nicht immer humanen Gesetzen, in der das Überleben zum obersten Ziel werden kann. Doch geht es weniger um einen klar definierten Ort als darum, was ein Moloch mit den Menschen macht, an emotionalen Zuständen provoziert: Angriffslust und Härte, Druck, Rücksichtslosigkeit und Einsamkeit, das enervierende Fehlen von persönlichen Freiräumen, aber auch Begegnungen, Gemeinsamkeit und Spaß.

Und so funktioniert es auch auf der Bühne: von allem ein bisschen mehr als gewöhnlich – mehr Aktionen, mehr Gleichzeitigkeit, mehr Tempo. Der Macras-übliche Mix aus Live-Musik, Songs, Tanz, Video und kurzen Spielszenen reißt alle Gefühlslagen in fragmentarisch an: der wilde Gruppenauftritt, in der alle Akteure wie angestochen über die Bühne jagen wird kontrastiert von einem einsamen Solo, kurze Spielszenen zeigen vergebliche Kommunikationsversuche im Callcenter, während auf der anderen Seite der Bühne das Leben oder die Gewalt tobt.

Während eine smarte junge Dame im feinsten Soziologen-Jargon Thesen über Architektur und Städtebau vorträgt und uns dabei verbal mit Thesen und Metaphern beschießt, flippt einer ihrer Kollegen völlig aus. Sein Körper scheint sich selbstständig zu machen, Gliedmaßen schlagen nach allen Seiten aus, er versucht, Wände zu erklimmen, knallt in autoaggressiver Manier immer wieder zu Boden. Wie in den Städten selbst prallen auch hier verschiedene Zustände aufeinander: das Smarte, Leichte, Intelligente, Glatte. Und das Gebrochene, Kaputte, Überanstrengte, Kranke.

Das Nebeneinander vieler Schauplätze überlässt es dem Zuschauer, wohin er seinen Blick lenken will - und schafft mit den bloßen, flüchtigen Momentaufnahmen städtischen Lebens eine Art formaler Übersetzung des viel beschworenen, aber stets etwas schwammigen Gedankens der Stadt unter dem Einfluss der Globalisierung.

Dass Megalopolis die verschiedenen Facetten von Intimität und Öffentlichkeit lustvoll ausschöpft und damit eine der besten Macras-Premieren seit langem geworden ist, verdankt sich vor allem den ausnahmslos hervorragenden Performern. Soviel ungebrochene, fast lückenlose Energie ist selten - und ebenfalls, und das ist zweifellos der Choreographin zu verdanken - dass alle zehn ihre unterschiedlichen Talente und Persönlichkeiten ausagieren können, so dass man, trotz einiger Längen und wenig konzeptuellen Überraschungen oder unvorhersehbaren Assoziationen, an den vorbei treibenden, Revue-artigen Szenerien bis zum Ende dran bleibt.

Choreografisch ist nicht immer alles gleich interessant, viele Einfälle sind nahe liegend oder zumindest eher vorhersehbar als überraschend, aber Körper und Stimmen der Performer erzählen auf zugleich ironische und wahrhaftige Weise von Extremzuständen, von starken Spannungen, von Vereinzelung, Isolation und Hysterie. Dabei wird nichts intellektualisiert, das Geschehen bleibt auf einem sehr gut gemachten und überwiegend unterhaltsamen Niveau, das vor allem durch gutes Timing und sensationelle Energie besticht.