Gewalt in den USA

Auch Polizisten haben Angst

Officer Deon Joseph musste noch nie schießen - und ist dankbar dafür
Officer Deon Joseph musste noch nie schießen - und ist dankbar dafür © Deutschlandradio / Kerstin Zilm
Von Kerstin Zilm · 15.12.2016
Polizeigewalt in den USA ist immer wieder Thema in den Nachrichten. Doch die Wirklichkeit ist oft komplexer, als sie abgebildet wird. Kerstin Zilm hat Officer Deon Joseph in Los Angeles begleitet. In seinem Revier leben rund zehntausend Obdachlose, viele sind drogenabhängig oder geisteskrank. Streife gehen kann purer Stress sein.
Heute ist ein besonderer Tag im Revier Skid Row: zwei Häuserblocks sind für eine Essensausgabe gesperrt. Mit Blumen geschmückte Biertische stehen dort, wo sonst Zelte und improvisierte Lager der Obdachlosen den Weg versperren und Männer und Frauen ihr Hab und Gut in Einkaufswagen vor sich her schieben. Officer Deon Joseph, afroamerikanischer Polizist, hat eine rote Schürze über die dunkelblaue Uniform gezogen und teilt Essen aus.
"Yes Ma’m, did you guys get something to eat?"
"Yeah, so now I can serve myself. See you later Baby."

Rollstuhlfahrer ohne Zähne

Ein Mann im Rollstuhl - graues Haar, das wild in alle Richtungen steht, und kaum noch Zähne - zeigt mit dem Finger auf Officer Joseph.
"Ihm ist diese Gemeinde wichtig. Er tut sein Bestes, um uns zu helfen. Er hält, was er verspricht. Erst hab ich ihn nicht gemocht, weil er diese Riesenmuskeln hat. Ich dachte er will den harten Mann spielen. Aber er ist ein wunderbarer Mensch."
Deon Joseph beugt sich hinunter, umarmt ihn und schüttelt seine Hand. Der Polizist muss selber lachen, wenn er sich an seine ersten Jahre auf Streife erinnert. Das war vor fast 20 Jahren.
"Sie haben mich RoboCop genannt, weil sie dachten, ich wäre herzlos. Ich habe so viele Leute verhaftet! Ich wollte Drogenhändler und gewalttätige Kriminelle bestrafen. Sie sahen nur, dass ich ihre Familie wegsperrte."

Zehn Jahre, permanenter Stress

Zehn Jahre ging das so. Permanenter Stress. Dann änderte Deon Joseph seine Taktik.
"Ich habe metaphorisch gesehen meine Dienstmarke und meine Waffe abgelegt und angefangen, mit den Leuten hier zu reden. Ich bin in die Obdachlosenheime gegangen. Ich liebe sie, deshalb bin ich immer noch hier."
"Hello, how are you today ..."
Zwischen Tellern voll mit Truthahn und Kartoffelbrei spricht er offen über Polizeibrutalität. Officer Joseph wünscht sich, dass mehr Menschen versuchen, sich in die Lage von Polizisten hineinzuversetzen. Dann, so Deon Joseph, würden sie erkennen, dass auch Polizisten manchmal Angst haben.
"Es ist leicht, auf der Polizeiakademie auf eine Pappfigur zu zielen, die nicht zurück schießt. Da treffe ich immer ins Schwarze. Anders ist es, wenn jemand mit einem Messer auf dich zu rennt oder eine Pistole auf dich richtet. Polizisten sind nicht immun gegen Angst. Solange ich ein Mensch aus Fleisch und Blut bin, werde ich Angst im Job haben."

Officer Deon Joseph hat noch nie abgedrückt

Officer Deon Joseph hat noch nie auf jemanden geschossen. Er betet jeden Tag, dass es nie so weit kommen wird. Der Polizist zeigt auf eine Kreuzung am Rand des Straßenfestes. Vor zwei Monaten hätte er dort fast abgedrückt.
"Right here ..."
Auf dem Weg nach Hause sah er Leute auf die Straße rennen. Sie riefen: "Er hat eine Waffe!" Deon Joseph sah einen jungen Mann um die 20 - so alt wie sein ältester Sohn - der mit einer vermeintlichen Pistole auf Leute zielte und sie dann an den Kopf eines Mannes hielt.
"Ich war kurz davor, auf den Jungen zu schießen. Warum? Ich habe eine Waffe gesehen, alle haben eine Waffe gesehen. Ich hätte geschossen, um Leben zu retten. Als ich auf ihn ziele, wirft der Junge etwas in den Blumentopf da drüben. Wir nehmen ihn fest, ohne dass ein Schuss fällt. Gott sei Dank. Er hatte Klebeband so zusammengeklebt, dass es wie eine Waffe aussah. Ich hätte in der Nacht fast einen unbewaffneten Mann erschossen. Was hätten die Zeitungen über mich geschrieben?"

Als junger Mann hasste und fürchtete er Polizisten

Als Afroamerikaner kann Deon Joseph die Feindseligkeiten gegenüber der Polizei teilweise verstehen. Als junger Mann hasste und fürchtete er Polizisten - bis er selbst einer wurde. Ungerechtfertigte Polizeigewalt, die Vorurteile bestätigt, macht ihn wütend. Doch er fordert, nicht vorschnell ein Urteil zu fällen.
"Schaltet eure Computer aus, geht raus und redet mit einem Cop. Ihr werdet erkennen, dass wir Euch nicht hassen. Wir haben einen schwierigen Job und manches, was auf den ersten Blick nicht gut aussieht, ist notwendig, um Leben zu retten."
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