Geteilte Informationsgesellschaft

Die "Tagesschau" als letzte gemeinsame Öffentlichkeit?

08:27 Minuten
Illustration: Teenagerin versucht zu arbeiten, wird aber durch Soziale Medien abgelenkt.
Entdecke die Möglichkeiten: Die Informationsgesellschaft teilt sich in verschiedene Lager. Einige möchte nicht auf die etablierten (Print-)Medien verzichten, andere orientieren sich ausschließlich an Sozialen Medien. © imago images / Ikon Images / Alice Mollon
Felix Neumann im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 23.08.2019
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Viele halten Zeitungen für überholt und nutzen Instagram und Co als Infoquellen. Für andere sind gedruckte Medien unverzichtbar. Dass die Informationsgesellschaft in Lager zerfällt, ist nicht automatisch negativ, sagt Politikwissenschaftler Felix Neumann.
Der Journalist Michael Angele sagte in einem Gespräch im Deutschlandfunk Kultur, es bereite ihm Sorge, wenn Leute - Influencer - wie der YouTuber Rezo zu einer breiten Zeitungsschelte ausholen und dieses Medium für längst überholt halten. Für Angele ist das ein Beleg dafür, dass unsere Informationsgesellschaft in Teilöffentlichkeiten zerfällt.
Aber ist das wirklich so schlimm? Nein, meint der Politikswissenschaftler Felix Neumann.

Das Interview im Wortlaut:

Stephan Karkowsky: Am Mittwochmorgen haben wir hier im Deutschlandfunk Kultur darüber diskutiert, ob das Totholz-Medium Zeitung noch zeitgemäß ist oder doch eher eine Lachnummer, wie in einem neuen Video mit dem prominenten YouTuber Rezo. Der macht sich auf dem YouTube-Comedykanal Space Frogs lustig über Leute, die heute noch Zeitung lesen. Oh my god! Er selber tut das übrigens nicht.
Der "Freitag"-Journalist Michael Angele sah darin einen Beleg für die Zersplitterung der Gesellschaft in Teilöffentlichkeiten. Die einen lesen "FAZ" und hören Deutschlandradio, die anderen glauben, sie wären mit YouTube und Instagram ausreichend informiert. Der Politikwissenschaftler Felix Neumann findet das gar nicht schlimm. Er ist Blogger und Journalist bei katholisch.de. Herr Neumann, Sie sagen, der Diskurs in Teilöffentlichkeiten werde sogar besser und anspruchsvoller. Das sollten Sie uns erklären.
Neumann: Der Diskurs in Teilöffentlichkeiten ist ja tatsächlich auch gar nichts Neues. Heute wird da so die alte Medienwelt gegen YouTube aufgezogen. Früher war es klar, wer die "taz" liest, ist in der Teilöffentlichkeit, wer die "FAZ" liest, ist in einer ganz anderen, und die treffen sich maximal in dem Lagerfeuermedium "Tagesschau" abends um 20 Uhr wieder. Warum ich glaube, dass die Teilöffentlichkeit eigentlich etwas Gutes ist, ist, dass es sehr schwierig ist, über die verschiedenen Milieus hinweg anspruchsvoll zu streiten. Da wirft man sich Beleidigungen oft nur an den Kopf. Ich glaube, dass in den Teilöffentlichkeiten erst mal das Rüstzeug erworben wird, die Diskussion geschärft wird, die Argumente geschärft werden, die dann über diese Schützengräben hinaus ausgetauscht werden können. Und deshalb ist eine Teilöffentlichkeit erst mal was, was es erstens schon immer gibt und was zweitens dazu dient, dass man sich seiner eigenen Position quasi im Freundesland vergewissern kann.

"Oft fehlt uns noch diese Diskussionsethik"

Karkowsky: Ja, so weit kann ich Ihnen folgen, aber wenn einer – um mal bei Ihrem Beispiel zu bleiben – nur die "taz" liest, dann hört er ja nie die Argumente der anderen. Das kann doch nicht gut sein.
Neumann: Ich glaube, es sollte solche Lagerfeuermedien, wie ich das gerne nenne, geben, dass man sich auf die "Tagesschau" verlassen kann. Ich hab auch den Eindruck, dass wir heute oft auch das Problem haben, dass wir gerade zu viel über den Tellerrand schauen oder über den Tellerrand geblickt werden, indem wir über Facebook, über Twitter in diese anderen Teilöffentlichkeiten hineinblicken. Oft fehlt uns da noch so diese Diskussionsethik, das erst mal verstehen zu wollen und nicht gleich zu bewerten, und es muss, glaube ich, auch nicht jeder mit jedem reden. Das ist ein großes Problem von einer so scheinbar durchlässigen Öffentlichkeit, wie wir sie jetzt haben, dass es so einen Zwang gibt, dass jeder mit jedem persönlich redet anstatt …
Karkowsky: Was ist denn daran so schlimm, wenn man das mal wenigstens versucht in einer Gesellschaft, dass jeder mit jedem ins Gespräch kommt? Für mich wäre das erst mal ein sehr positives Bild von Gesellschaft, dass jeder mit jedem redet. Für Sie nicht?
Neumann: Positiv solange das nicht im Licht der Öffentlichkeit geschieht. Das heißt jetzt nicht, dass ich alles untern Teppich kehren will, sondern diese Milieu-Clashs, die sind wunderbar aufgehoben, wenn man nicht eine Öffentlichkeit im Rücken hat, die im Zweifelsfall das dann immer hochstachelt und eskaliert. Wir haben ja alle Übung, Milieus zu durchbrechen, zu überwinden – wenn wir auf einem Elternabend sind, am Stammtisch, im Verein. Und wenn wir da was Dummes sagen, dann kriegen das die drei Leute drum herum mit.
Wenn ich auf Twitter was Dummes sage, dann kann, wenn es blöd läuft, ein Shitstorm losbrechen. Und wir haben noch nicht geübt, nicht jeder hat geübt dieses öffentliche Sprechen, und das ist, glaube ich, die große Gefahr: nicht mit anderen zu sprechen, sondern das Dritte dann reinkommen und das skandalisieren, was man eigentlich ungeschützt in semiprivatem Rahmen sagen wollte. Und da wären dann Teilöffentlichkeiten durchaus nützlich, indem man sich einfach mal übt, wie funktioniert das Argument im Freundesland, um dann das anzubringen, wenn es öffentlich ist.

Den Rattenfängern hilflos ausgeliefert?

Karkowsky: Sie haben nun zweimal die "Tagesschau" als gemeinsame Öffentlichkeit genannt. Natürlich kann man die Menschen nicht zwingen, jeden Abend die "Tagesschau" zu gucken, Gott sei Dank machen es Millionen Abend für Abend freiwillig, aber wer sich nun den etablierten Medien völlig verweigert – und das hab ich so gesehen in diesem neuen Video mit Rezo – und vermeintlichen Informationen nicht mehr von Journalisten empfängt, die ihr Handwerk gelernt haben, die eine Ethik haben, die Hintergründe erklären und einordnen können, der quasi sich nur über YouTube und Instagram informiert, ist der nicht den Rattenfängern, die desinformieren wollen, hilflos ausgeliefert?
Neumann: Ja, das stimmt. Wenn man sich allerdings auch anschaut, wie Rezo argumentiert in seinem ersten Video, als es um vor allem Klimapolitik ging, da hat man festgestellt, das ist reine Attitüde, dass er sagt, er nutzt keine klassischen Medien. Er bezieht sich ja auch auf Berichte in Medien, die von etablierten, ausgebildeten, qualifizierten Journalistinnen und Journalisten gemacht werden. Insofern glaube ich, man kommt da nicht raus. Das, was er jetzt kritisiert, das kann er ja nur kritisieren, weil er es mitbekommt, und insofern würde ich mir da nicht die große Chance machen. Wenn man sich Jugendstudien anschaut, Kinder und Jugendliche wachsen auch nicht im reinen YouTube-Raum auf, die lesen auch Zeitung, aber online, die nehmen zur Kenntnis, was auf Facebook gepostet wird von Medieninhalten, die hören Radio – vielleicht nicht so viel wie früher, nicht immer nur die eine Zeitung auf Papier, aber das klassische Medium hat immer noch eine sehr hohe Durchdringungsrate in der Gesellschaft.
Karkowsky: Taugt denn dann eigentlich der Begriff vom Massenmedium noch? Ich meine, bislang versteht man darunter TV, Radio, Zeitung mit einer gewissen Auflage, aber wenn zum Beispiel die Videos von Rezo und anderen mehr Klickzahlen erreichen, als die "Tagesschau" Zuschauer hat, sind das dann nicht ebenfalls Massenmedien, die, ich sag jetzt mal was ungeschützt, entsprechend reguliert gehören, weil sie einen erheblichen Einfluss haben auf Millionen von Menschen?
Neumann: Ein Kanal wie der von Rezo ist eindeutig ein Massenmedium, und zwar nicht nur aufgrund der schieren Masse an Menschen, die er erreicht, sondern auch weil so ein großes Medium notwendig, auch wenn er es noch so dialogisch betreiben will, in ein Sender-Empfänger-Modell passt. Ich hab noch kein Konzept, wie man so etwas regulieren könnte. Unsere Idee bisher war ja, dass wir professionell betriebene Massenmedien haben, weil es einfach finanziell nicht anders ging, und jetzt kann jeder sich auf YouTube so eine Reichweite erarbeiten. Ja, es muss irgendwie reguliert werden, aber ich möchte nicht zu schnell die alten Regulierungsmechanismen darauf anwenden, weil ich glaube, das ist was Neues, da muss man zur Kenntnis nehmen, dass die vielmehr als Medien in klassischem Sinne, also Medienhäuser, einzelne Publizisten sind, die natürlich auch ihr Grundrecht auf Meinungsäußerung wahrnehmen können sollen – möglichst unreguliert.

Was kann man von YouTube lernen?

Karkowsky: Wenn nun verschiedene Teilöffentlichkeiten parallel laufen, die nicht unbedingt miteinander ins Gespräch kommen können, weil sie sich gar nicht verstehen, gibt es denn irgendetwas, was wir, was die etablierten Institutionen lernen können von der Debattenkultur der Generation YouTube?
Neumann: Also ich glaube, was Rezo sehr frustriert hat, ist eine gewisse Empiriefreiheit der Politik vor allem, mit seinem ersten Video, dann eine gewisse Empörungsgetriebenheit der Medien in seinem zweiten Video, und da sehe ich an beiden Punkten Lernfelder für den Journalismus. Das eine ist, einfach mal die Quelle verlinken. Wir tun uns auch im Onlinejournalismus total schwer, Quellen zu verlinken, andere Medien zu verlinken, die wissenschaftliche Studie zu verlinken, dass man einfach selbst nachgucken kann. Ich komme ja aus dieser Blogger-Kultur, da war es völlig selbstverständlich, wir verlinken alles, wo wir einen Link draufsetzen können. Und ich glaube, da können wir als Journalistinnen und Journalisten Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn wir einfach viele Links setzen. Und ansonsten ist es mal wieder ein finanzielles Problem: Wie können wir Reichweite und Geld erzeugen mit Onlinemedien, wenn momentan die beste Möglichkeit möglichst reißerisches Clickbaiting ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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