Gewalt als Alltag

Anne-Katrin Mellman |
In kaum einem Land der Welt gibt es so viel Gewalt wie in Honduras. Einen großen Anteil haben daran die Maras, die Jugendbanden, die für ihre Grausamkeit und Brutalität berüchtigt sind. Maras morden, rauben, dealen und erpressen die Bevölkerung.
Sie sind längst Teil einer organisierten Kriminalität, die weit über die Landesgrenzen hinaus arbeitet. Zu den bekanntesten dieser Banden gehört die Mara Salvatrucha. Allein in Honduras hat sie etwa 30.000 Mitglieder. Den Maras den Rücken zu kehren ist schwer, bisweilen unmöglich.

Das Projekt "Victoria" in den Bergen vor der Hauptstadt Tegucigalpa sieht aus wie ein idyllisches Landhotel. Der Rasen ist gemäht, auf gepflegten Beeten wachsen Salat und Gemüse. Ehemalige Mara-Mitglieder leben in dem nichtstaatlichen Projekt. Schwere Jungs, die sich rehabilitieren wollen. So wie Olger, 21 Jahre alt. Vor zwei Jahren kam er als Drogenabhängiger hierher, jetzt gilt er als erfolgreich therapiert. Für den Bruch mit der Mara entschied er sich, nachdem sein bester Freund von den eigenen Bandenmitgliedern umgebracht worden war - weil er aussteigen wollte.

"Als ich in der Mara anfing, war das Verbrechen wie ein Spiel. Aber ich wurde jedes Mal gewalttätiger. Die Drogen, die ich genommen habe – Crack und Kokain – haben mich gefühllos gemacht, du wirst dadurch unempfindlich. Du spürst nicht, was du tust und du reflektierst nicht. Du bist völlig in der Droge, das ist ein Teufelskreis: Man lebt nur für die Droge, alles, was man tut, die Überfälle – alles ist nur für die Droge."

Überfallen und Töten – im Drogenrausch sei ihm das nicht schwer gefallen, erzählt Olger. Maramitglieder fangen früh damit an: Oft sind es Kinder, die es vorziehen, ihre Zeit mit der Mara zu verbringen als in der Schule oder in zerrütteten Familien. Olger war zwölf, als er einstieg.

"Das alles kam daher, dass ich zu Hause so große Probleme hatte. In meiner Familie gab es viel Gewalt, mein Vater war Alkoholiker. Dadurch entstand in mir Aggression gegen meine Eltern. Meine Mutter hat die Gewalt, die sie durch meinen Vater erfuhr, an uns weitergegeben. Das hat dazu geführt, dass ich von zu Hause abgehauen bin. Ich bin nur noch nach Hause gegangen, um mir Geld zu holen, wenn ich auf der Straße nichts beschaffen konnte. Ich habe zu Hause geklaut."

Gewalt in der Familie ist nach der Erfahrung von Projektleiter Mario Fumero der Hauptgrund für den Einstieg in eine Mara. Außerdem fehlten Zuwendung und Identifikationsfiguren.

"Die Maras und die Drogen sind ein Ergebnis des familiären Zerfalls und der Krise der Werte. Wir haben in Honduras 75 Prozent Arme, die Armut ist gewachsen, es gibt mehr Hunger. Außerdem muss fast die Hälfte der Mütter ihre Kinder allein erziehen. Diese Kinder, die keinen Vater haben, die in instabilen Familien aufwachsen, haben das höchste Risiko, auf die schiefe Bahn zu kommen. Ökonomische und familiäre Krise plus Mangel an Werten, Mangel an Arbeit und Perspektiven – durch all das ist das Problem entstanden."

Hinzu kommen historische Gründe: Militärregime und Bürgerkriege haben in den 80-er Jahren in ganz Zentralamerika ein Klima der Gewalt geschaffen.

Aussteiger Hector zeigt sein Zimmer. Auch er wurde schon mit zwölf Mitglied einer Mara. Damals lebte er mit seiner Familie in Los Angeles, dort, wo die Banden entstanden. Gut sei es ihm gegangen, Probleme mit den Eltern hatte er nicht.

"Es war einfach nur das Ambiente in der Mara, das mich angezogen hat. Sie hatten Frauen, waren toll angezogen. Sie hatten immer Drogen, tranken immer, es gab ständig Partys. Das war jeden Tag so, und genau so wollte ich meine Zeit verbringen."

Viele Jahre lang war Hector in seiner Mara zuständig für Drogen, bis er wegen Dealerei in den Knast kam. Das war in einer Zeit, in der die USA ihre Gesetze für Migranten verschärften. Wer zu einer Haftstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt war, konnte nach Strafverbüßung in sein Heimatland abgeschoben werden. Hector musste nach drei Jahren US-Knast zurück nach Honduras. Sein "Know How" nahm er mit und wurde sofort ranghohes Mitglied einer Mara. Wegen Rückkehrern wie ihm entwickelten sich die Banden Ende der 90er-Jahre in Mittelamerika rasend schnell. Im Vergleich zu ihren Vorbildern in den USA sind sie in Ländern wie Honduras viel gewalttätiger.

Im Projekt Victoria versucht Hector zu vergessen, wie sich Töten anfühlt. Aber nach fast 14 Jahren Mitgliedschaft in der Mara gibt es zu viele Erinnerungen.

"Es ist wie eine Psychose. Ich kann nicht vergessen, es ist immer da. Immer. Die Erinnerungen kommen im Schlaf. Und sie machen mir Angst. Zum Beispiel hat einmal ein Freund vom mir die Mara verlassen. Daraufhin haben sie ihn zerstückelt. Sie haben ihm Kopf, Beine und Arme abgehackt. Das war ekelhaft. So ist das in der Mara: Es ist egal, um wen es geht. Ein Menschenleben zählt nichts. Es gibt auch keine Freunde mehr. Töten oder getötet werden – es gibt keinen Schritt zurück, wenn du einmal damit angefangen hast."

Einmal Mara – immer Mara. Ausstieg wird mit dem Tode bestraft. Im Projekt Victoria können sich Ex-Mitglieder wie Hector und Olger für eine Weile verstecken. Doch draußen erwarten sie die Rache ihrer Bande und eine feindselige Gesellschaft. Obwohl die honduranische Polizei inzwischen keine Jagd mehr auf sie macht – die Politik der harten Hand ist seit Präsident Zelaya vorbei – für die Gesellschaft bleiben diese jungen Leute Geächtete.