Getrennt gemeinsam

Carola von Braun und Hildegard-Maria Nickel im Gespräch mit Joachim Scholl · 06.07.2009
Mit selbstkritischem Blick schauen die Frauenpolitikerin Carola von Braun (ehemals West) und die Gender-Forscherin Hildegard-Maria Nickel (ehemals Ost) auf die Schwierigkeiten der wiedervereinigten Frauenbewegung nach '89 zurück. Allerdings sehen sie auch heute noch Unterschiede bei den Ansprüchen junger Frauen aus den alten oder neuen Bundesländern.
Joachim Scholl: Die Frauenbewegung, das ist ein Wort aus dem Westen, bei dem einem die Farbe Lila einfallen kann, die Frauenbuchläden, die Kritik am Patriarchat, "Emma" und Alice Schwarzer. Frauen im Osten, die fuhren Traktor, leiteten Betriebe, ihre Emanzipation vollzog sich auf anderen Wegen. Und was geschah dann 1989, als die Mauer fiel und auch diese beiden unterschiedlichen Kulturen aufeinandertrafen? Das wollen wir jetzt diskutieren. Zu Gast im Studio ist Hildegard-Maria Nickel, Professorin für Gender-Forschung an der Humboldt-Universität, sie ist im Osten aufgewachsen und Carola von Braun im Westen, ehemals Frauenbeauftragte des Berliner Senats, heute Vorsitzende der überparteilichen Fraueninitiative Berlin. Willkommen bei Deutschlandradio Kultur. Guten Tag, Ihnen beiden!

Nickel/Braun: Hallo! Guten Tag!

Scholl: Frau Nickel, ungeachtet der Freude 1989, dass die Mauer fiel, dass man jetzt zusammenkam, was hat sie am meisten genervt an den Schwestern aus dem Westen?

Hildegard-Maria Nickel: Ja, das lässt sich, glaube ich, in drei Punkten ganz gut sagen. Also der erste Punkt war, wir hatten zum Beispiel Anfang 1990 gleich ein großes Treffen, 800 Frauen aus Ost und West, das hing mit der Gründung des unabhängigen Frauenverbandes zusammen. Und was mich da am meisten genervt hat – und das zieht sich bis heute partiell leider noch durch –, das ist erstens eine gewisse Missachtung der Erfahrung der ostdeutschen Frauen, die westdeutschen, durchaus auch durch ihre Beteiligung oder Kreierung sozusagen der westdeutschen Frauenbewegung, hatten von sich aus natürlich auch das Gefühl, sie wissen alles und können auch den Ostschwestern auf die Sprünge helfen. Und das schlug sich dann nieder in der Sprache, also in Westdeutschland war da schon ne lange Debatte darüber im Gange, weibliche Berufe müssen weiblich bezeichnet werden. Die Ostfrauen stellten sich vor – ich bin Lehrer, ich bin Ingenieur – und die Westfrauen kreischten jedes Mal wegen der weiblichen Form, was die Ostfrauen nervte, weil die das nicht nur gemacht haben, weil sie unsensibel sind, sondern auch durchaus sich sozusagen mit der männlichen Form identifiziert haben im Sinne von 'das ist unsere Professionalisierung'. Und es zeigte sich dann auch in Schwerpunkten, die relevant waren für die Frauenbewegung oder das, was als Gleichstellung galt, da war es für die Ostfrauen immer mehr, bestimmte Strukturen zu realisieren und die Westfrauen, jedenfalls in den Diskursen, da ging es immer eher darum, Autonomie auch im Gegensatz zu Männern.

Scholl: Das Stichwort für Carola von Braun. Wie trafen Sie denn auf die Damen im Osten?

Carola von Braun: Ich muss da jetzt hinzufügen, ich saß ja in der Verwaltung, ich saß genau an der Schnittstelle zwischen der Frauenbewegung und der Politik und der Verwaltung. Und man muss im Nachhinein besehen auch eins mal einfach sich in Erinnerung rufen: Die Frauenbewegung war ja nicht eine Ein-Ziel-Bewegung. Sie hat schon ein sehr anspruchsvolles Ziel gehabt, sie wollte wirklich diese Gesellschaft an Haupt und Gliedern verändern und Patriarchatskritik war nur eins davon. Und sie war nie wieder so erfolgreich und so mächtig, wie sie in den Jahren vor '89, in den letzten Jahren der 80er-Jahre war. Und dann kam 11. November '89, und innerhalb von wenigen Wochen brach die öffentliche Relevanz der Frauenbewegung und die Anerkennung zusammen. Und die Westfrauenbewegung hoffte auf Unterstützung der Ostfrauen. Dann hat sie aber gemerkt, dass bei ganz vielen Themen Ostfrauen das gar nicht so wichtig war wie das den Westfrauen. Also die Enttäuschung war riesig. Zum Beispiel bei dem Thema Anteil von Frauen an Machtpositionen in Parteien, in Betrieben und so weiter, da war dann offenes Erstaunen über diese Frage bei Ostfrauen, und das wurde bei den Westfrauen wieder als unpolitisch angesehen. Und die Ostfrauen haben sich häufig als gleichberechtigter betrachtet, weil manches in der Tat einfacher war – Vereinbarkeit von Beruf und Familie und so weiter. Sie haben sich als gleichberechtigter gefühlt, aber in Veranstaltungen erntete das dann nach einer Weile, als die Westfrauen registriert hatten, dass sie keinerlei Unterstützung bekamen bei diesem großen politischen Ziel, dann gab’s Hohngelächter. Und das war wirklich dann sehr schwierig und hatte auch zur Folge, dass danach bei vielen Veranstaltungen die Ostfrauen sich einfach zurückgezogen haben und ihre eigenen Veranstaltungen gemacht haben, was ich sehr bedauert habe.

Scholl: Frauen in Ost und West nach 20 Jahren Mauerfall. Hier im Deutschlandradio Kultur sind Carola von Braun von der überparteilichen Fraueninitiative Berlin und die Gender-Forscherin Hildegard-Maria Nickel zu Gast. Die Frauenbewegung im Westen hatte sich in jüngerer Zeit aus der 68er-Revolte heraus gebildet und es war, wie Sie schon sagten, auch mehr als nur ein Kampf um Gleichberechtigung, sondern es ging auch um die grundsätzliche Kritik am patriarchalischen System, und daraus wurde dann auch ein viel karikierter Kult: also das groß geschriebene "I" bei Worten wie LeserInnen, in meiner WG hing im Klo über der Schüssel "Männer hinsetzen!" und diese Dinge. Wie haben eigentlich, Frau Nickel, die Frauen im Osten so diese westfeministischen Ideen wahrgenommen? Hat man da auch eher drüber gelächelt oder fand man das auch wichtig?

Nickel: Nee, also das ist der Punkt, den ich vorhin versucht habe, am Beispiel der Sprache deutlich zu machen. Also die Ostfrauen hatten eher den Eindruck, dass es den Westfrauen sehr stark um symbolische Politik geht, also Veränderung in der Sprache, Sensibilisierung eben auch, was Klo und sonstige Symbole anbetrifft, und waren da auch zum Teil positiv überrascht, in welchem Maße Männer, dass tatsächlich Westmänner sich darauf auch eingestellt hatten. Zugleich hatten die Ostfrauen aber auch das Gefühl, das sind abgeleitete Probleme. Also ihnen war viel wichtiger in der Tat, den Fuß in der Erwerbsarbeit zu behalten, Rahmenbedingungen zur Verfügung zu haben für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und es empörte sie zum Beispiel auch, dass Westfrauen aus der Frauenbewegung ihren Autonomieanspruch oft damit begründeten, dass sozusagen der Raum männerfrei sein muss, während Ostfrauen den Anspruch hatten, Gleichberechtigung mit Männern zu realisieren, auch mit den Kindern zu realisieren, sodass auf diesem Hintergrund auch große Auseinandersetzungen stattgefunden haben.

Scholl: Also diese starken Antagonismen, die sind ja vielleicht jetzt auch versunken, Frau von Braun, weil …

von Braun: Nicht ganz, nicht ganz. Also bei dem Thema "Zusammenarbeit mit Männern" wirst du immer noch bei Veranstaltungen Ost und West große Unterschiede in den Sälen finden. Und dann das Stichwort: Die Westfrauenbewegung war im Schnitt, hatte viel weniger Kinder, also die aktiven Frauen hatten wenig Kinder. Die Ostfrauen waren jünger, hatten Kinder, und viele von den Ostfrauen – muss ich jetzt auch mal zur Verteidigung sagen – haben sich von den Westfrauen gar nicht genug unterstützt gefühlt in ihren Problemen als junge Mütter. Das ist überhaupt eine Schwäche der Westfrauenbewegung gewesen – sage ich auch jetzt wirklich ganz –, dass sie das ganze Thema "Unterstützung von jungen Müttern" ein bisschen vernachlässigt hat, weil sie die Sorge hatte, sie wollte eben nicht vereinnahmt werden nur als Mutter, sondern sie wollten auch als Frauen wahrgenommen werden, was ein politisch legitimes Anliegen ist, aber nach '89 war das kein Thema mehr, das in der Öffentlichkeit als relevant angesehen wurde. Das war das Problem. Und da war die Westfrauenbewegung im Grunde vollkommen unvorbereitet darauf, dass jetzt plötzlich eine massive Auseinandersetzung, ganz andere Dinge jetzt plötzlich losgingen. Es ging um die Verteilung von Ressourcen, es ging um die Verteilung von Stellen nach '89, es wurde ja alles neu verteilt. Da haben manche Fraueninitiativen, manche Frauenprojekte gedacht, das geht immer so weiter wie in den sehr fördernden Jahren davor. Und das ging eben nicht mehr. Es gab dann ganz scharfe Evaluationen, es war klar, der Kuchen blieb gleich groß, er musste neu verteilt werden. Und die Ostfrauen sind dann eben in einem sehr nüchternen, pragmatischen Ansatz rangegangen, haben die Ärmel hochgekrempelt, und obwohl sie die ganzen Bedingungen sich neu erarbeiten mussten, haben sie sich darauf eingestellt, innerhalb von wenigen Monaten standen die Konzepte – und bei den Westfrauen Fassungslosigkeit, Erstaunen. Und als der Staub sich dann gelegt hat nach zwei Jahren, war der Kuchen neu verteilt, und die Ostberliner Landschaft war vollkommen neu bestückt mit sehr ansehnlichen neuen Frauenprojekten und Wut im Westen darüber.

Scholl: Jetzt sind 20 Jahre vergangen. Wenn Frauen heute um die 20 sind, dann sind sie damals grad geboren worden und heute sind ihnen die ideologischen Kämpfe von einst ob Ost und West wahrscheinlich gleichermaßen fern und fremd. Ich meine, spielt diese Trennung jenseits der unterschiedlichen sozialen wie ökonomischen Bedingungen überhaupt noch eine Rolle? Frau Nickel, Sie sind mit jungen Studentinnen zusammen an der Uni und wie sprechen die über ihr Frausein?

Nickel: Also im Prinzip ist es tatsächlich so, dass man ja die Unterschiede zwischen Ost und West bei dieser jungen Studentengeneration gar nicht mehr merkt. Aber bei einem bestimmten Thema, also immer, wenn das Thema Sozialpolitik, Wohlfahrtsstaat, Frauenerwerbsarbeit etc. kommt, dann kann ich sofort in einem Seminar von 60 Teilnehmern feststellen, wer ist West und wer ist Ost, in den Diskussionen, weil es immer noch gravierende Unterschiede gibt zwischen auch Ostfrauen und Westfrauen in diesem Alter. Und es ist immer noch so, dass die Ostfrauen viel deutlicher artikulieren, also einen selbstverständlichen Anspruch auf Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Berufsarbeit und Mutterschaft und selbstverständlich auch Ganztagsbetreuung etc. erwarten, während die jungen Westfrauen eher argumentieren, also klar, sie machen auch ihren Berufsabschluss und haben eine akademische Qualifikation, dennoch verteidigen sie deutlicher das Modell, wenn ich dann Mutter werde, will ich mich auch um mein Kind kümmern und es nicht in irgendeine Ganztagsbetreuung geben. Also da merkt man noch sehr, sehr deutlich die Unterschiede genau an diesem Punkt.

Scholl: Diese Erfahrung machen Sie auch, Frau Braun?

von Braun: Kann ich voll unterstützen, das ist das, die Drohung mit der Rabenmutter, die zieht eben immer noch vor allen Dingen weniger in Berlin, aber natürlich in Baden-Württemberg und in Bayern, obwohl sich da auch jetzt eine ganze Menge tut. Was ich allerdings auch beobachte, und das macht mir wirklich ganz große Sorge: Ich stelle immer wieder fest, dass gerade auch bei hochqualifizierten jungen Frauen, die auch politisch interessiert sind, es eine tiefe Skepsis gibt gegenüber politischer Betätigung in Parteien, in Gewerkschaften, in anderen Organisationen. Und das scheint mir im Osten noch ausgeprägter zu sein als im Westen. Und das macht mir ganz große Sorgen, weil wo stehen wir in zehn Jahren, wenn diese gleichen jungen Frauen dann sich plötzlich wundern, wo sind ihre Chancen im Arbeitsmarkt.

Scholl: Frauen in Ost und West, vor und nach dem Mauerfall. Im Studio waren Carola von Braun und Hildegard-Maria Nickel. Danke schön für Ihren Besuch! Und in diesem thematischen Zusammenhang steht auch eine Veranstaltungsreihe, die derzeit von der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin organisiert wird unter dem hübschen Titel "Love me Gender". Und heute Abend gibt es eine frauenpolitische Diskussionsrunde, an der auch Frau von Braun und Frau Nickel teilnehmen werden.