Gewalt in Japans Sport

Erfolg um jeden Preis?

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Junge Judokas mit verschiedenen Gürteln
Geknickt: Laut Human Rights Watch ist "Taibatsu", die Bestrafung von Kindern, noch immer ein Problem. © AFP / Yasuyoshi CHIBA
Anja Röbekamp im Gespräch mit Mathias von Lieben · 20.09.2020
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2011 deckte eine Studie Todesfälle im Judo-Schulsport auf. 2013 wehrte sich das Damen-Nationalteam im Judo gegen einen übergriffigen Trainer. Doch insgesamt ist seitdem wenig passiert, sagt Anja Röbekamp. Denn Missstände gibt es nicht nur beim Judo.
"Olympische Spiele um jeden Preis", egal ob mit oder ohne Covid-19: Dieses Motto hört man in diesen Tagen häufiger. Und zwar vom japanischen Organisationskomitee der ins kommende Jahr verschobenen Sommerspiele in Tokio.
Medaillen um jeden Preis lautet scheinbar das andere Motto – zumindest laut einem vor wenigen Wochen veröffentlichten Bericht von Human Rights Watch. Demnach soll in Japans Sport die Tradition des "Taibatsu" immer noch praktiziert werden: die körperliche Bestrafung von Kindern und Jugendlichen im Sport.

Die Gewalt betrifft alle Geschlechter

Auch sie sei schon mit struktureller Gewalt konfrontiert worden, sagt Anja Röbekamp, die für uns immer wieder aus Japan berichtet. "Ich habe es durchaus im Umfeld von Freunden und Bekannten gehört, dass das nach wie vor der Fall ist." In Japan werde nicht so sehr nach Breitensport und Leistungssport unterschieden. Das heißt, es zählt überall die Leistung. "Im Zweifelsfall nutzt man da jedes Mittel."
Dabei betreffe die Gewalt nicht nur Frauen und Mädchen, auch Jungen und junge Männer, sogar ein Mann von 50 Jahren sei Opfer geworden. Bei einer Prüfung für den dritten Meistergrad im Judo habe er eine schallende Ohrfeige bekommen. "Er war schlecht vorbereitet, offenbar hat der Prüfer das als persönliche Beleidigung aufgefasst", meint Anja Röbekamp.
Dabei habe es bereits 2013 einen Moment des Aufbegehrens gegeben. Das Nationalteam der japanischen Judofrauen habe sich gegen einen übergriffigen Trainer wehren wollen, dann aber gemerkt: Es gibt gar keine Ansprechpartner wie Frauenbeauftragte oder Kinderschutzbeauftragte.
Die Judoka hätten daher einen Offenen Brief an das japanische Olympische Komitee geschrieben. Das Komitee wisse also mindestens seit 2013 von der Problematik und habe auch versprochen: "Wir ändern das." Zwar sei der Trainer zurückgetreten. Aber im Sport allgemein habe sich nichts geändert, sagt Röbekamp.

Veränderung müsste von innen kommen

Kurz zuvor, um 2011 herum, habe eine Studie die japanische Öffentlichkeit aufgeschreckt. In den vergangenen knapp 30 Jahren seien der Studie zufolge fast 120 Schülerinnen und Schüler im Judo-Schulsport zu Tode gekommen, zudem seien etliche nachhaltig geschädigt worden.
Die japanische Judoka Haruka Tachimoto bei den Olympischen Spielen in London 2012.
Glänzender Auftritt: Die japanische Judoka Haruka Tachimoto bei den Olympischen Spielen in London 2012.© imago images / AFLOSPORT
"Mit diesem Druck, auch von innen, musste man etwas tun", meint Anja Röbekamp. Derzeit komme aber nichts vom japanischen Olympischen Komitee. Der Judoverband habe zwar eine Vorreiterrolle gehabt, die Reformen würden als leuchtendes Beispiel vorgeführt werden. "Aber Veränderung in anderen Sportarten müsste von innen kommen".

Der Leistungsgedanke beherrscht auch den Breitensport

Ein Grund für die Gewalt könnte sein, dass Leistung sehr groß geschrieben werde, meint Anja Röbekamp. "Es beginnt im Kindergarten, zieht sich durch über Schule, Hochschule, Uni und Berufsleben." Auch im Sport gehe es um Leistung. Selbst ein Stadtteilsportverein, der noch nicht mal in der 6. Liga spiele, trainiere fünf Mal die Woche für je drei Stunden.
"Dieser Leistungsgedanke ist sehr immanent und wird wenig infrage gestellt." Dabei habe die Corona-Pandemie vielleicht geholfen, die Leistungsorientierung zu hinterfragen. Etliche hätten in der Krise kürzere Arbeitstage gehabt und gemerkt: "Mir geht es viel besser!"
(ros)
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