Getanzte Provokation
Ab 1900 wurde der "Cakewalk" beliebt. Mit "Körper in Schieflage" rekonstruiert Astrid Kusser detailreich die Geschichte des exzentrischen Tanzes. Sein Ursprung ist der Spott afrikanischer Sklaven über die Vorliebe der weißen Mittelschicht Amerikas für europäische Gesellschaftstänze.
Auf einer Berliner Postkartenserie von 1903 lächeln zwei afroamerikanische Tänzerinnen in unerhört exzentrischen Posen in die Kamera: Mit lässig nach hinten gebeugten Oberkörpern scheinen sie ihren Beinen hinterher zu laufen, nicht der Kopf, die Gliedmaßen haben die Führung übernommen. Die Frauen balancieren mit angewinkelten Armen und Beinen auf einer imaginierten schiefen Ebene, die den aufrechten Gang ad absurdum führt. Mit Pluderhose, Spazierstock und Zylinder schlüpft eine der Tänzerinnen in die Rolle des Gentlemans und stellt die gegebenen Geschlechterrollen auf den Kopf.
Diese an der Schwelle des 20. Jahrhunderts festgehaltenen Posen sind eine radikale Antithese zur zeitgenössischen europäisch-bürgerlichen Etikette – eine getanzte Provokation: der "Cakewalk". Er ist der erste schwarze Modetanz und erobert um 1900 das Tanzparkett diesseits und jenseits des Atlantiks. Ob New York, Buenos Aires, Kapstadt oder Berlin – in den Metropolen ahmen Tanzbegeisterte den subversiv-clownesken Tanzstil eifrig nach und entwickeln ihn weiter.
Diese an der Schwelle des 20. Jahrhunderts festgehaltenen Posen sind eine radikale Antithese zur zeitgenössischen europäisch-bürgerlichen Etikette – eine getanzte Provokation: der "Cakewalk". Er ist der erste schwarze Modetanz und erobert um 1900 das Tanzparkett diesseits und jenseits des Atlantiks. Ob New York, Buenos Aires, Kapstadt oder Berlin – in den Metropolen ahmen Tanzbegeisterte den subversiv-clownesken Tanzstil eifrig nach und entwickeln ihn weiter.
Koloniale Sehnsüchte und kulturelle Missverständnisse
Die Historikerin Astrid Kusser zeichnet in ihrer 500 Seiten starken Studie die faszinierende Geschichte des Cakewalks nach. In den drei Kapiteln "Herkunft", "Entstehung" und "Verwandlung" rekonstruiert die Autorin in umfassender Detailarbeit die Amerika, Afrika und Europa umspannende Geschichte des Tanzes. Dabei rückt sie besonders eindrücklich in den Blick, wie sehr diese globale Erfolgsgeschichte von kulturellen Projektionen, kolonialen Sehnsüchten und handfesten Missverständnissen geprägt war.
Astrid Kusser verortet den Tanz im Kontext einer "Kultur des Spotts", mit der afrikanische Sklaven gegen europäische Gesellschaftstänze, die bei Amerikas weißer Mittelschicht en vogue waren, polemisierten: Der Cakewalk mache sich lustig über die steife Etikette des Gesellschaftstanzes. Insbesondere Formationstänze wie die Promenade oder Quadrille treibe der Cakewalk mit lässigen Geh-Bewegungen auf die Spitze.
Vor dem Hintergrund dieser "Kultur des Spotts" mutet die Rezeptionsgeschichte des Cakewalks geradezu absurd an: Erst entdeckten amerikanische Sklavenhalter den Cakewalk als köstliche Unterhaltung für sich – sie organisierten Wettbewerbe, bei denen sie "ihre" Tänzerinnen und Tänzer im Cakewalken gegeneinander antreten ließen. Dabei ignorierten sie offenbar die Ironie, mit der sich dieser virtuose Tanzstil über ihre eigene, das heißt die bürgerliche Tanztradition lustig machte.
Astrid Kusser verortet den Tanz im Kontext einer "Kultur des Spotts", mit der afrikanische Sklaven gegen europäische Gesellschaftstänze, die bei Amerikas weißer Mittelschicht en vogue waren, polemisierten: Der Cakewalk mache sich lustig über die steife Etikette des Gesellschaftstanzes. Insbesondere Formationstänze wie die Promenade oder Quadrille treibe der Cakewalk mit lässigen Geh-Bewegungen auf die Spitze.
Vor dem Hintergrund dieser "Kultur des Spotts" mutet die Rezeptionsgeschichte des Cakewalks geradezu absurd an: Erst entdeckten amerikanische Sklavenhalter den Cakewalk als köstliche Unterhaltung für sich – sie organisierten Wettbewerbe, bei denen sie "ihre" Tänzerinnen und Tänzer im Cakewalken gegeneinander antreten ließen. Dabei ignorierten sie offenbar die Ironie, mit der sich dieser virtuose Tanzstil über ihre eigene, das heißt die bürgerliche Tanztradition lustig machte.
Auch Europa tanzt "wie wild"
Als afroamerikanische Tänzer nach der Abschaffung der Sklaverei den Cakewalk in Europa präsentierten und eine Welle der Euphorie auslösten, begrüßten Tanzbegeisterte ihn als "afrikanisches Naturereignis": Europäische Reformer jeglicher Couleur wollten lernen, "wie die Wilden" zu tanzen. In den Bewegungen erkannten sie eine vermeintliche Naturhaftigkeit jenseits der Zivilisation, die sie als ursprüngliche Polemik der ureigensten, starren Tanztraditionen – genau wie die Sklavenhalter – nicht zu dechiffrieren verstanden. Was für ein grandioses Missverständnis!
Gestützt auf fundierte Quellenarbeit, eine umfassende wissenschaftliche Einordnung und leider nur wenige, dafür eindrucksvolle Abbildungen wie die eingangs beschriebene Postkartenserie legt Astrid Kusser die Geschichte des Cakewalks frei. Ihre äußerst kundigen, aber enorm umfangreichen Kapitel können mitunter erschlagen – das Buch wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Köln als Dissertation abgenommen. Trotzdem: Astrid Kusser dokumentiert am Beispiel des Cakewalks eindrucksvoll die faszinierende Dynamik eines (post-)kolonialen Kulturtransfers. Ein lesenswerter 500-Seiten-Schinken mit Potenzial zum akademischen Standardwerk!
Besprochen von Tabea Grzeszyk
Gestützt auf fundierte Quellenarbeit, eine umfassende wissenschaftliche Einordnung und leider nur wenige, dafür eindrucksvolle Abbildungen wie die eingangs beschriebene Postkartenserie legt Astrid Kusser die Geschichte des Cakewalks frei. Ihre äußerst kundigen, aber enorm umfangreichen Kapitel können mitunter erschlagen – das Buch wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Köln als Dissertation abgenommen. Trotzdem: Astrid Kusser dokumentiert am Beispiel des Cakewalks eindrucksvoll die faszinierende Dynamik eines (post-)kolonialen Kulturtransfers. Ein lesenswerter 500-Seiten-Schinken mit Potenzial zum akademischen Standardwerk!
Besprochen von Tabea Grzeszyk
Astrid Kusser: Körper in Schieflage. Tanzen im Strudel des Black Atlantic um 1900
Transcript Verlag, Bielefeld 2013
502 Seiten, 34,80 Euro
Transcript Verlag, Bielefeld 2013
502 Seiten, 34,80 Euro