Gewalt gegen Frauen

Sexismus kann mörderisch sein – auch in Deutschland

03:52 Minuten
Illustration: Mann schlägt Frau hinter Fensterscheibe mit Junge und Mädchen im oberen Stockwerk.
Morde aufgrund des Geschlechts geschehen auch hierzulande. "Jetzt ist es an Deutschland, endlich aufzuwachen", meint deswegen Autorin Sonja Eismann. © imago images / Ikon Images
Ein Kommentar von Sonja Eismann · 06.02.2020
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2019 starben in Deutschland 177 Frauen durch männliche Beziehungsgewalt – fast jeden zweiten Tag eine. Wir müssen realisieren, dass extremer Sexismus grausame Folgen haben kann, meint Journalistin Sonja Eismann.
Gewalt gegen Frauen ist schrecklich. Immer wieder erreichen uns furchtbare Nachrichten. Vergewaltigungen und Tötungen in Indien. Morde an jungen Arbeiterinnen in Mexiko. Ehrenmorde an Frauen aus migrantischen Familien.
Entsetzlich, aber irgendwie auch weit weg. Mit uns hat das alles nichts zu tun, denn die deutsche Mehrheitsgesellschaft lebt zum Glück fortschrittlich und gleichberechtigt – und hat nur kleinere Probleme wie Sexismus am Arbeitsplatz oder die ungerechte Aufteilung von Hausarbeit. So denken viele, wenn es um die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts geht. Weit fort, nicht bei uns. Nur stimmt das nicht.

Keine "Himmelsmacht", sondern Hass führt zur Gewalt

Femizide, manchmal auch Feminizide genannt, passieren ständig und überall. Auch mitten in deutschen, weißen, christlich geprägten Milieus. Und im Gegensatz zu Taten, bei denen Männer nicht-deutscher Herkunft involviert sind, schaffen sie es selten in die Schlagzeilen. Wenn doch, ist häufig beschönigend von "Familientragödien" oder "Eifersuchtsdramen" zu lesen – als hätte eine grausame Himmelsmacht dazu geführt, dass ein Mann seine Ehefrau, ein Verlassener seine Ex-Geliebte, ein Geschiedener die Mutter seiner Kinder tötet statt Hass und Besitzansprüche.
Im Januar letzten Jahres hat Kristina Wolff bei der Plattform change.org eine Petition mit dem Titel "Stoppt das Töten von Frauen" gestartet. Akribisch dokumentiert die Aktivistin aus Ingelheim alle Fälle in Deutschland, bei denen Frauen von Männern nach dem Leben getrachtet wird. Traurige Bilanz nach einem Jahr: Im Jahr 2019 starben in Deutschland 177 Frauen durch männliche Beziehungsgewalt, also fast jeden zweiten Tag eine. Im neuen Jahr waren es schon 17, Stand: 25. Januar.
Ob die Ehefrau eines 46-jährigen Unternehmers aus Paderborn, die von ihm erstochen wurde, oder die 23-jährige Neuköllnerin, deren Freund sie in der gemeinsamen Wohnung erschlagen hat – gemeinsam ist all diesen Frauen, dass sie sterben mussten, weil Männer in ihrem Umfeld von mörderischem Hass auf sie erfüllt waren.

Straftatbestand machistische Gewalt?

Kristina Wolff fordert daher die Einführung und Erfassung des Straftatbestandes "Machistische Gewalt". Dass dies bald Eingang in die Gesetzesbücher finden wird, ist unwahrscheinlich – Rechtsexperten der Bundestagsfraktionen haben sich bereits negativ dazu geäußert, Roman Reusch von der AfD lehnte ihn als "Verstoß gegen das grundgesetzliche Gleichheitsgebot" ab.

Eher möglich sind jedoch Szenarien, in denen sich wieder einmal über die neuesten Auswüchse des "Genderwahn" empört wird. Doch ist der eigentliche Genderwahnsinn nicht der, dass Frauen – und übrigens bezieht Wolff ganz explizit auch die besonders gefährdete Gruppe von Transfrauen und -mädchen mit ein – nur aufgrund ihres Geschlechts getötet werden? Weil die Männer in ihrem Umfeld in dem Wahn leben, sie könnten über diese Frauen bestimmen und sie besitzen?
Auch wenn es auf absehbare Zeit keine Gesetze geben wird, die Frauen wirkungsvoll vor dieser Art von geschlechtsbasiertem Hass schützen, ist es unabdingbar, dass wir alle realisieren, dass Sexismus immer noch mörderisch sein kann. Hier und überall.
Kristina Wolff Initiatorin der Petition "SaveXX Stoppt das Töten von Frauen" bei der Kundgebung in Berlin zum Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen
"Stoppt das Töten von Frauen", fordert Kristina Wolff (Mitte) in einer Petition.© imago images / snapshot
Aktivistinnen wie "Las Tesis" aus Peru, die mit ihrer kraftvollen Straßenperformance "Un violador en tu camino" – "Ein Vergewaltiger auf deinem Weg" – weltweit Proteste gegen Gewalt gegen Frauen anregten, haben das verstanden. Und auch in Frankreich, wo mit Slogans wie "Sie hat ihn verlassen. Er hat sie getötet" Zehntausende gegen Femizide mobil machen, ist das Thema im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Jetzt ist es an Deutschland, endlich auch aufzuwachen.

Sonja Eismann ist Mitbegründerin und -herausgeberin des "Missy Magazine" und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie schreibt, referiert und unterrichtet zu Themen rund um Feminismus und Popkultur. Zuletzt gab sie im März 2019 gemeinsam mit "Missy"-Chefredakteurin Anna Mayrhauser die Literaturanthologie "Freie Stücke. 15 Geschichten über Selbstbestimmung" heraus.


Porträt Sonja Eismann (Missy Magazine)
© imago images | Votos-Roland Owsnitzki
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